INT. SOMMERKURS DER PHILIPPS-UNIVERSITÄT 1993 
              * LITERATUR UND MEDIEN *       
                Kurs 6: Dr. Wolfgang Näser  
 
Text 11:

   Ausschnitte aus Joseph von STERNBERGs Spielfilm "Der Blaue Engel" 
   nach dem Roman "Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen" (1905) 
   von Heinrich MANN (1871-1950). Transkription: Wolfgang NÄSER 
 
   Gymnasialprofessor Raat, mit Spitznamen Unrat wegen seiner starren 
   tyrannisch-chauvinistischen Art, will ungehorsame Schüler in der 
   Nachtbar "Zum blauen Engel" aufspüren und überführen, gerät dabei 
   in die Netze der leichten Tänzerin Rosa Fröhlich, erfährt einen 
   Ausbruch verdrängter Erotik, heiratet Rosa, wendet sich gegen eine 
   zementierte Gesellschaft, macht seine Villa zum Vergnügungs- und 
   Spieletablissement, provoziert die Gesellschaft, deren Unrat und 
   Anarchie heraufschwemmt, und wird endlich, wegen Diebstahls, von 
   der Bildfläche entfernt. 
   (Albrecht WEBER: Deutsche Literatur in ihrer Zeit, Band II, Frei- 
   burg u.a. 1979, SW. 143) 
 
Carl ZUCKMAYER (1896-1977) schrieb das Drehbuch zum Spielfilm, der, mit Emil 
JANNINGS und Marlene DIETRICH in den Hauptrollen, 1930 von Joseph von STERN- 
BERG inszeniert wurde. "Professor Dr. Rath" verliert im Film viel von seiner 
"tyrannischen" Art, wird im Gegenteil zum einsamen, bedauernswerten, sich 
nach Geborgenheit und Zuwendung sehnenden, durchaus an moralischen Werten 
orientierten Kleinbürger, der, aus seiner Enge ausgebrochen, einen erschüt- 
ternden Niedergang erlebt, zu einem Nichts entwürdigt und schließlich tot 
aufgefunden wird, über das Lehrerpult "seines" Klassenzimmers gebeugt und 
mit den Händen fest ins Holz verkrampft. "Üb immer Treu' und Redlichkeit", 
das mahnende Glockenspiel, und die düstere Hafen-Sirene werden zum Leitmotiv. 
 
Zuckmayer hat die Dialoge gestrafft. Im Gegensatz zum "Hauptmann von Köpe- 
nick", dessen Soundtrack auch als "Hörspiel" dienen könnte, spielt im 
"Blauen Engel" der technisch noch in den Kinderschuhen steckende Film-Ton 
eine bescheidenere Rolle, tritt streckenweise ganz zurück zugunsten der 
optischen Szenerie. Aus diesem Grunde habe ich Ausschnitte gewählt (und 
transkribiert), die vom Dialog her in sich geschlossener und vor allem 
sprachlich interessant sind, nicht zuletzt deshalb, weil auch hier ver- 
schiedene Sprach - E b e n e n  zur Charakterisierung dienen. 
 
Marlene DIETRICH wurde weltbekannt durch diesen - mittlerweile 63 (!) Jahre 
alten, in seinen "Kabarett"-Szenen keineswegs verstaubt wirkenden Film. Ihre 
Lieder wurden zu "Evergreens" und setzten gleichsam einen Schlußstrich unter 
die - mit dem Paukenschlag der Weltwirtschaftskrise zuendegegangenen - wilden 
Zwanziger Jahre: 
 
   [1]  Ich bin die kesse Lola, 
        Der Liebling der Saison. 
        Ich hab ein Pianola 
        Zu Haus in mei'm Salon. 
        Ich bin die kesse Lola, 
        Das liebt ein jeder Mann, 
        Doch an mein Pianola, 
        Da laß ich keinen ran. 
 
        Doch will mich wer begleiten, 
        Da unten aus dem Saal, 
        Dem hau' ich in de Seiten 
        Und tret ihm uff's Pedal. 
 
