Deutsch im 20. Jahrhundert * Dr. Wolfgang Näser * Mi 16-18, HS 110 Biegenstraße 14 * Beginn 10.4.2002

Aus der Zeitschrift "Emma" (Februar 1977 ff.)

VORBEMERKUNG. Genau vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe der von Alice SCHWARZER herausgegebenen EMMA, der "Zeitschrift für Frauen von Frauen", wie es im Impressum heißt. Wenig später gab es alle Ausgaben des Jahres in einem Sammelband - ich zähle mich zu den glücklichen Besitzern. Die Zeitschrift und ihre Herausgeberin haben das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt, wurden zum Sprachrohr eines Feminismus, der unsere Gesellschaft in verschiedenen Bereichen veränderte. EMMA wurde zu einem Meilenstein des 20. Jahrhunderts; die Sprache der Erstausgabe soll hier in einigen Textauszügen wieder aufleben.
11. 2. 2002     W. NÄSER

1. Aus: Unsere Zeitung (Vorwort von Alice SCHWARZER)
Seit fünf Jahren warte ich auf diesen Moment. Mindestens solange ist klar, daß uns engagierten Journalistinnen die Luft in den Männermedien immer knapper wird. Denn egal ob "links" oder "rechts", ob Boulevardblatt oder Polit-Magazin, ob Funk oder Fernsehen - überall haben Männer das Sagen und nützen dies auch weidlich aus. Die existierende Presse ist eine Männerpresse.

Die Folgen: Weder über das, was Frauen wirklich angeht und bewegt, wird geschrieben (meist aus Ignoranz nicht, oft aber auch aus Verachtung oder Angst); noch bekommen die Journalistinnen selbst ein Bein auf den Boden - im besten Fall tummelt sich mal hie und da auf den mittleren Etagen eine Alibifrau. Wie zum Hohn sind selbst die Chefredakteure der sogenannten Frauenblätter in der Bundesrepublik ausnahmslos männlich! [...]

Seit Frauenprobleme wieder "in" sind, das heißt, seit sie als politisch und brisant begriffen werden, werden sie entweder totgeschwiegen oder aber von unseren Medienmännern journalistisch behandelt. Und wie.

Heraus kommt entweder die Verniedlichung der Frauenmisere oder aber die Verteufelung all derer, die sich für Frauen einsetzen. [...]

In Emma wird kein Mann schreiben. Denn Männer stecken nun mal nicht in Frauenhaut. Aber die sensibelsten und mitfühlendsten - und die sind leider rar - wissen nicht, was es heißt, auf der Straße angequatscht zu werden, seine Periode mit Verspätung zu kriegen, zwischen Kind und Beruf mit schlechtem Gewissen hin und her zu hetzen. In Frauenfragen sind Frauen die Kompetentesten.

Wir selbst versuchen, nicht nur anders zu schreiben, sondern auch anders zu leben und zu arbeiten. Unsere Zeitung wird kollektiv gemacht. Es gibt keine "Chefin", die über die Köpfe der anderen hinweg entscheidet. Wir arbeiten auch auf einen kollektiven Besitz dieses Blattes hin. [...]

Fragt überall nach EMMA! Bestellt und verlangt sie an eurem Kiosk! Abonniert sie bei uns (siehe letzte Seite). Kauft und verschenkt sie, so oft es euer Portemonnaie erlaubt. [...]

2. Aus: Mode (Februar '77, S. 15; von Sophie AUST)

Mit 15 habe ich mich geweigert, sonntags flach statt mit modischen Prinzeßabsätzen durch die Stadt zu gehen. Mit 17 waren es die Pfennigabsätze, vorne spitz wie ein Dolch. Heute, mit 35, habe ich zwei verkrüppelte kleine Zehen. Aber ganz vernünftig bin ich immer noch nicht geworden. [...]

Und da habe ich immer über die schrecklichen Geschichten von den einst verkrüppelten Chinesinnen gestaunt - erst jetzt wird mir klar, daß es uns Europäerinnen des 20. Jahrhunderts ganz ähnlich geht. Unser Schuhwerk hat genau die gegenteilige Wirkung seiner eigentlichen Funktion: wir können nicht besser damit gehen, sondern schlechter; wir schützen unsere Füße damit nicht, sondern wir schaden ihnen. Das Resultat beschreiben Mediziner so: feuerrote Ballen, Krallenzehen, Hühneraugen, Durchblutungsstörungen und Krampfadern.

