W. Näser: Textsorten
Blogs (web logs; hier
Wikipedia-Definition)
sind eine für demokratische Gemeinschaften typische neue Form
der Meinungsäußerung. Sie nehmen Bezug auf aktuelle Ereignisse
oder formulieren persönliche Gedanken. Meist in Foren
oder Soziale Netzwerke eingebunden, richten sie sich an eine
entsprechende "Community", regen an zum Nachdenken und zur
Diskussion; nicht selten sind sie deshalb provokatorisch und
politisch unkorrekt. Hier einige meiner 2010 im sozialen Netzwerk
"Wer kennt wen"
veröffentlichten Blogs (regressiv gelistet)
Entschuldigt die Wehrmacht, habe nur einen Witz gemacht und mir Gedanken,
einen Blog über machen zu machen. Das macht doch sicher nix. Wer die
Macht hat, macht viel, vor allem Geld (manchmal auch Mist). Und braucht sich
keine Sorgen zu machen, wenn er sich morgens die Haare macht und abends die
Nägel. Wenn ihm wer Frühstück macht und das Essen Spaß
macht, die Sachen braucht er nicht später in den Kühlschrank zu
machen, Hauptsache, er hat mit der Zigarre kein Loch in die Decke gemacht.
Mann, er muß sich mit Mach 2 ins Büro machen, da gibts noch viel
zu machen. Bloß keinen Ärger machen, das macht 'nen Strich durch
die Pläne, die er gemacht hat.
Sein Sohn hat sich fertiggemacht für die Schule, die Aufgaben hat er
nicht gemacht, das macht den Lehrer wütend, das macht ihn heiß,
einer muß das Fenster aufmachen.
"Machmud, mach mit!" Aber der träumt, auch wenn der Lehrer einen Witz
macht: "He deals in trousers - er macht in Hosen", oder in Geschi, über
die Zone, "Von einem, der rüber macht". Machmud macht Unsinn und
trödelt, so macht er als letzter das Licht aus und die Tür zu.
Dann macht er sich vom Acker, macht in der Stadt rum, später mit der
Freundin, abends machen sie Pachtieee. Als er die Augen zu macht, ist es
sechs, dann macht ihn schon der Wecker wach.
Ja, die Schule macht ihn fertig. Der große Macher ist er nicht, er
muß noch viel mehr Eindruck machen, sich aber erstmal einen Kopf, wie
man machen durch andere Wörter ersetzen tut. Was machts schon, er wirds
machen.
(c) W. Näser 16.11.2010
2. Uncool ist uncool
13.11.10, 11:16
Ja, was ist denn das? Was soll das heißen?
Geduld, liebe Leute. Erstmal müssen wir klären, was cool ist und
woher dieser Ausdruck kommt. Er kommt, sage ich mal ganz provokativ, einer
amerikanischen Unkultur, die immer mehr auch in deutschen Medien
präsentiert wird (ich meine damit nicht den früheren "American
Way of Life" mit den Big Bands, großartigen Sängern wie Frank
Sinatra usw.).
Ich sehe viel fern und schaue mir öfter die TV-Programmzeitschriften
an. Was da kommt, in RTL, Sat1, Pro7, Kabel usw, ist größtenteils
Müll, nur mit dem Problem, daß sich jede Tonne, die was auf sich
hält, schämen würde, wenn man ihn hineintäte. Da wird
geschlagen, geschossen, getötet, da fließt Blut, da explodiert
was in grellem Feuerball, es vergeht schon in der Werbung kaum eine Minute
ohne schnelle Bildwechsel, denen kein Gehirn folgen kann, und ohne das
abstumpfende Gehacke, das jeder Arbeiter in einer metallverarbeitenden Fabrik
ohnehin genug erleben kann. Action pur. I want it now. Wirklich?
Der ohrenbetäubende Techno, die primitive Lady Gaga, Bruce Willis in
Stirb langsam Teil X, alles total angesagt, alles voll cool. Währenddessen
läuft vieles an Euch vorbei, wunderschöne melodische Musik, die
kein Lehrer mehr anbietet, wenn er cool sein will, poetische Filme, in denen
es auch mal ruhig ist, und Literatur, bei deren Lesen man im Kopf fernsehen
und so eine kreative Phantasie entfalten kann.
Da gibt es, nicht weit vom Konfirmandenunterricht, eine Jugendbibliothek,
einer will sie sich ansehen, wird aber sofort zurückgehalten. Mann,
so was ist uncool. Und Plakate von Konzerten, die nicht einmal stattgefunden
haben, werden von der Litfaßsäule abgerissen. Unkultur ist cool.
gell?
