Dr. Wolfgang Näser: UE "Varianten des Deutschen - eine Einführung für Ausländer"
WS 2002/2003 * Di 16-18, HG 207

Gesprochene Alltagssprache I:

Auszug aus einer TV-Sendung mit Jürgen Fliege, ARD 18.11.2k2
(Thema: wie Menschen von Banken über den Tisch gezogen werden)

F = Jürgen Fliege, P = Interviewpartner

P Also: wir haben nie 'ne Mark gekriegt aus der Mietgarantie

F Das Ergebnis heute ist, wenn ich das, meine Damen und Herrn, Ihnen sagen darf, Sie wohnen nicht mehr in ihrem Häuschen, ... das heißt Sie wohnen noch da, aber es gehört Ihnen nicht mehr, Sie haben nix mehr, und ich will jetzt herauskriegen, ob das Zufall ist - habt ihr euch nur verspekuliert oder gibt's da auch Betrügereien? Und deswegen habe ich - mach Ihnen 'n Rechtsanwalt, muß ich fast sagen - Professor Thiele nochmal erneut ins Studio gebeten. Herr Thiele, könn' Sie mir erklären: ha'm die sich nur verspekuliert, wie vielleicht Jürgen Drews, oder liegt da irgendwas Anderes im argen, das wir nicht verstehen, wie kann eine Witwe von neun Millionen auf null und unter null gebracht werden?

P Gut, ist natürlich ein astreiner Betrug, was hier gelaufen ist -

F Aber das hätten wir gerne verstanden: wo soll denn der liegen?

P Der Betrug liegt darin, daß man Ihnen einen Vorteil versprochen hat, der nie zu erreichen war, auch die Mieteinnahmen - der Garantiegeber war vermögenslos, hatte die Eidesstattliche Versicherung*) abgegeben, das wußte auch die Bank, und dennoch ist er nach außen hin ...

F Moment: derjenige, der Ihnen versprochen hat - fünf Jahre Garantie, war das'n Mensch oder eine Firma?

P War ein Mensch, der sich hinter einer Firma versteckt hat und der solche Immobilien verkauft hat und im Prinzip wußte: die Bank, daß der ...

F Und der war schon, der hatte schon die Finger bei der Bank gehoben, da sagt einer: "Eiiih, von mir kriegt ihr keine müde Mark, aber ich verspreche den Meiers auf fünf Jahre Kohle ohne Ende."

P Ja, gut, das geht, der hat sich da hinter einer Firma versteckt und hat dann 'ne Mietgarantie angeboten, das Hauptproblem war natürlich hier auch die Werthaltigkeit der Wohnungen, daß das Geld, was für die Renovierung verwendet werden sollte, gar nicht in die Wohnungen reingeflossen ist, deswegen bekamen [wir] auch nie die Mieten. [Ein] weiteres großes Problem war, daß diese Mieten gar nicht durchsetzbar waren, weil die Renovierung gar nicht innerhalb der Wohnungen durchgeführt worden ist, also es wurde an sich rechts, links, oben und unten betrogen, das konnten die Laien überhaupt nicht erkennen, das hätte die Bank meiner Ansicht nach wissen müssen, daß dieses Objekt überhaupt nicht funktioniert, das hier angeboten worden ist, hat ja auch in vielen anderen Fällen nicht funktioniert.

F In ganz, ganz vielen, hunderten von anderen Fällen, auch bei anderen Banken. Da denkt man ja, man hat sich verspekuliert, jeder dachte doch, im Osten geht die Sonne auf, und jetzt geht sie im Osten unter.

P Das war hier im Westen, und das Problem ist, daß die Banken sich dann immer wieder zurückziehen und sagen: Wir haften für solche Fälle nicht, denn wir haben keine Aufklärungspflicht, und wir als Anwälte müssen dann letztendlich der Bank nachweisen: Ihr wußtet, was hier passiert ist; in dem Fall ist es an sich klassisch, man konnte es nachweisen, oder kann es meines Erachtens nachweisen, daß diese Mieten überhaupt nicht durchsetzbar waren, gesetzlich schon gar nicht zulässig waren, und das hätte meiner Ansicht nach die Bank erkennen müssen, auch daß letztendlich auch die Sanierung nicht gesichert ist.

