Mobbing am Arbeitsplatz

Die Gesellschaft gegen psychosozialen Streß und Mobbing e. V. (GpSM) definiert Mobbing am Arbeitsplatz als eine "konfliktbelastete Kommunikation unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist, von einer oder mehreren anderen Personen oft, systematisch und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes direkt oder indirekt angegriffen wird, und dies als Diskriminierung empfindet." Mobbing am Arbeitsplatz ist also mehr als ein übler Kollegenscherz oder ein vorübergehend angespanntes Betriebsklima.

Mobbing - Mehr als ein übler Kollegenscherz

Die Auswirkungen, unter denen die aufgrund von Arbeitsplatzbelastungen erkrankten Menschen leiden, sind vielfältig. So treten verschiedene körperliche Beschwerden in unterschiedlichen Organsystemen auf. Auch die psychischen Ausprägungen sind breit gefächert. Zunächst treten oft Konzentrations- und Gedächtnisstörungen auf. Bereits nach kurzer Mobbingwirkdauer zeigen sich Gedankenautomatismen, und das Denken kreist ständig um die am Arbeitsplatz erlittenen Schikanen. Daraus können sich Identitäts- und Selbstwertkrisen, neurotische Störungen, Erschöpfungs- und Versagungszustände und schließlich sogar anhaltendes ängstliches und depressives Erleben entwickeln.

Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, daß es mit zunehmender Ausgestaltung der Krankheitszeichen immer schwieriger wird, als zugrundeliegende Ursache einen Mobbingprozeß zu erkennen, insbesondere, da sich im Verlauf von jahrelangem Mobbing die entstehenden Krankheitsbilder auch abseits des Mobbing weiterentwickeln. So kämpfen manchmal sogar aufgrund von Mobbing frühberentete Menschen weiter gegen das ihnen widerfahrene Unrecht an, ungeachtet rechtlicher Aussichtslosigkeit und verschleißen so ihre letzten, noch verbliebenen gesundheitlichen Ressourcen.

Psychosomatische Krankheitsbilder

An psychosomatischen Krankheitsbildern dominieren u.a. Schlafstörungen (Frühsymptom), Hypertonie (Bluthochdruck), Herzschmerzen, Magen- und Darmentzündungen und -geschwüre, durch anhaltende Muskelverspannung und Körperfehlhaltung bedingte Krankheiten wie z. B. Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen. Aber auch streßbedingte chronische Immunschwäche mit in der Folge Begünstigung von Allergien, Infektionsanfälligkeit und Entstehung bösartiger Tumoren können vorkommen.

Soziale Auswirkungen

Eine Ausgrenzung am Arbeitsplatz hat neben gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auch erhebliche Auswirkungen auf die übrigen Lebensbereiche, wie z. B. Familie und Freundeskreis. Mobbing kann in kurzer Zeit schnell zum Verlust der jeweiligen individuellen gesundheitlichen Reserven führen. Das geschieht besonders schnell in Fällen, wo keine Alternativen, wie z. B. ein Arbeitsplatzwechsel, zur Verfügung stehen. Anders ausgedrückt: Die persönliche Prägung und die sozialen Umstände können die Belastungsgröße Mobbing in ihrer Schadenswirkung erheblich potenzieren.

Rechtzeitige fachkundige ambulante und/oder stationäre Hilfe (sowohl in Form von Vorsorge- als auch Wiedereingliederungsmaßnahmen) kann das Entstehen psychosomatischer bzw. psychiatrischer Erkrankungen verhindern, bereits bestehende Krankheiten heilen oder ihre Verschlimmerung verhüten.

Stationäre Rehabilitation

Die stationäre Rehabilitation von Menschen, die aufgrund von Mobbing erkranken, zielt darauf ab, mit gezielten Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen zu helfen. Sie bezieht sich auf den konkreten Gesundheits- bzw. Krankheitszustand der Patienten, berücksichtigt aber in besonderem Maße die zugrundeliegenden Ursachen. Eine stationäre medizinische Heilmaßnahme sollte bei diesem Patientenkreis mindestens 6 Wochen dauern. Dies ist notwendig, um die Ursachen und gesundheitlichen Folgen von Mobbing umfassend zu erkennen und zu behandeln und dient darüber hinaus der Vermeidung von sonstigen anfallenden Folgekosten. Aufgrund von Mobbing am Arbeitsplatz entstehen nämlich nicht nur dem Arbeitgeber hohe Folgekosten in Form von Produktivitätsverlust, sondern auch hohe Mehraufwendungen für Krankenkassen- und Rentenversicherungsträger (Krankschreibung, ambulante Behandlung, Krankenhausbehandlung, Rehabilitationsbehandlung, Frühberentung). Grundsätzlich gilt, daß die Heilungschancen und damit die Rückkehr ins Arbeitsleben umso größer sind, je früher interveniert wird.

