Vortrag Prof. Dr. Hans-Peter Dürr:

Naturwissenschaft und Transzendenz (HS 7 Hörsaalgeb., 14.5.2010)
Transkript des ersten Siebtels (14 Min., bearbeiteter Mitschnitt)

Es ist ganz ungewöhnlich, daß man einen Vortrag auf diese Weise beginnt: erst ein wunderbares Orchester, dann zu erfahren, daß es das Jahr der Energie ist - da könnte ich stundenlang reden darüber, in welcher Richtung wir eigentlich da angehen müßten, aber: mein Thema ist ein ganz anderes, das zu tun hat mit Naturwissenschaft und Transzendenz, aber vielleicht auch ein bißchen komisch, daß ich hier das vorbringen will; ich bin ja von Hause aus ein Atomphysiker, oder besser gesagt ein Kernphysiker, noch besser gesagt ein Elementarteilchenphysiker - oder: wie weit man darunter gehen kann, und man fragt sich: was soll ich eigentlich jetzt mit diesen Dingen zu tun haben? Es hat nicht mit dem Ökomenischen Kirchentag zu tun, wo ich auch gestern schon involviert war, jetzt bin ich grad abgehauen und morgen bin ich wieder dort und da gibt es interessante Dinge zu besprechen, aber es gibt vielleicht einen Hinweis, daß sich im Augenblick vieles rührt. Die Krisen, in denen wir sind, die lassen uns irgendwie aufdecken, daß wir irgendwas anderes tun müssen als was wir bisher gemacht haben. Und das, über was ich heute sprechen will, ist Naturwissenschaft und Transzendenz - da muß ich mal ein bißchen was vorwegnehmen: wie ich eigentlich dazu gekommen bin. Überhaupt, daß ich ein Physiker geworden bin, hatte damit zu tun gehabt, daß ich ja noch ein Kriegskind war und den Krieg auf so schreckliche Weise erlebt habe - nicht nur erlebt habe, sondern auch festgestellt habe, daß man irgendwie von den Erwachsenen total angelogen wird.Und ich hatte immer das Gefühl, es war nicht nur von den eigenen Erwachsenen, die zum Teil auch gar nicht gewußt haben, über was sie reden, aber dann auch von der Besatzung hinterher: die einem da was vorgegaukelt hat, wo man gesagt hat "'Noi, also ich glaub dir kein Wort mehr".

Es ist eine schreckliche Periode für mich gewesen als jemand, der als Jugendlicher da eingesetzt hat, mit Fünfzehn auch noch eingezogen wurde, mit einer Panzerfaust die Alpenfestung zu verteidigen, all diese Sachen zu machen, und eigentlich sein jugendliches Leben geopfert hat, und (...) zwischen ein und vier Uhr nachts hat man Bunker gebaut, wo man bei Bombardierungen immer sich da verkrochen hat usf. Daß man dann am Ende des Krieges auch noch als Krimineller bezeichnet wurde, das hat mich ungeheuer umgetrieben. (Ich) bin auch vierzehn Tage mal von den Amerikanern ins Gefängnis genommen worden - ich weiß heute noch nicht, warum. Es hat mich einfach dazu geführt, daß ich gedacht habe, ich werde irgendetwas als Beruf ergreifen, wo ich selber beurteilen kann, ob es richtig oder falsch ist. Und da kam eigentlich nur die Naturwissenschaft in Frage. Da hat man gesagt: gut, die Wissenschaftler sagen ja, wir sind letzten Endes die einzigen, die wirklich wissen, was richtig und falsch ist, (und) daß man's wenigstens nachkontrollieren kann. Und da hat für mich Werner Heisenberg eine große Rolle gespielt, als er 1946, ein Jahr nach Kriegsende, von Farm Hall zurückkam und in Göttingen einen Vortrag gehalten hat und gesagt hat "Wir müssen mehr Wissenschaft machen, weil - dann können wir Gemeinsamkeiten erkennen, die unabhängig sind von der Kultur (...)", und das ist doch ein guter Ausgangspunkt - Erinnerung selbstverständlich an die Zeit, als er jung war, als er in Kopenhagen eine solche Atmosphäre mit Niels Bohr hatte, wo neue Physik aufgetaucht ist, die zu einer ungeheuren Aufregung geführt hat und zu einem Zusammenspiel von Physikern auf der ganzen Welt. Das heißt: das war eigentlich meine Absicht, und ich hab dann auch gleich, während ich noch mein Abitur gemacht hab, mir auch Vorträge über die moderne Physik angehört, um auch zu sehen, was das eigentlich ist, und ich habe festgestellt, wie er dann zu Heisenberg und die Quantenphysik kam, daß ich nichts verstanden habe, und ich habe gesagt, ich muß den Kurs nochmal machen, aber ich hatte kein Geld, aber ich hab dann den Projektor - da wurde ich da angestellt, habe den Vortrag drei- oder viermal gehört und am Schluß immer noch nichts verstanden. Und da kam heraus, daß das eine ganz, ganz komische Physik ist, und das hat mich noch neugieriger gemacht, und ich war also dann erpicht darauf, in dieser Richtung zu gehen. Ich habe in der Tat dann mir zum Ziel gemacht, daß ich erkennen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, daß ich das endlich mal verstehe - insbesondere weil mir gesagt wurde: sie ist ganz schwierig zu verstehen, die moderne Physik, (da) hat es mich eigentlich noch herausgefordert dazu.