Aber warum machen wir Frauen das alles mit? Wer redet uns ein, sowas sei schön? Rollen wir es von hinten auf: Wem nutzt es? Denen, die so absurdes Schuhwerk nicht tragen - den Männern. Früher wurden in manchen Kulturen Sklaven die Füße gebrochen, damit sie nicht weglaufen konnten - heute werden die Frauen diskret verkrüppelt.

Wir Frauen sind Wesen, die im wahrsten Sinne des Wortes noch nicht einmal auf ihren eigenen zwei Beinen sicher durchs Leben gehen können. Wir gehen wie auf Eiern, fürchten jeden Gullydeckel und jeden Trottoirtritt, bei dem uns der Absatz stecken bleiben, die Plateausohle unseren Knöchel knicken könnte.

Wir können ebenso wenig hinter einer Straßenbahn her- wie vor einem Vergewaltiger weglaufen! [...]

Bleibt nur zu hoffen, daß wir bald eigene Vorstellungen von weiblicher Schönheit bekommen. Von einer Schönheit, die nicht krampfhaft mit dem Becken wackeln muß und die auf Krallenzehen verzichten kann. Eine, die nicht von uns verlangt, daß wir unseren Körper und unseren Geist verstümmeln. [...]

3. Aus: Männerhaß (März '77, S. 3; von Alice SCHWARZER)

[...] Ich bin eine Frau. Ich habe nicht immer dieselben Interessen wie ein Mann. Manchmal sogar entgegengesetzte. Darum sei mir erlaubt, die Frage einmal aus weiblicher Sicht zu beleuchten: Was eigentlich hat es mit dem Männerhaß auf sich? Hassen ist an sich noch nichts Negatives. Im Gegenteil: die totale Unfähigkeit zu hassen und die totale Bereitschaft, hinzunehmen und zu leiden, ist sicherlich eine seelische Verkrüppelung.

Haß ist nur da mies, wo er grundlos oder fehlgeleitet ist. Da, wo es Anlaß gibt zu hassen, kann Haß auch ein durchaus positives, weil antreibendes und veränderndes Moment sein.

Juden haben Grund, Antisemiten zu hassen, sich gegen sie zu wehren. Schwarze haben Grund, Rassisten zu hassen. Lohnabhängige haben gute Gründe, Arbeitgeber nicht gerade innig zu lieben. Und eine von Männern - einzeln oder/und gesamtgesellschaftlich - unterdrückte Frau hat recht, etwas gegen Männer und/oder die Männergesellschaft zu haben. [...]

Wer den Haß abschaffen will, muß die Gründe zum Haß abschaffen! Wer etwas gegen Männerhaß hat, muß gegen die Frauenunterdrückung kämpfen!

Sonst bleibt das Gerede wider den Männerhaß eine einzige Farce. Das ist, als würde man hohes Fieber künstlich unterdrücken, dem Fieberherd aber nicht zu Leibe rücken: die Ursache der Malaise bleibt, das Leid schwelt weiter. [...]

Zu Beginn der französischen Frauenbewegung hat es eine allererste kleine Demonstration in der Pariser Fakultät Vincennes gegeben, auf der mich eine Sache besonders tief beeindruckt hat. Die Frauen trugen schweigend ein Transparent, auf dem stand:
"Wir sind alle hysterisch. Wir sind alle frigide. Wir sind alle lesbisch. Wir sind alle neurotisch. Wir sind alle Männerhasserinnen."
Das allein scheint mir die einzig richtige Antwort auf die Spaltungsmanöver zu sein. Es ist nicht an uns, uns von anderen Frauen, die ihre Gründe für Hysterie und Haß haben, zu distanzieren. Ihr Haß und seine Ursachen sind auch unsere Sache.

4. Aus: Wachstum über alles (März '77, S. 40 f., von Friedricke MÜNCH)

[...] Im Namen des Fetisch "Wachstum" jagen Regierungen ihre Polizei mit Knüppeln, chemischer Keule, Schäferhunden und Wasserwerfern auf die Menschen los - Bürgerkrieg! Das Ganze hat inzwischen soweit eskaliert, daß die gegen Kernkraftwerke mobilisierten Bürgerinnen und Bürger für 1977 mit den ersten Toten rechnen (laut Interview in der Frankfurter Rundschau).