   [2]  Kinder, heut' abend, da such ich mir was aus, 
        Einen Mann, einen richtigen Mann. 
        Kinder, heut' abend, da nehm ich mit nach Haus 
        Einen Mann, einen richtigen Mann. 
        Einen Mann, dem das Herze noch in Liebe glüht, 
        Einen Mann, dem das Feuer aus den Augen sprüht. 
        Kurz: einen Mann, der noch küssen will und kann, 
        Einen Mann, einen richtigen Mann. 
 
        Frühling kommt, der Schmerling zieht 
        Duft aus Blütenkelchen - 
        Bin in einen Mann verliebt 
        Und weiß nicht, in welchen. 
        Ob er Geld hat, is' mir gleich, 
        Denn mich macht die Liebe reich. 
        Kinder, heut 'abend ... 
 
        Männer gibt es, dünn und dick, 
        Groß und klein und kräftig, 
        Andere wieder schön und chic, 
        Schüchtern oder heftig. 
        Wie er aussieht, mir egal, 
        Irgendeinen trifft die Wahl - 
        Kinder, heut' abend ... 
 
Gleichsam zur Kultfigur wurde die Dietrich mit dem Chanson 
 
        Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, 
        Denn das ist meine Welt, 
        Und sonst gar nichts. 
        Das ist, was soll ich machen, meine Natur, 
        Ich kann halt lieben nur 
        Und sonst gar nichts. 
        Männer umschwirr'n mich 
        Wie Motten um das Licht, 
        Und wenn sie verbrennen, 
        Ja dafür kann ich nicht. 
        Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, 
        Ich kann halt lieben nur 
        Und sonst  g a r  n i c h t s ! 
 
Auf diese "femme fatale" trifft der bieder und steif wirkende Gymnasialpro- 
fessor, als er seinen Schülern in das verrufene Nachtlokal "Der Blaue Engel" 
nachgegangen und in Lolas Garderobe geraten ist: 

   (Szene 1)
 
L:      Nanu? Was machen Sie denn in mei'n Schlafzimmer? 
R:      Sie sind - also - die Künstlerin Lola-Lola. 
L:      Sind Sie vielleicht von der Polizei? 
R:      Sie irren, mein Fräulein. Ich bin - Doktor Immanuel Rath, 
        Professor am hiesigen Gymnasium. 
L:      Deswegen könn' Se ruhig in meiner Garderobe 'n Hut abneh'm. 
        [...] 
L:      Was woll'n Sie denn eigentlich hier? 
R:      Ich bin hier in amtlicher Eigenschaft. Sie verführen meine Schüler. 
L:      Ausgerechnet. Denken Sie, ich hab hier'n Kindergarten? 
 
 
    Die folgenden beiden Ausschnitte verdeutlichen, welchen diametralen 
    Wandel die Hauptgestalt Immanuel RATH in diesem Film durchmacht. 
 
    Szene 2: "Was hast du denn da für einen Bräutigam angelacht?" 
    Der "Theater-Direktor" im Gespräch mit dem Gymnasialprofessor 
    in Lolas Garderobe 
 
    Personen: KIEPERT, Direktor und Zauberkünstler 
              RATH, Gymnasialprofessor 
              Eine Tänzerin 
              LOLA, Sängerin 
 