Ein Fallbeispiel:

Herr M. war zum Behandlungszeitpunkt 35 Jahre alt und im mittleren Dienst einer Behörde angestellt. Er war verheiratet und hatte 4 kleine Kinder. Im Gefolge von ständigen Mobbinghandlungen hatte er einen Arbeitsunfall erlitten und war deshalb seit über einem Jahr krankgeschrieben. Anlaß für die Mobbinghandlungen am Arbeitsplatz war, daß Herr M. in seiner Behörde eine neue, verantwortungsvollere Tätigkeit übernommen hatte und im Rahmen dieser Tätigkeit Strukturen verändern wollte. Das stieß auf massiven Widerstand seiner Kollegen. Außerdem waren andere Kollegen, die sich um diese Position beworben hatten, neidisch. Herr M. wurde nun regelmäßig und andauernd (über ein halbes Jahr) u. a. grundlos angeschrien, zu Unrecht kritisiert, durch Verbreitung falscher Gerüchte denunziert und schließlich vollständig isoliert. Das Ergebnis war eine völlige Verunsicherung, ein stark geschwächtes Selbstwertgefühl und ein umfangreiches psychosomatisches Beschwerdebild, u. a. mit Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen, Konzentrationschwierigkeiten sowie Nacken- und Rückenschmerzen. Der Leidensdruck von Herrn M. war schließlich so groß, daß er vorhatte, in Frührente zu gehen.

1. Behandlungsschritt: Streßabbau

Die Aufnahme in die Rehabilitationsklinik bot Herrn M. den unbedingt notwendigen streßfreien schützenden Rahmen. Durch Integration in die therapeutische Gemeinschaft konnte er sein eigenes Schicksal akzeptieren, relativieren und entsprechend ermutigt und motiviert der weiteren Behandlung folgen. Er fand Ruhe und Entspannung, was mit Hilfe verschiedener Behandlungstechniken (autogenes Training, Entspannung nach Jakobsen, konzentrative Bewegungstherapie) intensiviert wurde.

2. Behandlungsschritt: Selbstsicherheitstraining

In der 2. Behandlungsphase werden dem Patienten mit Hilfe eines speziellen Selbstsicherheitstrainings blockierende Verhaltensformen bewußt gemacht und neue Verhaltensweisen eingeübt. Das geschieht in halboffenen Bezugsgruppen mit einem gemeinsamen Behandlungsbeginn und einem individuell abgestimmten Entlassungstag (Gruppenstärke 8-10 Personen). In der Gruppe werden typische Mobbinghandlungen und Mobbingverläufe mit Hilfe verschiedener Techniken, wie z.B. verhaltenstherapeutischer Übungen, transparent gemacht. Zusätzlich gibt es individuelle Einzelgespräche.. Hinzu kommen gezielte sportliche und gestaltungstherapeutische Behandlungseinheiten.

3. Behandlungsschritt: Angehörige miteinbeziehen!

In der dritten Therapiephase wird die Familie in die Behandlung miteinbezogen. Die nahen Angehörigen sind fast immer in die Problematik eingebunden, da die meisten Menschen über ihren Arbeitsplatz ihre Existenz definieren. Deshalb soll in dieser Therapiephase der vom Patienten benannte nächste Familienangehörige in die Klinik kommen und an einem systemisch ausgerichteten Familientherapieblock teilnehmen. Es wird vermittelt, daß der Patient kein unabhängiges Individuum ist, sondern in einem System von Beziehungen lebt. U. a. kommt es darauf an, den Angehörigen die zum Krankheitsbild geführten Geschehensabläufe nachvollziehbar zu machen, um sie so zu entlasten. Sodann können gemeinsam zukünftige Arbeits- und Lebensbewältigungsstrategien entwickelt werden. Das geschieht sowohl in Paargesprächen als auch in kleinen Paargruppen und wird erneut unterstützt durch pädagogisches Material, z. B. in Form von Vorlesungen.

Im beschriebenen Fall des Herrn M. zeigte die Analyse der Geschehensabläufe eine zusätzliche Eheproblematik, die durch die insgesamt belastende Arbeitsplatzsituation entstanden war. Die durchgeführten Paargespräche führten zu einem besseren Verständnis des Ehepaares untereinander und entlasteten Herrn M. deutlich.

4. Behandlungsschritt: Neue berufliche Perspektiven

Grundsätzlich muß auch ein endgültiger Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes in die Überlegungen miteinbezogen werden. In einem solchen Fall ist es notwendig, in der dritten und letzten Therapiephase neue berufliche Perspektiven, wie z. B. Umschulungsmaßnahmen, zu eruieren. Dies war jedoch bei Herrn M. nicht notwendig. Er faßte nämlich durch die stationäre Heilmaßnahme wieder genügend Mut, seine Berufstätigkeit aufzunehmen und gab seine ursprüngliche Absicht auf, in Frührente zu gehen. Herr M. fand einen geeigneten Arbeitsplatz in einer anderen Behörde. Auch seine Ehe stabilisierte sich, und er berichtete ein halbes Jahr nach seiner Entlassung, daß er wieder zuversichtlich in die Zukunft sehe. Seine damaligen psychischen und psychosomatischen Beschwerden waren zu diesem Zeitpunkt fast gänzlich geschwunden, sein Selbstwertgefühl hatte sich deutlich gehoben und er glaubte, in Zukunft ähnlichen Belastungen am Arbeitsplatz resistenter begegnen zu können.