Zuzahlungen sind Fundament der Gesundheitsreform
Gesetz heute im Bundestag - Ausgabensteigerungen werden verteilt - Anteil an Lohnnebenkosten soll stabil bleibenVon KURT KIESELBACH
Bonn - Der Bundestag wird heute - dies gilt in Bonn als sicher - mit der Kanzlermehrheit den Einspruch des Bundesrates zur Gesundheitsreform zurückweisen. Damit kann die dritte Stufe der Gesundheitsreform endgültig am 1. Juli in Kraft treten. Durch das Gesetz sollen die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und deren Anteil an den Lohnnebenkosten möglichst stabil gehalten und die Leistungen in der medizinischen Versorgung voll aufrechterhalten werden. Allerdings werden sich die Kassen-Patienten stärker an den Kosten bestimmter medizinischer Leistungen selbst beteiligen müssen.Der Entscheidung des Bundestages war ein heftiges Gerangel vorausgegangen. Der erste Anlauf des Gesundheitsministers Horst Seehofer (CSU), durch ein Krankenhausneuordnungsgesetz und ein GKV-Weiterentwicklungsgesetz die Strukturen im Gesundheitswesen grundlegend zu ändern, war im vergangenen Jahr an der Bundesratsmehrheit der SPD-Länder gescheitert. Seehofer verzichtete daraufhin auf einige zustimmungspflichtige Teile der Reform und brachte den Kern als 1. und 2. Neuordnungsgesetz (NOG) im vergangenen Oktober in die parlamentarischen Beratungen ein. Heute sollen sie die letzte parlamentarische Hürde nehmen.
Während Ärzte und Zahnärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Pharmaindustrie nur verhaltene Kritik übten, kam es zwischen dem Gesundheitsminister und den Krankenkassen zu heftigen Auseinandersetzungen um die Reform. Auch innerhalb der Union rechnet man deshalb damit, daß Kassen, Opposition und Gewerkschaften die Gesetze weiterhin scharf kritisieren werden.
Seehofer will mit den beiden Gesetzen künftige Ausgabensteigerungen auf drei Schultern verteilen: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und - durch eine höhere Selbstbeteiligung - Patienten. Können die Krankenkassen die Kosten nicht mehr decken -, weil die Zahl der älteren Menschen steigt, weil der medizinische Fortschritt teuer ist oder weil die Beitragseinnahmen sinken -, so sollen zwei Drittel des zusätzlichen Finanzbedarfs von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (je zu 50 Prozent) gedeckt werden. Bei einer Kostensteigerung von 27 Mrd. DM würden 18 Mrd. DM durch die Erhöhung der Beiträge um einen Prozentpunkt hereingeholt. Diese Beitragssteigerung löst dann automatisch eine höhere Selbstbeteiligung der Patienten an den Kosten für Arzneien, Krankenhausbehandlung, Zahnersatz und Heilhilfsmitteln aus. Dadurch würden die fehlenden neun Mrd. DM gedeckt.
Von den Zuzahlungen befreit bleiben Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren und "Härtefälle", also Einkommensschwache und bei besonderer Belastung auch chronisch Kranke. Derzeit sind von den 72 Millionen Versicherten bereits acht Millionen Erwachsene und zwölf Millionen Kinder und Jugendliche von Zuzahlungen ausgenommen.
Bei den Zuzahlungen wird sich vom 1. Juli an folgendes ändern:
Arzneimittel: Pro Packung muß der Patient fünf DM mehr zahlen als bisher, also neun DM für die kleine Packung, für die mittlere elf und für die große 13 DM.
Verbandmittel: Pro Verordnung neun DM Eigenbeteiligung.
Krankenhausbehandlung, Anschlußrehabilitation, Mütterkuren: pro Kalendertag 17 DM im Westen und 14 DM im Osten. Bei Krankenhausbehandlung und Anschlußrehabilitation ist die Zuzahlung auf 14 Tage begrenzt.
Stationäre Vorsorge/Rehabilitation: Für diese Leistungen müssen Versicherte seit dem 1. 1. 1997 aufgrund des Beitragsentlastungsgesetzes 25 DM im Westen und 20 DM im Osten pro Kalendertag für die gesamte Zeit zuzahlen.
Fahrtkosten: 25 DM pro Fahrt sind im Fall eines Rettungseinsatzes oder einer Fahrt zur stationären Behandlung zu entrichten. Für Fahrten zur ambulanten Behandlung muß der Versicherte die Kosten komplett tragen.
Heilmittel: Für diese Kassenleistungen (zum Beispiel Krankengymnastik, Massagen) trägt der Versicherte 15 Prozent der Kosten.
Zahnersatz und damit verbundene zahnärztliche Behandlung: Bei regelmäßiger Vorsorge trägt der Versicherte 45 Prozent, sonst 55 Prozent der Kosten. Vom 1. 1. 1998 wird es Festzuschüsse geben, die die bisherige Form der Zuzahlung aufheben.
Einlagen, Bandagen, Kompressionsstrümpfe: Zuzahlung 20 Prozent des Verkaufspreises.
Sonderbeitrag Krankenhaus: Alle Mitglieder zahlen von 1997 bis 1999 pro Jahr 20 DM für Instandhaltungsaufwendungen zu.
Vom 1. September an erhöhen sich alle Selbstbeteiligungen dann, wenn eine Kasse ihren Beitragssatz anhebt. Eine Erhöhung des Beitragssatzes um 0,1 Prozentpunkte löst drei Monate später eine höhere Zuzahlung um eine DM aus (bei den in DM ausgedrückten Zuzahlungen) und um einen Prozentpunkt, wenn die Zuzahlungen in Prozent festgelegt sind.
Copyright: DIE WELT, 12.6.1997