Umgangssprache vs. gehobener Standard:

Ein Ehepaar in Venedig
Transkription: W. Näser 6/2k7

P: Ach, ist das herrlich, hier, Otto, ist das herrlich. Nu sage doch mal selber, Otto: ach, ist das hier nicht genau so schön wie bei einer Revue-Inszenierung von Gründgens in Berlin im Großen Schauspielhaus, hm?
O: Paula, tu mir doch den einzigsten Gefallen: vergiß doch einmal für fünf Minuten Berlin.
P: Wer hat denn hier von Berlin gesprochen? Kein Mensch hat hier von Berlin gesprochen. Ich sprach von Venedig. O mia bella Napoli, o st...
O: Aber Paula. Napoli ist doch das andere, das ist doch das mit dem Vesuv, wo die Lava rauskommt.
P: Hm, das weiß ich doch, ich weiß genau, wo dein Vesuv liegt, nich? Weiß genau, daß da Lavabel rauskommt und alles weiß ich...Ich weiß, wo der Schiefe Turm von Pisa ist, der ist in Pisa, der Mailänder Dom ist in Mailand, der Kölner Dom ist in Köln und das Münchner Oktoberfest wird immer im September jefeiert, bitte. Willste noch mehr wissen, ja?
O: Nein. Nein, ich seh', daß du alles weißt; ich will nur, daß du all das, was du weißt, einmal für fünf Minuten vergißt, um dich dem Zauber dieser Stunde hinzugeben.
P: Was soll ich mich?
O: Du sollst dich dem Zauber dieser Stunde hingeben.
P: Na, also, schön. Ich geb' mich hin. Bitte. Also wo ist der Zauber? Bitte?
O: Paulachen, ist es denn nicht zauberhaft, daß wir beide so ganz allein in einer Gondel durch die Kanäle Venedigs schwimmen?
P: Ja, ganz allein wär's ja wunderschön, aber mich stört der Chauffeur.
O: Was? Was für ein Chauffeur?
P: Mein Gott, was für'n Ch...? Der Mann, der mit der Stange da rumfummelt.
O: Aber das ist doch kein Cho...
P: Sagense ma - hörnsema, was rühren Sie immer auf derselben Stelle, rührense dochmal hier, ist doch auch was los.
O: Aber das ist doch kein Chauffeur, das ist doch ein Gondoliere.
P: Ist mir ganz egal, wie der heißt; der stört mich, der Mann.
O: Wie kann denn der Mann dich störn? Sieh mal, das ist ein Italiener.
P: Hmhm.
O: Der spricht nur Italienisch. Der versteht kein einziges Wort von dem, was wir zwei hier sprechen,
P: Soo...
O: und, Paula, der paßt doch so unerhört in die Stimmung.
P: Ich weiß gar nicht, was du mit der Stimmung immer willst - wir sind doch kein Pärchen auf der Hochzeitsreise, nich?
O: Das weiß ich doch ganz genau. 'S ja auch nicht meine Schuld gewesen, daß wir damals vor drei Jahren das Geld dazu nicht gehabt haben.
P: Meine auch nicht, hab auch gar nicht davon angefangen, nich? War eben bereit, mich dem Zauber und der Stunde und allem wollt' ich mich hingeben, nich?
O: Du kannst einem wirklich den Zauber und die Stunde und die Stimmung, alles kannst du einem verderben.
P: Nein Ot... also, Ottochen, verderben will ich dir nichts, verderben will ich dir nichts, nein, wirklich, also. Kuck bloß mal, Ottochen, kuck bloß mal, wie schön die Abendglocken bimmeln, kucke mal. Aah., und der Campanole, ach in...
O: Campanile!
P: Campanile. Kumma, wie der Campanile aussieht. Wie so'n amerikanisches Hochhaus, kuck mal. Und die Langunzen oder wie die Dinger heißen.
O: Lagunen.
P: Eh...Langusten, ih wie die duften, iih - und das Wasser, Otto! Kuck mal, wie das Wasser glitzert!
O: Wunderbar.
P: Lauter goldene Zigarettenstummel, kuck mal. Und du wirfst mir vor, daß ich kein Geld mit in die Ehe gebracht habe. Immer und immer mußt du stänkern.