Die größte Gefahr ist bei den geplanten Kernkraftwerken, daß nicht gesichert ist, wie der strahlungsintensive Atommüll untergebracht werden kann, ohne Menschen zu gefährden. Er strahlt Hunderttausende von Jahren. Eine tickende Zeitbombe.

Wenn jemand es wagt, diese Tatbestände anzusprechen, gibt es ein Zauberwort, das ihn sofort zum Schweigen bringt: Arbeitsplätze. "Wollen Sie etwa, daß Arbeitsplätze verlorengehen?" heißt die Gegenfrage mit drohendem Unterton. So kommt es zu der grotesken Situation, daß Gewerkschaftler für Kernkraftwerke demonstrieren.

Doch Arbeitsplätze gehen trotz - oder gerade wegen der Wachstumsideologie verloren: Wo der Mensch zu teuer kommt, wird er wegrationalisiert, das heißt: durch Maschinen ersetzt. Und für diese Maschinen wird Energie benötigt, sprich Kernkraftwerke. Denn Wachstum wird gemessen an den Bilanzen, das bedeutet: an den Profiten. "Im Mittelpunkt steht der Mensch" gilt nur, solange die Kasse stimmt.

Die Frauen haben es am eigenen Leibe erlebt: Sie waren wieder mal, wie seit jeher, die ersten, die nach Hause geschickt wurden, als die Rezession anbrach. Ihnen wurde die letzte Illusion bei Zauberformeln wie "Wachstum" und "Lebensstandard" genommen. Deshalb können Frauen das alles auch noch deutlicher sehen.

"Frauen sind eben näher am Leben" - ein beliebtes Schlagwort, mit dem man uns schon immer in die Ecke "naturverbunden, aber im übrigen doof" zu drängen versuchte. Nein, so nicht! Wir sind wirklich näher am Leben, aber nicht von Natur aus, sondern, weil wir mehr und vor allem intensiver mit Menschen umgehen: mit Kindern, Kunden, Verkäuferinnen, Arbeitskolleginnen, Nachbarinnen, das heißt: mit Menschen ohne Macht. Wir sind näher am Leben, weil wir den Alltagsschmutz wegmachen, kochen, waschen - auch wenn wir einen Beruf haben. [...]

5. Pascha des Monats (aus: EMMA Juli '77, S. 5)

Er pirscht sich ran. An die Frauenfrage. Günter Grass, als Pascha kein Neuling. Zur Zeit seiner "Blechtrommel" saß er den Frauen noch unter den Röcken. Jetzt kriecht er uns auf den Schoß. Propagiert die Legende, die Frauen seien von Natur aus die besseren Menschen. Ausersehen, nun die böse Welt und vor allem die armen, bösen Männer zu retten. Und jetzt will er auch noch unser Maskottchen werden. Sein neuer Roman "Der Butt" sei - so verspricht der Klappentext - die "ungeschriebene Geschichte der Frauen überhaupt". Nicht unbescheiden. Mit diesem Ziel nun rast Gege auf 694 Seiten durch die gesamte Weltgeschichte. Von den steinzeitlichen Müttern, dreibrüstig, "Aua" genannt, über Zeugungen, "Klitorisentstehung" bis zu den Feministinnen von heute. Günter war überall dabei. Vor allem bei den Frauen, "die sich aus vagen Gründen als lesbisch begriffen und deshalb einem feministischen Zirkel angehörten, dessen erstes Gebot den radikalen Verzicht auf penetrierende Männer aussprach". Toll, wie er sich da auskennt. Gege hat emsig gesammelt, weiß alles, verwurstet alles. Der zu erwartenden feministischen Kritik versucht er auch gleich die Luft abzulassen: "Der Herr Schriftsteller suche wohl Stoff, wolle sich anbiedern, mal schmarotzen, seine Komplexe in Literatur ummünzen", läßt er sein feministisches Tribunal prophetisch formulieren. Exakt so ist sein Buch. Und dabei weit davon entfernt, "pralle Dichtung" zu sein. Es ist halt leidig, wenn man über Sachen schreibt, die einen nichts angehen. Da können Bildungsberge aufgetürmt, der Zeitgeist hart bedrängt, winzige Kuriosa gesammelt werden. Am Ende kommt doch nur Geschwätziges dabei heraus. Wort- und Ideengeklingel. Armer Gege. Hättest du abgelassen von den Frauen, du wärst (vielleicht) ein Dichter geblieben. So aber reichts nur zum modischen Softy mit Schnauzbart.

Wird ergänzt * HTML: Dr. W. Näser, MR 11.2.2002