Nun: viele Leute fragen mich jetzt, nachdem ich fünfzig Jahre wirklich in dieser Richtung gearbeitet habe: was ist denn jetzt so das Interessanteste, was da herausgekommen ist? Nun, es ist herausgekommen, daß es Materie überhaupt nicht gibt. Da haben einige gesagt: Der arme Kerl, (hat sich) fünfzig Jahre daran gehängt, was es überhaupt nicht gibt? Das ist ja schrecklich! Aber es ist nicht schrecklich gewesen, weil es nicht war so, daß es dann aufgehört hat, (und) daß man auf einmal festgestellt hat, daß vor hundert Jahren, (...) achtzig Jahren her wirklich in der Physik eine Revolution stattgefunden hat, die zu einem total anderen Weltbild geführt hat, von dem heute noch niemand in der Schule etwas erfährt, weil man sagt, es ist zu kompliziert und man versteht es nicht. Dahinter steht, daß wir ein ganz anderes Weltbild haben, das aber den Vorteil hat, daß es wirklich nicht einfach nur paradox war - alle haben gesagt: nein, es kann nicht so sein, es kann nicht so sein, wir haben doch so viele Erfolge jetzt in der alten Physik gehabt, warum soll das nun einfach auf einmal nicht richtig sein. Es ist nicht ganz falsch, aber die Grundlage ist anders gewesen - nein, aber daß man auf einmal festgestellt hat, daß die Wissenschaft, die wir betrieben haben, zu eng ist und viel weiter und größer ist, so daß man sie eigentlich ganz anders auffassen muß. Und das hat dazu geführt, daß man festgestellt hat, daß in diesem neuen Weltbild, das insbesondere durch Niels Bohr und Werner Heisenberg zustandegekommen ist, (sich) herausgestellt hat, daß, wenn man dieses andere Weltbild hat, auf einmal der Graben zwischen Natur- und Geisteswissenschaften verschwindet und darüberhinaus, daß es auch so ist, daß auch die Wissenschaft an sich auch auf einmal eine Verbindung herstellen kann zu den Religionen - daß das eigentlich ganz gut zusammenpaßt; aber nicht, daß einer recht hat und der andere hat nicht recht, sondern: alle haben ein bißchen recht und alle sehen auch ein bißchen falsch oder sehr verschieden. Und das ist also für mich auch von ganz besonderer Wichtigkeit gewesen, nach dem Krieg, nach dem man so bei Null angefangen hat.