O: Bitte? Was muß ich?
P: Stänkern.
O: Nein, wo die Lagunen sa'n, nicht ich.
P: Nein, nicht die Lagunen stänkern, du stänkerst. Wir passen eben nicht zusammen, das merkt man hier besonders, ich...
O: Aber, Paula, wie kommst du jetzt hier plötzlich darauf, daß wir zwei nicht zueinander passen?
P: Mein Gott, weil ich immer 'n natürliches poetisches Empfinden habe, nich?
O: Ach.
P: Deswegen passen wir nicht zusammen.
O: Hm. Mich... ich stör dich, was?
P: Na ja, natürlich, ich hab ein natürliches poetisches Empfinden.
O: Ja, und, du hast doch eben ganz d.. ganz Venedig mit einer ...Inszenierung von Gustav Gründgens verglichen.
P: Ja, da hat Gründgens eben auch ein natürliches poetisches Empfinden, nichwahr?
O: Fra...daß, was man sich damals am Kurfürstendamm unter Poesie vorgestellt hat.
P: Aha, aha. Was hast du eigentlich gegen den Kurfürstendamm?
O: Ich habe nichts gegen den Kurfürstendamm, ich habe nur das gegen den Kurfürstendamm, daß du ihn immer und überall mit dir herumschleppst.
P: Ich schlepp den Kurfürstendamm mit mir herum?
O: Ja.
P: Ich freu mich wie so'n Schneekönig darauf, mit dir mal drei Wochen in der Welt rumzubummeln - du, wo ich schon als ganz kleines Kind, als ich sooo klein war...
O: Ach, nein, nein, so klein, wie du zeigst, ist kein Mensch als Kind.
P: Meine Mutter geburte mich so...
O: Nein, das heißt nicht geburte, das heißt ganz anders!
P: Meine Mutter gebürte mich so...
O: Nein, gebar heißt das.
P: Meine Mutter Otto Gebührte mich, als ich so...als ich so klein war, hab ich schon von Venedig geträumt.
O: Ja?
P: Und jetzt sind wir, und du sprichst dauernd von Berlin und vom Kurfürstendamm.
O: Ich? spreche von...
P: In einer Tour. Du, übrigens, heute habe ich in der Zeitung gelesen, im Dogenpalast, da spielense'n Othello - du, da müssenwer hin.
O: Ach.
P: Da wird das Publikum photographiert, und wir kommen in die Illustrierte, und Grete platzt in Hamburg, wennse das sieht.
O: Ach. O nein, nein, nein. Wir kommen gar nicht in die Illustrierte..
P: Doch.
O: Und Othello? Kannst du mich jagen. Das...Freilichtaufführung. Grauenhaft! Einer macht sich da schwarz und, da wird's ihm heiß, da läuft ihm die schwarze Farbe runter, du, das ganze Stück ist einfach furchtbar dürre. Diese Sache da mit dem Taschentuch..
P: Hm. Was für'n Taschentuch?
O: Aber kuck. Paula. Das ist doch der Inhalt von Othello. Das muß man doch wissen. Der Jago macht doch den Othello mit dem Taschentuch...
P: Mit dem Taschentuch schwarz, nich?
O: Nein! Der Othello ist von vornherein schwarz.
P: Von vorne schwarz und von hinten weiß? Otto!
O: Das gibt's doch gar nicht. Nein. Das Stück heißt doch Othello oder der Mohr von Venedig.
P: Was denn? Zwei Stücke?
O: Nein! Othello ist der Mohr von Venedig...
P: Ach so.
O: Der ist von allen Seiten schwarz.
P: Ja ja.
O: Sieh mal, der Inhalt ist der: der Jago macht den Othello mit einem Taschentuch...
P: Taschentuch macht er ihn weiß, damit er wieder richtig aussieht.
O: Ja, er macht ihm was weis.
P: Aaah.
O: Sieh mal, nein. Der macht ihn eifersüchtig.
P: Ach ist das herrlich.
O: Was ist denn?
P: O-tto. Eifersucht ist doch das Schönste, was es gibt. Da weiß man doch wenigstens, woran mer ist. Das ist schön.