F Lieber Professor: ...Rechtsanwälte, die sagen nicht immer die Wahrheit, deswegen will ich noch mal gucken, ob ich Ihnen auch auf'n Zahn fühlen darf. Also erstmal: hat die Witwe Meier und ihr Sohn, die hier sitzen, freundlicherweise, haben die sich über'n Tisch ziehen lassen? Sie sagen, von jemandem, der selber schon die Eidesstattliche Versicherung abgegeben hat - aber der besaß doch ein Haus von 44 Parteien!

P Das Haus hat ihm nicht gehört, sondern das Haus war ja von Anfang an von der Bank finanziert, und zwar so finanziert unter der Bedingung, daß man sofort einen Käufer findet. Also der Vermittler, der ja also wirklich gigantisch gut vermitteln konnte und auch alles versprochen hat, wir kennen ihn ja in der Praxis, der hat also selbst ein Vierfamilienhaus als Schuhsohle verkauft, der konnte alles verkaufen, der hat praktisch diese ganze Vermittlung gemacht ...

F Ja, aber Witwe Meier denkt doch, da ist ein Mensch, der immerhin 44 Wohnungen, ein großes Haus in Berlin, daran beteilige ich mich, der kriegt mein Geld, das Erbe von meinem Mann, ich krieg dafür die 44 Wohnungen, das große Haus, mit meinem Sohn zusammen. Wo soll die her wissen, daß das 'n Strohmann oder sonst was ist?

P Ja gut, sie kann letzendlich nur vertrauen in die Bank, daß die Bank das geprüft hat, auch die Werthaltigkeit geprüft hat ...

F Muß die Bank sowas prüfen?

P Darüber streiten wir seit langem ... langer Zeit, also wir sind der Ansicht, daß bei so'm eklatanten Fall, wo's so offensichtlich war, daß es auf Betrug rausgeht, daß die Bank das prüfen muß und daß sie 'ne Aufklärungspflicht hat gerade bei solchen Leuten, die überhaupt keine Ahnung haben, und das Ganze war so eingefädelt: der Vermittler war ja nicht der Eigentümer, sondern des gab noch eine Firma, die solche Objekte in Berlin verkauft hat, die nach außen aufgetreten ist und alles versprochen hat - Sanierung, hohe Mieten, alles versprochen hat, nur das Problem ist, daß diese Gelder eben nicht in die Häuser geflossen sind, sondern meiner Ansicht nach teilweise auch bei der Bank geblieben sind.

F Also da hat man einiges für die Renovierung bezahlt, und da ist kaum was renoviert worden. Also: wenn man das im Einzelfall prüft, ist aus diesen Millionen in diesem Haus sehr wenig angekommen.

P Richtig.

F Sagen Sie mal: wir machen dann schnell Strukturen dafür verantwortlich, aber bei der Bank sitzen ja auch Menschen, da sitzen ja auch Mitarbeiter. Ist solchen Leuten bei der Bank das klar, daß sie in diesem Augenblick eine Witwe runinieren?

P Ich weiß es nicht; manchmal wundere ich mich, mit welcher Eiseskälte die Leute eben solche Finanzierungen durchziehen und danach sich auch zurückziehen - und gerade in dem Fall weiß ich ja auch, wer dahinterstand -, sich zurückziehen und sagen, wir haben von nichts gewußt und haben keine Ahnung. Man macht dann auch den Trick, daß man in die Kreditunterlagen reinschreibt, die Finanzierung erfolgt nicht auf die Bonität des Objekts, sondern auf die Bonität der Kunden, das ist an sich der Bankentrick ...

F Was heißt das? Also wir geben Ihnen zwar Geld, nicht weil das Objekt so viel wert ist ...

P Genau

F ... sondern die Frau Meier, Witwe im Bayrischen, die ist es wert. Also das ist 'ne goldene Witwe.