Irgendwann einmal entdeckt ihr, daß all dieses Coole von einem System
kommt, das Euch ausnimmt, das Euer Geld will und Eure Seele. In einen hohlen
Kopf geht viel Müll. Vielleicht erkennt Ihr irgendwann, daß Ihr
diesen Müll gar nicht braucht und daß dann diese ganze
Medienmüllindustrie Euch am Arsch vorbei geht. Dann erkennt Ihr, daß
Ihr souverän seid, Euer Leben selbst und aus eigener Kraft gestaltet
und daß Ihr diesen Sieg und dieses Glück auch an andere weitergeben
könnt. Dann pfeift Ihr auf Cool und Uncool und seid ganz einfach - Menschen.
Ja, ich lese es immer wieder. Marco B., Tanja S. oder irgendwelche
Fantasie-Namen. Leute, habt ihr denn keinen Mut, eure Namen auszuschreiben?
Schämt ihr euch eures Namens?
Tut mir leid, ich verstehe das nicht. Wenn ich irgendwo bin, in einem Forum
oder hier in WKW, und wenn ich da was schreibe und meine Ansicht zu irgendwas
mitteile, dann stehe ich doch dahinter, dann bin ich bereit, Verantwortung
zu übernehmen und zu tragen für mein Handeln - Sprechen und Schreiben
inklusive!
Mein Gott, wir leben doch - zumindest nominell - in einer Demokratie,. jede(r)
von uns kann mitwirken am Ganzen, auch mit seinen / ihren Ansichten, mit
Kritik und Vorschlägen, aber dann bitte so, daß man antworten
kann, daß man weiß, wer hinter einer Meinung steht.
Nehmt mir das nicht übel: abgekürzte oder sonstwie kryptische Namen
halte ich ganz einfach für feige, genau so feige wie wenn jemand unter
einem unheimlich stark und kämpferisch anmutenden Fantasienamen sich
in ein Forum einklinkt und da seine Ansichten kund tut. Sich verstecken ist
feige, und bringt auch nichts, aber sich zeigen und sich stellen - auch gegen
potentielle Angriffe: das ist stark !
Denkt mal darüber nach, denken kostet nichts, und die Gedanken sind
ja (noch) frei.
Die bittere Aussage eines Publizisten, wir amüsierten uns derzeit zu
Tode, wurde am vergangenen Wochenende leider Realität - zumindest für
20 junge Menschen, die unter unwürdigsten Umständen und ohne Not
sterben mußten. Ohne Not, weil sie freiwillig hingingen, das Schicksal
nicht über sie hereinbrach wie etwa bei einem Bombenangriff auf Menschen,
die sich in Sicherheit wähnen und nicht in Gefahr begeben.
Dance or die. 20 Tote und über 500 zum Teil schwer Verletzte, das ist
die Bilanz eines Massen-Events, bei dem es um viel Geld ging und um Prestige.
Profitsüchtige Politiker und habgierige Unternehmer konnten nicht genug
kriegen. Selbst nachdem sich das Furchtbare ereignet hatte, machten die DJs
ungeniert weiter, dröhnten aus übergroßen Boxen
ohrenbetäubende Folter-Rhythmen, es wurde gesoffen, Arme wurden hochgerissen
und Grimassen geschnitten, bis man erst sechs Stunden später die
Elektro-Hölle abstellte. Das "Fest" solle "ruhig ausklingen", hatte
die Leitung gesagt - auch eine Spielart von Menschenverachtung.
Und dann gab es eine Pressekonferenz. Betretene Mienen, hilfloses Gestammel,
vorformulierte Betroffenheit, keiner übernimmt die Verantwortung. Im
Tunnel sei niemand zu Tode gekommen, so der stellvertretende Polizeichef.
Fritz Pleitgen, der Oberguru, bleibt außen vor.
Kulturhauptstadt Ruhrgebiet. Größenwahn. Wer hat das Giga-Event.
Wer beatet mehr. Und der Kommerz. Alles wird vermarktet. Auf den Wagen
professionelle Go-go-Girls. Eine amorphe Masse wird alkoholisiert, beschallt,
verarscht, verdummt. Lemminge haben mehr Würde.
Es wäre doch schade, gäbe es keine Love-Parade mehr, sagen einige,
die es besser wissen, doch den Kanal noch nicht voll haben. Es müsse
nun ermittelt werden, sagen andere. Das kennen wir schon, von einigen Politikern,
die brutale Aufklärung verlangten und sich dann noch lange im Sattel
hielten.