O: Nach aber..he...was du wieder redest! Eifersucht ist doch gerade, wenn man nicht weiß, woran man ist.
P: Woher... du weißt ja natürlich immer, woran du bist - das weiß ich.
O: Ja, sieh mal, ich weiß, daß es hier herrlich ist. Hier braucht man keine Zeitung zu lesen. Ich hatte es mir so herrlich gedacht: wir zwei in der Gondel, ich dachte, der Gondoliere, der würde dann seine Barcarole dazu singen...
P: Mein Gott, ich kann ja nichts dafür, daß wir so'n unmusikalischen Kerl erwischt haben, nich?
O: Wie kannst du denn sagen, daß der unmusikalisch ist? Der ist einfach taktvoll. Der hört, daß wir zwei uns die ganze Zeit streiten.
P: Wir streiten uns? Du sch...
O: Da will er nicht dazwischenschmettern.
P: Du streitest uns. Ich hab uns doch nicht gestritten! Wollte bloß 'n bißchen auf Othello kucken. Du schleifst mich hier 'n ganzen Tag rum, ich muß dauernd in die Luft kucken, ins Wasser kucken, ich bin schon ganz dusselig vom ewigen Kucken. Nichts gönnst du mir, nicht das kleinste Vergnügen.
O: Aber Paula, ich gönne dir doch alles.
P: Gar nichts gönnst du mir. Du gönnst mir gerade, daß ich auf'm Markusplatz die Tauben füttere, das gönnst du mir. Die Biester kriegen sowieso genug zu fressen.
O: Du kriegst natürlich nie genug.
P: Zu fressen? Otto?
O: Na.
P: Otto? Otto? Ich freß dir doch aus der Hand.
O: Ja?
P: Otto, natürlich. Kumma, ich bin doch wirklich eine ideale Frau bin ich. Ich setz mich hier mit dir in diesen albernen Kahn rein...ja, wirklich bloß, weil du sagtst, es ist traum- und zauberhaft.
O: Es ist doch traum- und zauberhaft. Stell dir vor: in so einer Gondel hat schon der Casanova gesessen.
P: Was denn? So alt ist das Ding?
O: Aber...
P: Du, da müssen wir raus hier, daß das Wasser durchsickert.
O: Nein! Bleib doch sitzen!
P: Sagense mal: hier, lassesch...
O: Du schmeißt die ganze Gondel um!
P: Spritzen Sie nich so rum!
O: Ich mein' ja nicht...
P: Du das...
O: Ich mein ja nicht diese Gondel. Sieh mal...
P: Non sputare nella carozza!
O: Nein. Nein. Ich meine, siehmal, so eine Gondel wie dieses ist, in der Casanova gesessen (hat) - sieh mal, du muß dir vorstellen: hier hat Goethe diese wunderbaren venezianischen Epigramme geschrieben...
P: Was hat der? Autogramme gegeben?
O: Nein. Epigramme, diese kleinen, zarten, erotischen Gedichte.
P: Ach, die hat der Casanova gemacht. Ja, ja.
O: Nein! Casanova hat ganz andere Sachen gemacht; hast du gar nicht zu wissen, was der alles gemacht hat.
P: Na ja - das weiß ich aber, was der gemacht hat...
O: Nein! Die zarten, kleinen erotischen Gedichte hat der junge Goethe gemacht.
P: Aha... Was hat'n der alte dazu gesagt?
O: Paula! Paula, das ist doch derselbe.
P: Aaah, das's derselbe.
O: Als er jung war, war er der junge Goethe, und nachher wurde er der alte Goethe.
P: Das weiß doch jeder Mensch, das ist doch ganz klar.
O: Und die eh...
P: So...Goethe war auch also...erotisch war Goethe, ja?
O: Paula, aber...hier muß doch jeder Mann zu einem erotischen Dichter werden; sieh mal: hier spürt man doch mit allen Sinnen, mit allen Fasern...
P: hmm...
O: spürt man hier doch nur eins: Venedig!
P: Ja, und mich spürste gar nich?
O: Natürlich spür ich dich auch. Sieh mal, der Duft deines Haares und ... der Duft deiner Wangen und... Maria della Salute und Campanile ... das verschmilzt alles zu einem einzigen, wunderbaren Erlebnis ...