Ich hab dann ein Stipendium bekommen in Amerika, in San Francisco, in Berkeley, an der Universität von Kalifornien, um dort Physik zu machen, und ich habe mich dann entschlossen, dort auch meinen Doktor zu machen, den ich an sich in Heidelberg machen wollte, nein, ich wollte es dort drüben machen. (Als ich) nach einem Doktorvater gesucht habe, da sagten sie, Du kriegst keinen dort, weil - die haben einen Beschleuniger gebaut, und da sind die ganzen Professoren von allen Universitäten in den USA nach Berkeley gekommen, um mit diesem Beschleuniger zu arbeiten, weil man vermutet hat, hier die Antimaterie zu entdecken, und da wollte jeder der erste sein, und ich keinen Doktorvater gefunden habe, bis jemand sagte: Du, paß mal auf, da ist vor drei Wochen ein Professor angekommen aus Chicago, der hat noch keinen Doktoranden, frag den doch mal, ob er dich nicht nimmt. Dann bin ich zu dem hingegangen, und es stellte sich heraus, es war ein Schüler von Werner Heisenberg, der in Leipzig seinen Doktor gemacht hat, aber: sein Name war Edward Teller. Ich hatte keine Ahnung, Edward Teller sagte mir überhaupt nichts, er war ein Mitarbeiter von Oppenheimer gewesen. Ich habe mich auch mit ihm gut verstanden, aber zu meinem großen Schrecken, nach vier Monaten auf einmal, mußte ich lernen, daß er der Vater der Wasserstoffbombe war, und Sie können sich vorstellen, was das auf mich ausgeübt hat: ich wollte weg von der Physik, die mit Krieg und allen diesen Dingen zu tun hatte, ich wollte hin zu einer Physik, die sozusagen uns eine Orientierung gäbe: was ist die Welt, wie hängt sie zusammen, was ist dahinter eigentlich versteckt - um Gottes willen, nur nicht in die Nähe von militärischer Nutzung usf, und hier war ich gelandet bei dem Vater der Wasserstoffbombe, und auch nur durch Zufall, daß ich ins Institut kam, und die haben auf einmal Champagner getrunken, und ich fragte: Wen feiert ihr denn? Und sie haben gesagt: Wir haben einen Jungen bekommen, einen Jungen bekommen. Und ich: Wer ist der Vater? - Wir alle! - Da sagt mir mal, wie ihr das gemacht habt! Und das war der Tag, wo die Bikini-Bombe im Pazifik, die erste Wasserstoffbombe, gezündet wurde und dann doppelt so stark war, als man sich das vorgestellt hatte. Sie können sich vorstellen, in welcher Verfassung ich war. Da dachte ich: ich bin jetzt ein Enkel gewissermaßen von Heisenberg geworden, und jetzt bin ich der Sohn von demjenigen, der jetzt die Wasserstoffbomben macht.

Ich bin nicht von Teller weggegangen - ich habe auch über Antimaterie gearbeitet, ich habe keine Wasserstoffbombe gebaut - aber für mich war es einfach wichtig, dort jetzt, in dieser Gruppe, zu bleiben, um zu sehen: Welche Mentalität ist da (das war im März 1954), was hatten die noch für Gründe überhaupt, Bomben zu bauen? Es war doch eigentlich nicht nötig, wir hatten diese Kriege doch hinter uns. Und dann sagt so ein Mensch wie Edward Teller: Hans Peter, wir haben das Glück, im Augenblick jetzt den Frieden auf dieser Erde, in dieser Welt herzustellen, wenn nämlich der Beste gleichzeitig der Militärstärkste ist und die Fähigkeit hat, doppelt so stark zu sein wie der Rest der Welt auch in Zukunft - dann haben wir alle Voraussetzungen für den Weltfrieden. Sie können sich vorstellen: das hat mich einfach vom Stuhl geschlagen. So einen Blödsinn zu hören, nachdem man das alles erlebt hat! Und ich hab mich mit ihm dann gestritten und er sagte Ja, du bist einfach politisch naiv. Da habe ich ihm gesagt: Doktor Teller, in diesem Fall: ich bin nicht mehr politisch naiv, aber jetzt habe ich jemanden getroffen, der wahnsinnig politisch naiv ist. Und da hat er nur gelacht und hat gesagt: Gut, wir haben verschiedene Meinungen, und das war's dann.