Es muß weiter gehen, sagen die, die gnadenlos absahnen. Die davon leben,
wie sie Millionen verarschen. Die sich beruhigt zurücklehnen können,
weil ihnen nichts passiert. Es gibt schließlich die Lobbyisten,
Büro-Nachbarn der Abgeordneten, die Lobbyisten machen die Tischvorlagen
für die Ausschußsitzungen. Ausschuß - ist das nicht auch
ein Synonym für Müll?
Ja, es geht weiter, mit dem Flatrate-Saufen, mit eimerweiser Sangria im
Ballermann, mit den Dröhn-Discos. Niemand bekommt die Konzession entzogen,
wenn er immer weiter aufdreht, bis das letzte Ohr kaputt ist. Kaputte Ohren
kann man nicht heilen. Hunderttausende Schwerhörige im Jugendalter,
da freut sich die Hörgeräte-Lobby. Neue, schicke Design-Hörhilfen
für die Jugend, da klingeln die Kassen. Und viele neue Therapieplätze
für die Komasäufer, dafür ist noch viel Geld da, das in Schulen
und Kindergärten fehlt.
Fun ist alles. No risk, no fun. Amüsiert euch nur weiter, es gibt noch
so viele Events, laßt euch berieseln, verarschen, verdummen, sauft
bis zum Umfallen, setzt euch vor die Disco-Boxen, behaltet die Walkmanhörer
auf und genießt den Sound eines startenden Jumbo-Jets, macht ja nix,
euch geht das alles am Arsch vorbei. You want it all, was später kommt,
ist eh egal.
Man könnte heulen - aber was hilft's. Vielleicht stirbt die Hoffnung
wirklich zuletzt.
Gemach, gemach ... bitte mich nicht schon jetzt in der Luft zerreißen
...
Was sich da gestern am frühen Nachmittag vor laufenden Kameras abspielte,
war eines Bundespräsidenten und seines Amtes unwürdig. Es war so
seltsam, daß man sich hätte fragen können, ob das nicht etwa
eine von LORIOT inszenierte Parodie sei. Mit versteinerter Miene marschieren
da zwei Gestalten hinein, wie ferngesteuert - deshalb meine
Überschrift.
Und dann die schwache Begründung. Lieber Herr Köhler, der
Straftatbestand der Majestätsbeleidigung ist längst abgeschafft
- und: wollen Sie so schmählich das Handtuch werfen wie weiland Wilhelm
der Zweite?
Ich denke ganz banal an die vielzitierte beleidigte Leberwurst. Was wir brauchen,
sind standfeste Leute, die sich der Kritik stellen und nicht gleich Aua rufen.
Die Regierung ist kein Kindergarten (das gilt auch für Roland Koch),
und es ist eines Ersten Mannes im Staate unwürdig, sich wie ein getretener
Mops oder begossener Pudel leise wimmernd davonzuschleichen. Man geht nicht
einfach aus einem solch ehrenvollen Amt. Und man benimmt sich als
souveräner Würdenträger auch nicht wie eine Mimose. Mimosen
gehören ins Gewächshaus, nicht auf den Chefsessel im Schloß
Bellevue.
War das wirklich Horst Köhler? Oder ein Doppelgänger? Oder ein
Avatar? Ich kann es nicht glauben, daß Monsieur le Président
de la République so von der Szene abgeht ...
Glückwunsch, Lena, jetzt bist du ein Star...
In grauer Vorzeit, als das Deutsche Fernsehen seine ersten Nachkriegsjahre
absolviert hatte, gab es jedes Jahr im kargen Tagesprogramm eine Sendung,
die so festlich war und so schön, daß sich alle darauf freuten
- es war wie Weihnachten. Auf dem schwarzweißen Bildschirm ein Kranz
mit den Buchstaben EUROVISION, dazu erklang eine feierliche Melodie. Daß
sie der Ouverture eines französischen
Barockwerkes entstammt, war schon damals nicht bekannt. Das Te Deum von Marc
Antoine Charpentier.
Auf der schlichten, aber doch festlich dekorierten Bühne ein richtiges
Orchester, das jedem Konzert, ja sogar einer Opernaufführung, alle Ehre
gemacht hätte. Und, zu jedem Lied, ein ebenso festlich gekleideter Dirigent,
mit Taktstock. Wer sang, hatte Stimme und brachte sein Lied meist in der
jeweiligen Landessprache. Light-Shows und Background-Singers gab es nicht.