R:      (zögernd, unsicher) Wo hab ich nur - meinen Hut? 
T:      (eintretend) Ich trinke nicht mehr. 
K:      (aufgebracht )Sie haben zu saufen, meine Damen! Das 's heut mit 
        Ihrer Kunst allein drin. Wennse nicht mehr saufen woll'n, schmeiß 
        ich Sie raus. 
T:      Diese Dividendenjauche - 
K:      (herrisch) Maul halten! Ein für allemal Ruhe! 
        (vorwurfsvoll) Was haste dir denn da für'n Bräut'jam angelacht? 
L:      Nur der Professor von'n Schuljungen. 
K:      Hm? Professor? 
R:      Am hiesigen Gymnasium. Doktor Immanuel Rath. 
K:      Dann passen wir ja beide zusammen. 
R:      Wieso? 
K:      Kunst - und Wissenschaft. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: 
        Kiepert, Direktor und Zauberkünstler (zu Lola, flüsternd, vorwurfs- 
        voll) Warum hast du mich denn da nicht gleich rufen lassen! 
        Ich freue mich sehr, einen von den Herrn Honoratioren persönlich 
        bei mir begrüßen zu können. 
R:      Ich bin hier - 
K:      Ich weiß: wie zu Hause. 
R:      Nein, ich bin hier - 
K:      Na, ich seh ja, daß Sie hier sind. Ich freue mich ja darüber. 
        (zu Lola, aufgebracht) Warum hast du mich denn nicht rufen lassen? 
        Bin ich der Direktor oder bin ich's nicht? 
L:      Alter Ochse biste. 
 
        Die Inspizientenklingel ertönt. 
 
K:      Raus, mach deine Nummer! 
L:      Mensch, mach dir bloß keen' Fleck. 
 
        Musik ertönt von der Bühne her, dann wird eine Tür geschlossen. 
 
K:      Fabelhaftes Weib. - Herr Professor, ich muß sagen, Sie ha'm wirklich 
        einen tadellosen Geschmack. 
R:      Was fällt Ihnen denn ein? 
K:      Herr Professor, regense sich doch nich auf, wir sind doch beide 
        unter uns. Ich mach die Sache schon, das wollense doch sooo - 
R:      (energisch, bestimmt:) Ich bin hier wegen meiner Schüler! 
K:      Schüler? 
R:      Sie beherbergen meine Schüler! 
K:      Ich? 
R:      Ja! (von der Bühne her erklingt Lolas Gesang) 
K:      Aber was, hier verkehren doch nur - 
R:      Elender Lügner! 
 
        Rath entdeckt einige Schüler, es entsteht ein Handgemenge. 
        Laß das, halt, hierher! Bube! Bleib! Hierher! Stehn-stehenbleiben! 
        (eine Tür wird zugeschlagen) Stehnbleiben! Halt! Halt! 
 
        Lolas Gesang wird lauter, dann tosender Beifall. 
        Halt! Halt! Bleiben Sie stehen! 
 
 
   Szene 3: "Dieser Abend ist entscheidend für deine Laufbahn". 
   RATHs letzte und größte Erniedrigung 
 
   Professor Rath ist schon lange nicht mehr an seiner Schule. Die "Theater- 
   Truppe" ist - nicht ohne seine Mithilfe - zu Erfolg und Wohlstand gekommen. 
   Man ist in verschiedenen Städten herumgetingelt und nun in RATHs Heimatstadt 
   zurückgekehrt, um hier - als besondere Attraktion - RATH als Clown zu prä- 
   sentieren. Die Vorstellung ist ausverkauft. Die anschließende Szenenfolge, 
   Schlußkapitel des Films, soll als ganzes wiedergegeben werden, kontrastiert 
   sie doch mit Ausschnitt 2, wo RATH noch in, wie er glaubte, ganzer WÜRDE 
   auftrat. 
 
        Begleitet von einem nun wesentlich "professioneller" klingenden 
        Orchester, singt LOLA auf der Bühne: 
 
        Nimm dich in acht vor blonden Frau'n, 
        Sie haben so etwas Gewisses. 
        's ist ihnen nicht gleich anzuschau'n, 
        Aber irgendetwas isses. 
        Ein kleines Blickgeplänkel sei erlaubt dir, 
        Doch denke immer: Achtung vor dem Raubtier! 
        Nimm dich in acht vor blonden Frau'n, 
        Sie haben so etwas Gewisses! 
        (danach Bravo-Rufe, tosender Beifall) 
 
        RATH wird in der Garderobe von Kiepert, der auf ihn einredet, 
        geschminkt. Dessen Frau Guste (GK) beteiligt sich am Gespräch. 
 