P Völlig richtig, man mogelt sich praktisch aus der Verantwortung, indem man sagt, wir ha'm das ja nie geprüft, letztendlich ha'm wir die ganze Bonität nur auf den Kunden abgestellt, und deswegen wenn jetzt dann der Crash kommt, der hier da war, sagt man: Gut, wir ha'm keine Verantwortung, wir sind praktisch außer jeglicher Verantwortung, ihr habt Pech gehabt.

F Ja, lag das denn daran, daß Sie die 44 Wohnungen gar nicht vermieten konnten? Nomalerweise würde man doch sagen: Die Mieten, die da zusammenkommen, die sind dafür verantwortlich, daß man den Kredit von 4 Millionen bedienen kann.

P Ja gut, das war von vorneherein das Hauptproblem, daß die Firma, die praktisch das Ganze durchgezogen hat, die mit der Bank zusammen auch die Finanzierung organisiert hat, einen Großteil des Geldes gar nicht dareingab, und das erleben wir gerade bei diesem Firmenbereich hier, daß die Gelder nicht in die Sanierung kommen, und damit kommen auch nicht die Mieten, das dreht sich dann wie so'n Kreisel dann nach unten.

F Darf ich mal genauer fragen, nochmal, lieber Rechtsanwalt und Professor, nochmal meine Frage: Da sitzt doch auf der Bank ein Mensch. Was hat der für ein Interesse, eine Witwe zu ruinieren? Also das verstehe ich nicht. Also der ... also wenn sie sagen, das ha'm die sehenden Auges gemacht, ist Ihr Vorwurf, ohne daß wir 'n Namen genannt haben, ist Ihr Vorwurf, sehenden Auges ... Was hat ein Mitarbeiter für ein Interesse, ein Leben zu ruinieren?

P Gut, da kann man natürlich eins, einzelne Spekulationen sagen - natürlich auch ein Riesengewinn für die Bank, ein Großteil des Geldes ...

F Die Bank oder für den Mitarbeiter?

P Für die Bank. Für die Mitarbeiter ...

F Das heißt er ... der handelt im Interesse der Bank.

P Ob's für den Mitarbeiter ein Interesse war, da woll'n wir mal Gerichtsverfahren abwarten, die in diesem Fall kommen, das möchte ich nicht vertiefen, aber es könnte auch dieser Bereich eine Rolle spielen.

F Also Sie könnten sich durchaus vorstellen, daß die Mitarbeiter, die in der Bank, die ja die Kunden beraten sollen, schließlich sind sie die Vertragspartner, daß die auch offene Taschen haben?

P Möcht' ich jetzt nicht ... eh .. beantworten ...

F Ich habe gesagt: vorstellen, ich habe gesagt nicht "unterstellen".

P Fragen Sie einmal ...

F Aber ... Ihre Phantasie reicht bis dort.

P Natürlich.

F Kann man das so juristisch ausdrücken?

P Ja.

F Ohne daß man sich da irgendwo ...eh....verritten hat?

P Es gibt einen konkreten Fall, in dem wir's nachweisen können, ich glaube aber, die Masse der Fälle liegt einfach im Gewinnstreben der Banken, daß die Banken hier schnelle Gelder verdienen wollen, auch Riesengelder verdienen, das darf man nicht vergessen, denn ein Großteil dieser Gelder sind letztlich, endlich bei der Bank in Form von Zinsen geblieben. Es ist nicht so, daß die Gelder rausgeflossen sind, sondern es sind Riesenzinsen abgezahlt worden.

F Herr Meier, Sie waren mal Millionenerbe vom Vater und von der Mutter - wenn man so will, vom Vater -, was sind Sie denn jetzt?

P Genau das Gegenteil. Also: Offenbarungseid*) ist selbstverständlich, dann, seit vier Jahren, fünf, keine Krankenversicherung mehr, auch seit 'n paar Jahren, Gelegenheitsarbeiten. Ja, ansonsten wird mir ja die Bank alles nehmen.

