Warum sagt man in Bayern "Grüß Gott"?

Materialsammlung für eine Anfrage des BR, August 2000

"Grüß Gott" ist verkürzt für "Grüße dich Gott" und bedeutet (als Optativ, Wunschformel) eigentlich 'Gott segne dich'. Die noch heute im süddeutschen Raum (Baden-Württemberg, Bayern; schweizerisch: Grüezi [wohl]) übliche Grußformel erwächst aus einer weit in die (lateinisch-katholische) Vergangenheit zurückreichenden Volksfrömmigkeit, d.h. Einbindung des irdischen Daseins in religiöse Gesetzlichkeiten und Zusammenhänge.

Vgl. die römischen Grußformeln Ave (Sei willkommen), Salve ( Befinde Dich wohl) u.a. und den deutschen Abschiedsgruß "Ade /Adjö /Tschö /Tschüß", der '[dem] Gott befohlen' bedeutet und uns als frz. adieu, ital. addio, portug. adéus wiederbegegnet. Auch der bair. Abschiedsgruß 'bhüetdi' [füeti] / 'bhüet Euch' bzw. 'bhüe(t) Gott' ist als Wunsch zu verstehen, die Seele des zu Verabschiedenden in Gottes Hände zu geben.

Ein ähnlicher Wunsch 'versteckt' sich auch in "Guten Tag", "Guten Morgen", dessen Tiefenstruktur wohl einmal "Gott gebe dir einen guten Tag" gewesen sein muß, später "ich wünsche dir ...".
auch: => http://www.eiker.vgs.no/comenius/98/www/tr30.htm

In einer Osterpredigt heißt es:
Grüß Gott ist ein Segenswort: Grüß Gott, das heißt: "Gott grüße dich". Und das bedeutet nichts anderes als: "Gott segne dich". Gottes Segen, sein Friede, sein Schalom sei mit dir. Das bedeutet dieser Gruß. Als Jesus zu seinen Jüngern kommt, da muß er das Entsetzen gespürt haben. [...] Die Jünger haben an ein Gespenst gedacht, sie waren schockiert, aber Jesus grüßt und segnet sie: Friede sei mit Euch. Gott grüße Euch, er segne Euch.
Quelle: http://www.dike.de/traisa/predigten/990405.html

Auch im orientalischen Kulturkreis ist die Grußformel überliefert: so lesen wir in der Geschichte Ibrahims, des Sohnes Mahdis:
Ich wurde in dem Aufzug, wie ich war, ins Schloß des Kalifen geführt; Mamun ließ den großen Divan versammeln, und als ich vor ihm erschien und ihn grüßte, sagte er: »Gott grüße dich nicht!« Da sagte ich: »O Fürst der Gläubigen! gewiß kann mein Richter die Strafe über mich verhängen, aber verzeihen ist Gott gefälliger; möge deine Großmut die anderer Herrscher verdunkeln, so wie mein Verbrechen jedes andere übersteigt
Quelle: Tausend und eine Nacht Arabische Erzählungen. Erste werkgetreu und vollständig aus dem Urtext übersetzte Ausgabe von Dr. Gustav Weil (1865), http://www.gutenberg2000.de/weil/1001/
Anm.: RA noch in anderen Geschichten aus 1001 Nacht.

Am bekanntesten in der religiösen Überlieferung ist der sog. Englische Gruß (Mariä Heimsuchung).

[1] Als Maria, die spätere Gottesmutter, im sechsten Monat schwanger ist, erscheint ihr der (Erz-)Engel Gabriel (Lukas 1, 28 ff.) und beruhigt die Erschrockene, sie habe keinen Grund, sich zu fürchten, denn ihr sei eine große Gnade zuteil geworden: nämlich den künftigen Jesus Christus, den Herrn, auszutragen und zu gebären.*) "Gegrüßest seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes: Jesus Christus." Seit etwa 1000 Jahren ist das Ave Maria als "englischer Gruß" (von "Engel" abgeleitet) im Gebetsschatz der Kirche enthalten.
Bald darauf eilt Maria zu ihrer Base Elisabeth, der einzigen, der sie sich anvertrauen will. In diesem Zusammenhang ist uns das Magnifikat überliefert (Lk 1, 39-56), Marias Lobpreisung Gottes, des Herrn: Magnificat anima mea dominum ... (= Meine Seele erhebet den Herrn...); von vielen Komponisten vertont (z.B. Cl. => MONTEVERDI am Schluß seiner "Marienvesper"; J.S. BACH u.a.). => auch: => http://www.drmartinus.de/kj/kjheimsu.htm

In diese Überlieferung gehört auch die sog. Marienvesper. Die Vesper ist eigentlich das Abendgebet der Kirche und umfaßt eine Reihe von Psalmen, einen Hymnus und das => Magnificat. Claudio MONTEVERDI  vertonte die geistlichen Sequenzen für Soli, Chöre und Instrumente, das Werk erschien 1610 in Venedig im Druck. In geeigneter Akustik und mit der nötigen Hingebung dargeboten, klingt es geradezu überirdisch.
=> auch: http://www.bistum-essen.de/maedchenchor/mv_auff.htm

[2] Mit dem "Englischen Gruß" befaßt sich auch Dr. Martin LUTHER in seinem 1530 erschienenen "Sendbrief vom Dolmetschen":
Item, da der Engel Mariam grüßet und spricht: Gegrüßet seist du, Maria voll Gnaden, der Herr mit dir. Nun wohl, so ist's bisher einfach dem lateinischen Buchstaben nach verdeutschet. [...] Und würde ich hier das beste Deutsch genommen haben und den Gruß so verdeutscht: Gott grüße dich, du liebe Maria (denn soviel will der Engel sagen, und so würde er geredet haben, wann er hätte wollen sie deutsch grüßen), ich glaube, sie würden sich wohl selbst erhängt haben vor übergroßem Eifer um die liebe Maria, daß ich den Gruß so zunichte gemacht hätte. [...] Das hörest du wohl: Ich will sagen: "du holdselige Maria, du liebe Maria"

Recherchen und Kompilation: (c) Dr. Wolfgang Näser, Marburg 2./3.8.2000.

*) Ninetta Balogh schreibt mir am 1.9.2013 dazu: "Dies ist ein Irrtum. Der erste Satz des Absatzes bezieht sich auf den 6. Monat des Jahres, als der Engel erscheint und nicht auf den Zustand der Heiligen Jungfrau, die erst nach diesem Mitteilung empfängt. Im sechsten Monat schwanger ist aber zu dieser Zeit, Ihre Verwandte, die Heilige Elisabeth, Mutter von Johann der Täufer. (Lukas 1, 36 ff.)"
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Stand: 2. September 2013