K:      Der heutige Abend ist entscheidend für deine ganze Karriere. Wenn 
        jetzt alles klappt, bist du ein gemachter Mann. Skala Berlin, Al- 
        hambra London, [...]. Hippodrom New York, - 
GK:     Hör doch auf! Der bekommt ja Größenwahn. Vorläufig sind wir noch 
        im Blauen Engel. 
K:      Nur Miesmachen, das kannst du. 
GK:     Was kannst du denn schon ... 
K:      Ach quatsch mich nich an. - Wo 's'n die Nase? 
GK:     Nase? 
K:      Naja, die Nase, du hastse doch gehabt! 
GK:     Ich hab jedacht, du hast sie gehabt! 
K:      I c h hab sie gehabt. 
GK:     Lassen Se sich nicht nervös machen. Ich weiß, was in Ihnen vorgeht, 
        Professorchen. Ich war genau so aufgeregt vor zwanzig Jahren bei 
        meinem ersten Erfolg. 
K:      Willst du endlich für'n paar Minuten mal deinen Mund halten, ja? 
 
        Von der Bühne her erklingt Musik. Der Inspizient kommt herein. 
 
I:      Stühle, Stühle! Der Zweite Bürgermeister ist auch da! 
GK:     Der Bürgermeister? Da riskier ich 'n Aug'. 
I:      Nur nicht aufgeregt sein, Herr Professor! - Total ausverkauft! 
        Alles ist da! Da wer'n Sie was erleben. Ihre Kollegen! Ihre Schüler! 
        Alles ist da, und so'n Betrieb! Nur nicht aufgeregt sein, Herr Pro- 
        fessor... 
 
        Von der Bühne her ist Lolas Gesang zu hören, dann klappt eine Tür. 
 
K:      Sehr richtig, hat ganz recht. Nur nicht aufgeregt sein! 
        (Die Inspizientenklingel ertönt) Laß dich nicht nervös machen! 
        Nimm dir ein Beispiel an mir! (Die Klingel ertönt zum zweiten Mal) 
        Jetzt geht's um die Wurscht! 
 
        Die Tür öffnet sich kurz, die Bühnengeräusche strömen herein. 
        MAZEPPA, LOLAs neuer Geliebter, ein junger Schönling (gespielt von 
        Hans ALBERS), erscheint. 
 
M:      Wenn ich mal 'ne schöne Frau seh', dann geh' ich auch gleich richtig 
        ran. Dafür bin ich nun mal bekannt. 
L:      (zu RATH, unschuldig tuend) Was hast du denn? Was machst'n für'n 
        Gesicht? Immer wenn ich mal 'n bißchen gute Laune habe, markierst 
        du'n Bajazzo. 
M:      Was's denn los hier? Ach, 'n bißchen dicke Luft, was? Na ja, das 
        kommt in'n besten Familien vor, hm. Gestatten Sie, daß ich mich 
        bekannt mache? Mein Name ist Mazeppa, Hans-Adalbert Mazeppa, 
        Kraftakt. (Die Klingel ertönt zum dritten Male) 
L:      (zu RATH) Was sitzt'n noch hier rum? Geh raus, mach dein' Klamauk! 
K:      Was hat'n der Olle? 
M:      Na, Herr Kollege? Hm? Bißchen ..., was? Kann nie mehr schaden! 
        (geht mit  Lola hinauf) Der Junge is nich ganz richtig. 
        (von oben hört man die beiden lachen und scherzen; dann öffnet 
        sich kurz die Tür zur Bühne) 
GK:     Um Gottes willen, wo bleibt ihr denn? (zu RATH) Was is'n mit 
        Ihnen? Was ham' Sie denn? Lola, komm runter! 
R:      (bestimmt, sich steigernd) Ich trete nicht auf! 
K:      Was fällt dir denn ein? Bist du wahnsinnig geworden? Du kannst mich 
        doch jetzt nicht im Stich lassen eine Minute vor'm Auftritt! (von 
        der Bühne her Aufruhr) Das geht doch nicht, Mensch! (Tür wird zu- 
        geschlagen) 
L:      Was ist denn dir in die Krone gefahren? Du willst nicht auftreten? 
        Du  w i r s t  auftreten. - Perücke aufsetzen! (Tumult von der Bühne 
        her; der Inspizient erscheint) 
I:      Was hör ich? Sie woll'n nich auftreten? 
K:      (dazwischen) Natürlich wird er auftreten. 
I:      (sich steigernd) Sind Sie wahnsinnig geworden? (der Direktor redet 
        dazwischen) Bei mir gibt's sowas nicht! 
K:      (leise) Los raus, Mensch, los! 
I:      (herrisch) Raus! 
 