Aber ich habe in seiner Umgebung gearbeitet und in der Physik, aber ich habe einfach gesehen, wie wichtig es ist, daß man sich doch einschalten muß und nicht, wie ich als Jugendlicher dachte - also, wir waren alle junge Leute, wir haben gesagt Ohne mich, ohne mich. Wenn man einen neuen Auftrag bekommen hatte: Nein, ohne mich. Wir wollten nicht nochmal verführt werden, außer man konnte das selber verstehen, dann hat man's gemacht. Daß mir klar wurde: wenn ich diese Vorstellung einhalte, dann mache ich mich auch schuldig. Ich muß mich einmischen. Und diejenige, die mich dahin gebracht hat, war Hannah Arendt, die dann als Gastprofessorin nach Berkeley kam, eine wunderbare Frau, die innerhalb von vierzehn Tagen mich überzeugt hat, daß ich mich schuldig mache, wenn ich nicht mich auch politisch sozusagen irgendwie einklinke und auch dafür sorge, daß so ein Krieg, wie wir ihn gerade überwunden hatten, sich nicht nochmals wiederholt.

Und das hat mich dann dazu geführt, daß ich das eingesehen habe, daß ich das mache, und ich bin dann sofort ins International House gegangen, da sind 800 ausländische Studenten gewesen, und ich hab für anderthalb Jahre das Kulturprogramm organisiert damals, und ich kann Ihnen sagen: es kann Ihnen nichts Besseres passieren; wenn Sie in anderthalb Jahren mit zwei oder drei Vorträgen am Abend denn über alle Kulturen der Welt einen Vortrag halten vor jungen Leuten, die auch ausgelesen waren, gescheit waren usf. - es war wunderbar. Es war absolut wunderbar. Daß dann all diese Kulturen einem vorgeführt wurden und man sich gefragt hat: wie verrückt ist die Menschheit, daß alle, die in den verschiedenen Kulturen nicht nebeneinander leben können, weil - jeder drückt doch eigentlich dasselbe aus, nur in anderen Worten, mit anderen Vorstellungen, mit anderem Hintergrund, und der Punkt war insbesondere dadurch noch bedeutsam, daß die alle, wir alles auf Englisch unterhalten mußten, und das war für uns ja nicht die Muttersprache, sondern die mußten sich auf Englisch unterhalten, und da fehlten uns Worte, (sind) eben nicht eingefallen, um das zu erklären: wie sieht meine Kultur aus, und da sagte jeder: ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ich will euch eine Geschichte erzählen. Und dann ist mir klar geworden: wenn wir einander näher kommen wollen, müssen wir uns Geschichten erzählen und nicht wissenschaftlich vorgeben, was ich unter dem und dem verstehe und was richtig und falsch ist - sondern daß man etwas mitbekommt, was die Kultur für die Leute bedeutet, die in diesem Milieu eben da sind. Und das hat mich so interessiert gemacht, daß ich dann in der Welt auch damals schon herumgereist bin und auch diese Kulturen vor Ort angesehen habe und dann gesagt habe: ich möchte (...) dahin marschieren, auch diesen Frieden zwischen den Kulturen und den Religionen herzustellen, weil die moderne Physik eben in dieser Hinsicht diese Möglichkeit gibt, diesen Brückenschlag zu machen.

Mitchnitt, Screenshot, Transkript und Links: Dr. Wolfgang Näser, Marburg
Stand: 18.5.2010 * Änderungen vorbehalten
NB. Obiges, im Februar 1959 bei S. Fischer erschienenes (und heute fotografiertes) Buch diente mir zur Vorbereitung einer (möglichen) Abiturprüfung im Fache Physik. Damals (Anfang 1963) hätte ich mir nicht träumen lassen, knapp fünfzig Jahre später einem Doktoranden jenes Edward Teller zu begegnen. WN, 18.5.2010