Dr. Wolfgang Näser: Formen schriftlicher Kommunikation, WS 1996/97

Strukturierte Diskussion: Die Menschenrechte

Ziel dieser Übung war, über ein in allgemeinem Konsens ausgewähltes Thema (hier: die Menschenrechte) sowohl zu diskutieren wie die jeweils vorgebrachten Argumente, also die Diskussions-Beiträge, ad hoc oder, wie man auch sagen könnte, "live" zu protokollieren. Grundvoraussetzung hierfür ist ein genügend hohes Sprachniveau, das von der Mehrzahl der Kursteilnehmer/innen erbracht wird.

In der Praxis bedeutet dies zunächst eine Anmoderation seitens des Kursleiters, der damit die Diskussion leitet und im folgenden dafür sorgt, daß jeder der aufeinanderfolgenden Beiträge gleich anschließend in eine protokollarische Form gegossen wird, wobei alle mithelfen: eine Übung von hohem informativem und didaktischem Wert.

Da das Ganze natürlich langsamer verläuft als innerhalb eines muttersprachlichen Umfeldes, ist die Zahl der protokollierten Äußerungen entsprechend niedrig; diese Zahl ist jedoch umgekehrt proportional zum erreichten didaktischen Ziel, was ich hier ausdrücklich betonen möchte. Im folgenden die wesentlichen Argumente stark zusammengefaßt (auch dies eine gute Übung) in der jeweils erarbeiteten Schriftform. Die verantwortlichen Beiträger bzw. Autoren stehen in () oder werden im Text genannt.

1. Der Sitzungsleiter eröffnet die Diskussion mit der Feststellung, Deutschland sei ein multikulturelles Land (Joanna).

2. In Deutschland gebe es keine Staatsreligion, sondern verschiedenste Religionen und Weltanschauungen, die von Menschen aus aller Welt mitgebracht würden (Dominika).

3. Als erstes sagt Denis, man müsse zwischen wichtigen und unwichtigen Menschenrechten unterscheiden. Für ein wichtiges halte er das Recht auf freie Wahlen.

4. Darauf erwidert Dominika, es gebe keine unwichtigen Menschenrechte.

5. Joannas Meinung nach gehört die politische Freiheit nicht zu den wichtigsten Rechten. Die existentiellen Rechte betrachtet sie als die wichtigsten und nennt als Beispiel das Recht auf Leben.

6. Sophie verweist auf die Französische Revolution von 1789, bei der die Menschenrechte als Freiheit (liberté), Gleichheit (égalité) und Brüderlichkeit (fraternité) definiert worden seien.

7. Die Gleichheit, meint Rafal, sei ein Traum.

8. Es stellt sich heraus [allgemeiner Konsens], daß zwei Ursachen für diese Ungleichheit verantwortlich sind: erstens die genetischen Gegebenheiten, zweitens der soziokulturelle Rahmen (Sitzungsleiter).

9. Lari entgegnet, es sei ein gefährliches Vorurteil zu denken, daß die Dinge so sind. Man müsse gegen dieses Vorurteil ankämpfen.

10. Denis meint, alle Menschen seien gleich, wenn sie geboren werden. Es könne jedoch sein, daß die Kinder wegen ihrer sozialen Herkunft verschiedene Chancen haben.

11. Konstantin weist auf die genetischen Gegebenheiten hin und auf die Vererbbarkeit künstlerischer Begabungen, wofür er das Beispiel MOZARTs anführt.

12. Denis relativiert dies dahingehend, es gebe wissenschaftliche Beweise dafür, daß Begabungen nicht vererbt würden, sondern nur Krankheiten.

13. Alexej meint, sowohl Denis wie Konstantin hätten recht. Die genetische Prädisposition sei wichtig, komme aber nur dann zum Tragen, wenn eine Begabung im passenden sozialen Milieu gefördert würde.

14. Die Menschenrechte, meint Alexej, seien abhängig vom jeweiligen Entwicklungsniveau und der Rechtsprechung eines Landes.

15. Was den Islam betreffe, meint Joanna, so werde er nicht in allen Ländern mit gleicher Strenge und Intensität ausgeübt. In der Türkei z.B. gebe es kein uneingeschränktes Gebot des Verschleierns, und auch in anderer Hinsicht (z.B. Klitorisbeschneidung) werde die Frau nicht benachteiligt.

(c) W. Näser 18.10.1996