Zum Schluß urteilten nationale Jurys, die mit hochkarätigen Fachleuten
besetzt waren. Wer hatte gewonnen? Zuallererst Komponist und Texter, dann,
wer es vortrug, das "Chanson".
Machen wir den Riesensprung zur Gegenwart. 1982 hatte Deutschland den letzten
Grand Prix gewonnen, mit einem deutschen Lied, das Substanz hatte. Dann war
es vorbei mit deutschen Hoffnungen. Der Grand Prix wurde politisch, außer
seiner ewigen Zahlmeister-Rolle war Deutschland im Abseits. Egal, wer da
auf der Bühne stand, er / sie hatte keine Chance. Man hätte ebso
einen Affen "performen" lassen können.
Und alles wurde englisch. Englisch ist in. Hauptsache Englisch, das klingt
immer gut. Und deshalb sangen, bis auf wenige Unentwegte, alle in der
"Weltsprache". Und es kamen die Light- und Laser-Shows, die Computereffekte.
Was da eigentlich gesungen wurde, das wurde zweit- oder gar drittrangig.
Wurde bald vergessen, ebenso wie die Hupfdohle, die es vorgetragen hatte.
Deutschland hatte keine Chance. Dann kam Stefan Raab. Ein bis ins letzte
durchgebildeter Musiker und Komponist, als Multitalent ebenso glänzender
Moderator, den nichts aus der Fassung bringt und der mit immer neuen Ideen
überrascht.
Und nun ein neuer Name. Ein Doppelname. Meyer-Landrut. Vorname Lena. Das
waren schon die ersten Punkte. Gabi Schmidt oder Marie Müller hätten
erst gar nicht die Vorrunde erreicht. "Geh nach Oslo", empfiehlt die noch
immer schöne, reizvolle Nena. Und dann eine beispiellose Kampagne. Kampagne
bedeutet übrigens "Feldzug". Lena erobert alle, trällert ihr Liedchen
in zahllosen Spots, schaut mit lustigen Augen von unten in die Kameras, umkreist
unsere Sinne. Wie ein Satellit.
Oslo - ein Fest ausgelassener Fröhlichkeit. Lena zieht an allen vorbei,
uneinholbar. Israel gibt keinen Punkt. Vielleicht, weil dieses rhythmisch
gestampfte englische Allerweltslied nicht das Deutschland vertritt, das durch
Mendelssohn-Bartholdy, Heinrich Heine und Albert Einstein eine Weltgeltung
erlangte, die durch diesen gräßlichen Hitler fast zum Nichts
degradiert wurde? Weil dieses englische Liedchen für alles Mögliche
hätte stehen können, nur nicht für ein Deutschland, zu dem
auch und gerade noch heute viele Juden eine Haßliebe verbindet? Trotzdem
- welche eine schöne Geste der Versöhnung hätten "twelve points
from Israel" bedeutet, auch und gerade für eine deutsche Jugend, die
sich nicht mehr verführen läßt durch einen
haßerfüllten Diktator.
Lena brillierte mit ihrer Natürlichkeit. So wie heute viele hunderttausende
schöner Mädchen, die uns bezaubern. Lena verzichtete auf den ganzen
albernen Bühnenschnickschnack
mit Disco-Nebel, Lasershows und so weiter. Lena bezauberte aus dem Augenblick
heraus.
Und dann Hannover. Mit rotem Teppich und einem Ministerpräsidenten,
der mit seinem Blumenstrauß herumstand wie bestellt und nicht abgeholt.
Ein Empfang wie bei einem
Staatsbesuch. Und das Goldene Buch der Stadt. Und Sondersendungen sogar in
der ARD. Es gibt Menschen, die sich allerhöchste Verdienste um unser
Land erworben haben, die bleiben in der Versenkung. Lena - kann es da noch
eine Steigerung geben für dich?
Ich liebe deutsche Land. Das hat Stefan Raab schon singen lassen, als deutsche
"Nationalhymne", bei seinem ersten Boxkampf gegen Regina Halmich. Kommentar
überflüssig. Jedes Land ist stolz auf seine Kultur. Unsere scheint
reduziert auf Hüpfen und Trällern. Und dafür gibt es einen
Staatsempfang. Bravo.
"Ihr seid doch alle verrückt", rief Lena mehrmals. Da hat sie den Nagel
auf den Kopf getroffen.
(c) W. Näser, Marburg, 31.5.2010
HTML: W. Näser, 17.11.2010