Kubanische Impression
Gedanken auf einer Veranda bei Trinidad
von Uta Näser, Marburg (16.6.97)
Dunkle Wolken, die sich in Windeseile über den ganzen Himmel ausbreiten, kündigen den Tropenregen an. Dann bricht er los. Der Bus hält einige Meter vor dem alten Herrenhaus. Die Reisenden zögern, doch dann finden sich alle in der großzügigen Halle des Hauses ein und werden zu den Tischen auf die breite Veranda gebeten. Das Geräusch des strömenden Regens dämpft die Konversation.
Hinter dem Wasservorhang erstreckt sich der Garten: Palmen, Büsche, Blüten. In der Ferne die Silhouette eines Berggipfels, in dünne weiße Schleier gehüllt. Ein tiefer Friede, der vom Haus ausgeht, liegt über allem. Fühlbar, greifbar.
Wie ist die Dame des Hauses gewesen? Saß sie, gebeugt über eine Stickerei, auf einem Schaukelstuhl auf dieser Veranda? Bezauberte sie durch ihre Anmut oder beeindruckte sie durch die Festigkeit ihres Charakters? War ihr Mann so streng und unerbittlich wie der Iznaga-Turm, der neben dem Herrenhaus in den Himmel ragt? Wie behandelte sie ihre Sklaven, die ihr Mann auf dem Markt in Trinidad kaufte? Hatte sie ein Herz für diese Menschen oder gehörten sie zur Einrichtung, die lediglich ihrer Bequemlichkeit diente?
Schatten im Paradies. Trank sie Punsch oder bevorzugte sie Kaffee: heiß, schwarz und süß? Was hätte sie zur Rationierung des Zuckers gesagt, hätte sie diese Nachricht für einen absurden Scherz gehalten? Schatten im Paradies.
Der Regen dämpft die Stimme des Sängers, der die Reisegruppe nach dem Essen unterhält. Er ist mittelgroß, schlank, schwarz und hat graumeliertes Haar. Hingerissen von der eigenen Begeisterung, singt er leidenschaftlich von der Liebe und einer schönen Frau. Er tanzt dazu, und seine Augen werden lebhaft und jung.
Vor mir duftet der Kaffee, der den Abschluß einer kubanischen Mahlzeit bildet: heiß, schwarz und süß.