Warum gibt es im Deutschen kein Wort für 'geruchsunempfindlich'?

Thesen zu einer Anfrage des Bayerischen Rundfunks vom 6.9.2000.
(c) Dr. Wolfgang Näser, Marburg

Sehen, hören, sprechen, tasten sind 'elementare' Sinnesfähigkeiten, die im täglichen Leben sehr wichtig sind und sogar über Leben und Tod entscheiden können: Gefahren sehen, Herannahendes Unheil mit dem Ohr wahrnehmen, um Hilfe rufen oder ein Kind warnen, dazu kommt noch das Schmecken, also etwas Eßbares probieren und als ungenießbar Empfundenes aussondern, was, wenn wir an bestimmte Pilze oder Gifte denken, ebenso trügerisch sein kann wie das Riechen: bestimmte Gifte wie Kohlenmonoxid sind geruchlos.

Als nicht zu eindeutigen und verläßlichen Ergebnissen führender und daher für das Überleben nur bedingt verwendbarer Sinn ist das Riechen ist eine Art Luxus. Ob es irgendwo stinkt oder duftet, kann von Kultur zu Kultur verschieden empfunden werden (denken wir in diesem Zusammenhang auch an Harzer oder andere Käsesorten, die von den einen geliebt, von den anderen als abscheulich empfunden werden); Parfums, also edle Düfte, waren schon immer etwas Besonderes.
Die 'feine Nase' ist also ein Merkmal zivilisatorischer Kultur, die ein solches Sensorium ausbilden konnte. Und in einer solchen  Kultur entstanden dann auch Bezeichnungen für bestimmte Düfte: süß oder süßlich, herb, lieblich, andererseits modrig, streng, beißend, faul oder faulig. Man sollte auch darauf hinweisen, daß riechen und schmecken sehr eng miteinander zusammenhängen und zusammenarbeiten und daß eine Speise dann nur halb genossen wird, wenn der Geruchssinn abhanden gekommen ist, zum Beispiel bei starkem Schnupfen.

Die prägnanten Grund- oder Urwörter einer Sprache entstanden, als es um darum ging, elementare Lebensumstände und Handlungen in Worte zu fassen. Blind, taub, hungrig, satt widerspiegeln Situationen, die eindeutig sind, und die dafür geprägten Wörter kann jeder verstehen. Das Wort geruchsunempflindlich zeigt schon in seiner Struktur, daß es später geprägt wurde, als die Sprache erwachsen und von den Ressourcen her kunstvoll genug war, um aus einem begrenzten Inventar an Bausteinen eine unbegrenzte Zahl neuer Wörter zu prägen.

Stand: 6.9.2000