Formen schriftlicher Kommunikation: Grundsätzliche Überlegungen zur Didaktik
Wolfgang NÄSER, Marburg, WS 1998/99 ff.
Im Rahmen des Lehrgebiets "Deutsch für ausländische Studierende" will eine zu diesem Thema angesetzte Übung dazu beitragen, das schriftliche Deutsch zu verbessern. Wir betrachten, wie die Sprache in verschiedenen Situationen gebraucht wird oder, um es anders zu sagen (auszudrücken), welcher Mittel sie sich bedient, um verschiedenen Anlässen oder Zwecken gerecht zu werden.
Je komplizierter, reichhaltiger, kunstvoller eine Sprache ist, desto mehr Textsorten vermag sie hervorzubringen. Innerhalb eines Semesters und in einer fremdsprachlichen Übung lassen sich nur wenige ausgesuchte Textsorten exemplarisch behandeln: unser Hauptziel ist es zu erkennen, welche reichhaltigen Formulierungsmöglichkeiten das Deutsche bietet, um zielgerichtet und wirkungsvoll sprachliche Inhalte / Aussagen zu vermitteln. Deshalb muß eine solche Sprachbetrachtung sensibilisieren für stilistische Merkmale und gestalterische Unterschiede und alle Übenden in die Lage versetzen, selbst bestimmte Textsorten zu erzeugen.
Die Frage, wie ein solches Ziel zu erreichen ist, läßt sich nicht bündig beantworten: sie muß in jedem Semester neu gestellt werden, weil sich das Publikum stets neu zusammensetzt und nicht a priori auf das sprachliche Niveau der Lerner geschlossen werden kann: ein Eingangstest wäre hilfreich, auch wenn die Übung per definitionem für Fortgeschrittene angesetzt wird. Ein solcher Eingangstest wird am besten die noch bestehenden grammatischen Mängel aufzeigen: sind diese zu gravierend, sollte den Betroffenen das Ausscheiden aus der Übung nahegelegt oder zumindest empfohlen werden, parallel an einem Grammatik-Kurs (z.B. auch in einem Fremdsprachenzentrum) teilzunehmen.
Je mehr in einer solchen Übung tatsächlich geschrieben wird - und zwar ohne fremde Hilfe -, desto größere Fortschritte wird es geben. Schreiben: das heißt auch Abschreiben - eine durchaus sinnvolle Übung, weil hier ein hohes Maß von Konzentration nötig ist und aufgrund des langsamen Informationsflusses eine hohe Lern-Intensität erzielt wird.
Schreiben: das bedeutet ein hohes Maß von Kreativität. Sinnvolles Kombinieren von Wörtern und Variation des sprachlichen Ausdrucks sind in jedem Falle ein schöpferischer Akt. Der Umgang mit dem Wort wird umso mehr zu einem sinnlichen Erlebnis, je größer das diskriminatorische Vermögen und damit der Sinn für die Einsetzbarkeit bestimmter Wörter und Wendungen geschärft ist.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es auch harter handwerklicher Arbeit: vor allem sind erstklassige Wörterbücher, Stilistiken und Grammatiken zu verwenden, wozu in Fachbibliotheken reichlich Gelegenheit ist. Sobald der geringste Zweifel besteht, ob ein bestimmtes Wort oder eine Wendung (z.B. Verb + Präposition) richtig oder falsch ist, muß das Wörterbuch befragt werden. Alle unbekannten Wörter eines jeden Textes sind in einer exakt strukturierten Wortliste zu erfassen: optimal per Computer, damit die textbezogenen Glossare später zu einer Gesamt-Wortliste vereinigt (und erkenntnisbezogen modifiziert) werden können.
Da es - im Gegensatz zur gesprochenen Sprache - immer auf exakte Schreibung ankommt, muß dem Wortkörper und damit der Wortstruktur erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Daß die deutsche Sprache ein Wort-Baukasten ist und daß sich die jeweiligen Module zu immer neuen Wörtern kombinieren lassen, sollte immer eindrucksvoll gezeigt werden: so lassen sich auch Wortfamilien optimal präsentieren. Das Segmentieren von mehr oder weniger langen Lexemen ist auch und gerade bei Fremdwörtern sehr hilfreich.
Was das Geschlecht der Wörter betrifft, ihre Verwendung, die Wortstellung im Satz und die Struktur bestimmter Syntagmen (z.B. Verb oder Substantiv + Präposition), so richten sich die gemachten Fehler oft nach der jeweiligen Ausgangssprache. Ein US-Amerikaner wird immer andere Fehler machen als ein Japaner. Während sich viele Amerikaner/innen schwertun mit lexikalischer Morphologie und Wortstellung, stehen fernöstliche Teilnehmer/innen lautbedingt bisweilen auf Kriegsfuß mit der Orthographie.
Die ab August 1998 in vielen öffentlichen Bereichen gültige deutsche Reform-Rechtschreibung hat bislang nicht zu den postulierten Erleichterungen geführt, sie hat eher neue Konfusionen geschaffen. Ebenso negativ wirkte sich der epidemisch-gnadenlos verbreitete Unfug aus, in der Sprechsprache weil (+ neuderdings auch obwohl) mit Hauptsatz-Wortstellung zu gebrauchen. Der DaF-Lehrer hat es zunehmend schwer, solchen Entwicklungen entgegenzusteuern, vor allem wenn von Sprachgesellschaften, Berufsverbänden und der Ministerialbürokratie keine Rückendeckung zu erwarten ist. Es sind Kompromisse zu finden, die den durch verantwortungslosen Sprachgebrauch entstehenden Schaden minimieren. Alle Verantwortlichen sind aufgerufen, hieran mitzuwirken und ihre performative und linguistische Kompetenz einzubringen.
Änderungen und Ergänzungen vorbehalten. Hinweise und Kommentare
willkommen.
(c) WN 06/2002