P: Hach!
O: Hier versteht man doch, daß der Doge seinen Ring ins Meer geworfen hat.
P: Welcher Doofe?
O: Kein Doofer - der Doge. Das Oberhaupt der Republik Venedig hieß der Doge. Und der warf seinen Ring ins Meer*).
P: Der warf seinen Ring ins Meer? Warum denn?
O: Ja, das war eine wunderbare alte Sitte. Sieh mal, der Doge vermählte sich dem Meer.
P: Aach - Polykrates.
O: Nein! Nicht Poly...
P: Polykrates: Er stand auf seines Daches Zinnen und blickte mit vergnügten Sinnen auf das beherrschte Rußland hin...
O: Nein, so heißt das gar nicht.
P: Hab ich in der Schule gelernt.
O: Polykrates ist ein ganz anderer... wo er stand... ich wer's dir erklären. Sieh mal: der Doge heiratete das Meer.
P: Ha'm die Kinder jekriegt?
O: Paula! Man kann doch keine Kinder kriegen, wenn man Ringe in das Meer wirft.
P: Na, das wär ja praktisch, nich? Wirft man einfach 'n Ring ins Meer und hätte Kinder, ne? Nee, untersteh du dich und wirf deinen Ring ins Meer, da hätten mer ja nachher gar nichts mehr davon.
O: Paula, heute schmeißt doch keiner mehr Ringe ins Meer.
P: A - propos Ring!
O: Bitte bitte sag nicht a propos! Wenn du a propos sagst, dann willst du immer was.
P: Ja, ich will, ich will auch was.
O: Du willst doch...
P: Ottochen, ich will, Otto, ich will - samma Otto, könntest du mir, könntest du mir, Ottochen, könntest du mir den Ring schenken, weißt du, den ich gesehen habe bei Rave, du?
O: Wo, wo hast du...
P: Neben dem Büstenhaltergeschäft, weißt du?
O: We-was...?
P: Willst du den mir nicht schenken, du? Du, weißte, den mit dem großen Antisemiten mit den kleinen Rabbinern drumrum? Ja? Könntste den mir schenken, Ottochen, ja? Huhuhu (glucksend)!
O: Paula. Paula - was würdest du sagen, wenn ich diesen Ring schon für dich besorgt hätte?
P: Nein - Otto! O-tto! Ach, Gott, der ist ja herrlich! O-tto, ah, ah, ach, Venedig ist die schönste Stadt der Welt! Ach...
O: Bist du glücklich?
P: Ja, wunschlos glücklich.
O: Hch...wenn jetzt der Gondoliere noch singen könnte...
P: Ooh. Wo hast'n deine Tausend Worte?
O: Ach, da brauch ich keine Tausend Worte, das kann ich...Eia alla eia allala...Signore...'n'e...andante, adagio, cantate..öh..öh..eh..serenata..
G: Si si, Signore, he capisco.
P: Siehste, der hat dich verstanden.
G: Ja grün ist die Heide, die Heide ist grün, aber rot....
(Beifall)

------------------------
*) siehe Fest der "Sensa" hier

Transkription und Links (c) Dr. W. Näser, MR, 18.6.2k7 * Änderungen und Ergänzungen vorbehalten * Nur zu didaktischen Zwecken *
Der zugrundeliegende Sketch wurde 1978 vom Bayr. Rundfunk innerhalb einer "Komiker-Parade" ausgestrahlt. U.a. wirkten mit: Karl Valentin ("hier ist der Buchbinder Wanninger"), Hans Moser (der Dienstmann), Adolf Gondrell ("Ein Münchner im Himmel", -> Inhalt) und Loni Heuser, die vermutlich die Rolle der Paula gesprochen hat. Reizvoll sind hier im auf (durch Bildungsdefizite begründete) Mißverständnisse ausgelegten Diskurs entstehende Wortspiele und dabei die ständigen Wechsel von Umgangssprache und gehobenem Standard. Stand: 18.7.2k7
Sollte die urheberrechtliche Situation gegen diese meine Transkription sprechen, bitte ich um Nachricht und werde gegebenfalls den Text sofort aus meiner Website nehmen. W.N.