F Das heißt, als die Mieter nicht auftraten, als diese ganze Finanzierung zusammenbrach, als man die Zinsen nicht mehr zahlen konnte, weil es schon alles abgeräumt war, das Erbe - kommt dann der Gerichtsvollzieher, oder wie ist so was und sagt "Liebe Witwe Meier, jetzt hätten wir gern Ihr kleines Reihenhaus"?

P Das wird dann alles versteigert. Letztendlich hat die Bank sofort ein Urteil, die braucht nicht mal zu Gericht zu gehen, über die Grundschulden kann die sofort vollstrecken und kann alles pfänden, das Haus ist ja teilweise jetzt schon versteigert worden, ich glaub' zur Hälfte vom Wert oder ein[em] Viertel des Wertes - in Berlin, da werden die Wohnungen verkauft und wird dann alles verramscht, und am Schluß bleiben Schulden übrig, die über Generationen nicht bezahlt werden können.

F Ihr Mann ist schon dreißig Jahre tot. Denken Sie oft an den in letzter Zeit?

P Na ja

F Oder ist es - oder ist es so, daß Sie dann [fragen]: Wat haben die aus unserer gemeinsamen Arbeit gemacht?

P Ja, des is natürlich sehr bitter, aber was so'i mach'n? Des - is weg, des Geld is weg, und schlimm is nur, daß i schon so alt bi un kann praktisch nichts mehr verdienen.

F Hmm. Ha'm die denn Chancen, Herr Professor, wenn man eine solche, also, Witwe gegen Bank, mein Gott, da seh ich doch, was da auf Sie zukommt. Da hat doch gark.. also, ja, Witwe gegen Großbank ...

P Gibt schon gewisse Möglichkeiten, so hat sich auch in den letzten Monaten die Haftung der Banken verbessert zu Gunsten der Anleger. Was unser großes Problem ist bei dieser Fülle von Prozessen, die wir auch führen, daß die Richter teilweise völlig bankenhörig sind - ein Riesenproblem - und sich gar nicht vorstellen können, daß solche Fälle passieren, und man würde wirklich mal wünschen, daß einige Richter auch mal das wirklich selbst erleben, wobei ich sagen muß, ich vertrete auch Richter, die selbst geschädigt sind, aber es ändert sich im Augenblick 'n bißchen was bei Gericht, also in den letzten Jahren hatten wir eine total bankenfreundliche Rechtsprechung, also da war die Justitia auf beiden Augen blind. - Aber ich sehe gewisse Chancen, gerade weil wir uns ja alle zusammengetan haben oder die Geschädigten, und man sieht jetzt doch einige Tatbestände, wo man sagen kann, es war 'n offizieller Betrug, also [korrigierend:] 'n offensichtlicher Betrug, und ich sehe Möglichkeiten, daß hier Geld zurückgeholt werden kann.
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*) "Die Amtsgerichte (Vollstreckungsgerichte) führen jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich das Schuldnerverzeichnis. Betroffene sind Personen, die eine „Eidesstattliche Versicherung gemäß § 807 Zivilprozeßordnung - ZPO -“ oder nach § 284 Abgabenordnung (früher Offenbarungseid) über ihr Vermögen abgegeben haben, oder gegen die zur Abgabe dieser Versicherung die Haft angeordnet worden ist. Dieses Register ist öffentlich, jeder erhält auf Antrag Auskunft daraus, wenn er darlegt, dass die personenbezogenen Informationen für einen der in der Zivilprozessordnung festgelegten Zwecke (z. B: Zwangsvollstreckung) verwendet werden sollen. Den Betroffenen steht nach der Zivilprozessordnung ein Löschungsanspruch zu, wenn er - vereinfacht ausgedrückt - keine Schulden mehr hat oder drei Jahre seit Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verstrichen sind." (Quelle: http://www.bfd.bund.de/dsvonaz/s4.html)

Links:

  1. Jürgen Fliege (ARD)
  2. Immobilien und Mietrecht
  3. Institut für Kreditwesen, Uni Münster

Änderungen und Ergänzungen vorbehalten * Stand: 25.11.2k2
Transkription: (c) Dr. W. Näser, MR, 20.11.2002 (Wort- und Bildzitate nur zu internen didaktischen Zwecken).
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