        Pfeifen, Johlen, "Schiebung"-Rufe aus dem Zuschauerraum. Dann ein 
        Tusch, Beifall. 
 
K:      Meine sehr verehrten Damen und Herrn. Ich bitte Sie für die kurze 
        Pause um Entschuldigung - eine kleine technische Störung. 
 
        Aus dem Zuschauerraum ein Zwischenruf: 
        Hat wohl eener Bauchschmerzen, was? (anhaltendes Gelächter) 
 
K:      Sie wer'n aber reichlich entschädigt werden durch die jetzt sofort 
        auftretende wahrhaft internationale Zaubernummer. (Beifall) 
        Innerhalb dieser Darbietung gestatt' ich mir, Ihnen als - eh - 
        ganz besondere Attraktion einen Mann vorzustellen, den Sie ja alle 
        durch seine jahrelange, hervorragende pädagogische Tätigkeit (Tumult, 
        Pfui-Rufe) pädagogische Tätigkeit am hiesigen Gymnasium kennen. 
 
        Zwischenruf aus dem Publikum: 
        Raus mit dem Professor! (die Menge wiederholt den Ruf, dann weiter 
        Tumult) 
 
K:      Ich seh' schon, meine Damen und Herrn, ich brauch' Ihnen gar nichts 
        weiter zu erzählen; ich will Ihre Ungeduld auch nicht länger auf die 
        Folter spannen: es handelt sich um unsern beliebten Professor Imma- 
        nuel Rath (Bravorufe, Beifall, auch Zustimmungspfiffe) 
 
K:      (zu RATH) Jetzt aufpassen! Du schmeißt mir sonst die ganze Nummer! 
        Los, los! 
 
        RATH betritt die Bühne, vom Zuschauerraum höhnisch begrüßt mit "Da 
        kommt er ja, der Professor", darauf Johlen, Pfiffe, Pfui-Rufe, Tu- 
        mult, der dann plötzlich abbricht. 
 
K:      Meine Damen und Herrn, darf ich - vorstellen: August, mein - Zauber- 
        lehrling. Herr Professor - (Klaviermusik beginnt) Meine sehr verehr- 
        ten Damen und Herrn, wie Sie sehen, arbeite ich ohne jede äußere 
        Hilfsmittel, lediglich mit meinen beiden Händen, mit meinen zehn - 
        Fingern. Was ich hier zeige, meine sehr verehrten Damen und Herrn, 
        ist ein ganz gewöhnlicher Zylinderhut. Ein original englischer Zy- 
        linderhut, ohne doppelten Boden, ohne Geheimtür, ohne Versenkung. 
        Diesen Zylinderhut, meine sehr verehrten Damen und Herrn, setz' ich 
        jetzt - auf den Kopf - meines August und - werde mir erlauben, Ihnen 
        sofort eine lebende Taube darunter hervorzuzaubern. Meine sehr ver- 
        ehrten Damen und Herrn, ich weiß, daß Sie alle annehmen, der Zauber- 
        künstler hat jetzt schon die Taube daruntergesetzt: o nein, Sie irren 
        sich. (lüftet den Zylinder) Bitte: leer (zeigt auf RATHs Kopf) leer - 
        alles - leer (Gelächter) Bitteschön: hier noch ein anderer Beweis: 
        ein Dolch - bitte - eins - zwei - drei - vier. Meine Damen und Herrn, 
        bekommen Sie keinen Schreck, wenn Sie diesen Revolver in meiner rech- 
        ten Hand sehen (Schuß - dann fliegt Taube auf) - und schon hat mein 
        August keinen Vogel mehr. 
 
