1. Die am 9.8.2000 mit dem Friedenspreis der Stadt Augsburg ausgezeichnete palästinensische Schriftstellerin Prof. Dr. Dr.h.c. Sumaya Farhat-Naser, "Brückenbauerin zwischen Palästinensern und Israelis", zeichnet in ihrem [in 5. Auflage] 1997 im schweizerischen Lenos-Verlag erschienenen Buch "Thymian und Steine. Eine palästinensische Lebensgeschichte" ein erschütterndes Bild der Situation jenseits der isrealischen Sichtweise. Der den isrealischen Besatzern unter Pflückverbot gestellte Thymian (ebd. S. 84) gehört, zusammen mit Olivenöl und anderen Kräutern, zu den Hauptbestandteilen palästinensischer Speisen. Die Steine wurden zum Symbol des Aufstandes. "Mit den Steinen leben wir. Fels und Steine prägen die kargen Hügel; aus dem Stein quillt das Wasser, das Land und Leute belebt. In Häusern aus Stein leben wir. Die Kinder spielen mit Steinen. Wir stolpern über sie auf unseren Wegen, schlagen uns die Zehen wund - diese Schmerzen kennen alle. Mit den Händen räumen wir die Steine aus den Feldern, schichten sie am Feldrand zu Mauern. Sie dienen aber auch als Barrikaden und zur Verteidigung wie zum Angriff. Sie symbolisieren Unbarmherzigkeit und verweisen auf Hindernisse. Sie verbinden das Leben mit dem Tod. Sie werden gefürchtet und geliebt." (S. 122)

Die Palästinenser, so Farhat-Naser, hätten seit der Staatsgründung unter den Israeli und ihrer Besatzung nie eine reale Chance gehabt, sich zu einem lebensfähigen Staate zu entwickeln. "Die Besatzungsbehörde beanspruchte die Kontrolle über Quellen und Grundwasser. In Birseit ließ sie die Wasserleitung des Dorfes anbohren, zweigte den Großteil unseres Wassers ab, um neuerbaute Siedlungen zu versorgen. Gärten vertrockneten, und weite Landstriche lagen brach, vor allem im Jordantal, wo ohne Bewässerung nichts gedeihen kann. Neue Tiefbohrungen für israelische Siedlungen ließen die Brunnen der Dörfer versiegen." (S. 85)

Was die Arbeitsbedingungen betrifft, so werden wir an das südafrikanische Apartheidsregime und seine menschenverachtenden, ausbeuterischen Methoden erinnert: "Jeden Morgen vor Sonnenaufgang fuhr an unserem Haus ein gedeckter Lastwagen vorbei. Er holte Männer, Frauen und Kinder aus dem benachbarten Flüchtlingslager Dschalazon und brachte sie an die israelische Küste, wo sie täglich zwölf Stunden auf den Feldern arbeiteten.- zu niedrigem Lohn und ohne Sozialleistungen. Nach Sonnenuntergang wurden sie zurückgebracht, denn niemand aus den besetzten Gebieten durfte die Nacht in Israel verbringen." (S. 85)

Ferner berichtet sie von Pogromen gegen die palästinensische Bevölkerung: "Die israelischen Militärs [...] begegneten dem Aufstand der Steine mit aller Härte und Brutalität. Es kam zu Tränengaseinsätzen, sogar in Schulen und auf Gemüsemärkten, sowie zu Hausdurchsuchungen; Hunderte von Häusern wurden als Strafmaßnahme gesprengt und lange Ausgangssperren und andere Kollektivstrafen verhängt. Den Jugendlichen die Knochen zu brechen war ein ausdrücklicher Befehl des damaligen Verteidigungsministers Rabin. Für die Verhaftung von Tausenden von Menschen mußten Schulen zu Gefängnissen umfunktioniert werden. [...] Die Militärbehörden legalisierten das Erschießen fliehender Menschen, die die Befehle von Soldaten mißachteten, von Kindern, die Palästinafahnen trugen, von Menschen, die ihr Gesicht verhüllten. [...] Während der Intifada*) ging eines Tages in Ramallah ein Mann mit seinem Esel auf der Straße. Soldaten hielten ihn an und forderten die vorbeigehenden jungen Männer auf, den Schwanz des Esels hochzuheben und ihm den Hintern zu küssen. Wer sich weigerte, wurde brutal geschlagen und verhaftet. Nach Birseit kamen eines Nachts Soldatan, weckten die Studenten und forderten sie auf, im Nachthemd auf der Straße Volkstänze aufzuführen. Andernfalls würden sie verprügelt. Die Soldaten krümmten sich vor Lachen." (S. 122 f.)
*) "Das Wort Intifada bedeutet 'etwas von sich abschütteln, was man loshaben möchte'; es meint auch das Beben des Körpers, der vor Wut und Aufregung von Krämpfen geschüttelt wird." (S. 121)

Brutale Verhörmethoden: Was dem damals 15jährigen Sohn der Autorin im Dezember 1990 geschieht, braucht keinen Vergleich mit deutschen SS-Schergen zu scheuen. Ohne etwas verbrochen zu haben, wird er am 10. Dezember aus 12 Metern Distanz ohne Vorwarnung von zwei Soldaten angeschossen und danach zu einer Militärstation verschleppt. "Anîs wird verhört und geschlagen. Darauf fahren sie mit ihm nach Bet El, wo sich [...] der Hauptsitz der Militärverwaltung des Westjordanlandes befindet. Dort wird er während drei Stunden gepeinigt. Hundertmal soll er den Namen des einen oder anderen  Soldaten sagen: hebräische Sätze, die er weder versteht noch richtig nachsprechen kann; hundertmal auch: 'Gulani(Truppe) - the best in the west, Gulani balagani ...'. Jedesmal, wenn er einen Sprechfehler macht, wird er ins Gesicht geschlagen. Ein Soldat befiehlt ihm, einem eben eingetretenen anderen Soldaten einen Satz auf hebräisch zu sagen. Dieser wird wütend und verprügelt ihn, weil Anîs ihm einen Fluch gesagt habe. Ein Soldat steckt Anîs eine Palästinafahne unter das Hemd, ein anderer holt sie wieder heraus und sagt: "Hier ist der Beweis für deine Schuld! Dein Haus wird gesprengt; du kommst für zehn Jahre ins Gefängnis. [...]" (S. 245 f.).

"Friede entsteht nicht bloß aus dem Unterzeichnen von Abkommen, er erwächst vielmehr aus dem Mosaik zahlloser Bemühungen der Völker selber um ein neues Denken und neue Perspektiven, Friedensarbeit beruht auf der Bereitschaft, die Gewalt wahrzunehmen, die vom eigenen Volk und dem anderen ausgeübt wird, und an ihrer Überwindung zu arbeiten. Friede setzt voraus, daß beide Seiten gleichermaßen Gerechtigkeit erfahren und daß beide ihre Menschenwürde und Sicherheiot gewahrt wissen." (S. 270)

Trotz des Traumas der Vergangenheit und der bedrückenden Gegenwart gibt Sumaya Farhat Naser nicht auf. Sie will Frieden und Verständigung. Zusammen mit friedliebenden israelischen Frauen will sie eine Bewußtseinsänderung auf breiter Front. Die schon oft (einmal sogar für 52 Monate) von den Besatzern geschlossene Universität von Birzeit, in der ihr Mann Munîr noch heute lehrt, behauptet sich nach wie vor in dem Bestreben, ein Ort der Begegnung zu sein für Gelehrte aus allen friedliebenden Staaten.

Stand: 6.11.2000