        Aus dem Zuschauerraum empörte Rufe: "Solche Schweinerei - die Poli- 
        zei muß her" usw., Tumult gemischt mit Beifall. Der Inspizient setzt 
        die Spielszene fort: 
 
I:      (fordernd) Herr Direktor: meine Eier sind mir allejeword'n. Möchten 
        Sie mir welche herzaubern? 
K:      Selbstverständlich, Herr Direktor, natürlich, mit großer Freude, 
        kann ich das. Meine Damen und Herrn, ich werde mir also erlauben, 
        Ihnen sofort einige Eier aus der Nase meines August (lautes Geläch- 
        ter, Pfiffe) - hervorzuzaubern (zu RATH) Nimm doch deine Gedanken 
        zusammen, August. (vorwurfsvoll, gleichzeitig jovial) Du warst doch 
        schließlich mal Professor! (kurz Gelächter, Pfuirufe) 
        Meine sehr verehrten Dam'n und Herrn, ich weiß, Sie nehmen alle an, 
        mein August hat die Eier bereits unter sei'm Zylinder. Weit gefehlt! 
        (greift unter den Hut) - Nur ein Täubchen! (Tusch, dann Tumult im 
        Zuschauerraum) - Noch ein Täubchen (Tumult, dann Ruf "Eier legen!") 
        Sofort, meine sehr verehrten Damen, sofort! Sie werden gleich - be- 
        dient! Eins - zwei - drei - Ein Ei. (zu RATH) Wo bleibt'n dein "Kike- 
        riki", Mensch? - Ein echtes - Hühnerei. Bitte - (schlägt es auf RATHs 
        Kopf entzwei; wieder Tumult, Ruf "Mehr Eier legen!") 
K:      (zu RATH) Wenn de jetzt nich krähst, ich schlag dich tot! - Nochmal: 
        eins - zwei - drei - ein Ei. Ein original echtes Hühnerei. Bitte - 
        (schlägt es wieder auf RATHs Kopf entzwei; wieder Gelächter) 
K:      (zu RATH) Na? Kräh! Kikeriki machen! Kikeriki! Kikeriki! (zu RATH, 
        erst leise, dann sich steigernd) Wenn du jetzt nicht Kikeriki machst, 
        ich bring dich um! Kikeriki! Mach dein Kikeriki! 
R:      (in eine gleichermaßen erwartungsvolle wie beängstigende Stille hin- 
        ein, erst verhalten, dann schluchzend und lauter): Kikeriki! Kikeri- 
        kii! Kikerikiii! Kiii - kerikiii! (läuft hinaus; Ratlosigkeit bei 
        den Zuschauern; Pfiffe. RATH läuft in die Garderobe, ständig hyste- 
        risch "krähend", um sich schlagend) 
L:      Was hast du denn? Ich hab doch nichts getan! Was willst du denn von 
        mir? 
R:      (kräht weiter; polternde Geräusche, LOLA schreit mehrmals, dazwischen 
        Tumult im Zuschauerraum) 
K:      Herr Professor! Komm mal rein, hilf doch mal'n bißchen hier! Komm 
        mal rein! 
        Die Szene schließt tumultartig, plötzlich bedrückende Stille. 
 
K:      Komm her - Was hast du nötig jehabt? Versteh dich gar nicht, bist 
        doch'n feiner, gebildeter Mann! - Alles wegen einem Weib - ruh dich 
        aus (bedrückt und stockend) wer' schon alles - wieder in Ordnung - 
        bringen. 
 
        [...] 
        Beifall, dann beginnt Lola, eine veränderte Lola, zu singen: trium- 
        phierend, mit fester, harter, unerbittlich entschlossener Stimme: 
 
        Ich bin von Kopf bis Fuß ... 
 
        Düster klingt die - zum Leitmotiv gewordene - Hafensirene. 
        RATH schleicht sich in seine ehemalige Schule, der Pedell öffnet... 
 
                               -.-.-.-.-.-.-.-.- 

(c) Wolfgang Näser 5/93 * 010896