SZ vom 15.2.1996, Ressort Wissenschaft
Was das Handy am Ohr im Kopf anrichtet
Neue Studien verneinen biologische Wirkung hochfrequenter Felder auf Erbgut und Gehirn
Der Strahlungsteppich über uns wird zunehmend dichter. Rundfunk- und Fernsehstationen, Amateurfunker oder Handy-Träger, sie alle nutzen hohe Frequenzen des Äthers für die drahtlose Kommunikation. Gesichert ist, daß hochfrequente Wellen den Körper erwärmen. Ob es neben dieser thermischen Wirkung noch andere biologische Effekte gibt, darüber streiten Experten jedoch. So wird beispielsweise gemutmaßt, hochfrequente Strahlung könne unter gewissen Umständen das Erbgut schädigen oder die Aktivität des Gehirns beeinflussen.
Vor kurzem haben Wissenschaftler in Frankfurt die Ergebnisse von drei Studien vorgestellt, welche die biologische Wirkung elektromagnetischer Felder untersuchen sollten. Auftraggeber war die Forschungsgemeinschaft Funk, ein Zusammenschluß von Industrie, Rundfunkanstalten, Netzbetreibern und Anbietern verschiedener Dienste.
Viren als Testobjekte
Können gepulste elektromagnetische Felder, wie sie im digitalen D- und E- Mobilfunknetz verwendet werden, das Erbgut schädigen? Dieser Frage ging die Arbeitsgruppe 'Molekulare Genetik' unter der Leitung von Wolfgang Rüger an der Universität Bochum nach. Die Forscher setzten Viren den Bedingungen eines 80tägigen 'Dauertelephonats' aus.
Kein Schaden festgestellt
Das doppelsträngige Erbgutmolekül DNS eines Virus liegt in dicht gepackter Form vor und ist von einer Eiweißhülle umgeben. Nur wenn diese intakt ist, kann der Erreger seine Wirtszelle infizieren und sich vermehren. Sollte das elektromagnetische Feld den Infektionsapparat oder das Erbgut der Viren schädigen, so würden sich diese langsamer als normal vermehren. In einem weiteren Experiment untersuchten die Wissenschaftler, ob Schädigungen im Erbgut auftreten, wenn die DNS nicht als Doppelhelix, sondern entwunden oder gar als Einzelstrang vorliegt. 'In keinem der Fälle haben wir schädigenden Wirkungen festgestellt', sagte Wolfgang Rüger in Frankfurt.
Einfluß auf Hirnströme
Vor einigen Jahren hatte Lebrecht von Klitzing von der Medizinischen Universität Lübeck herausgefunden, daß gepulste Funkwellen die Hirnströme und damit die Denkleistungen beeinflussen - ein Ergebnis, das viele seiner Kollegen anzweifeln. Forscher der CETECOM, eine Tochtergesellschaft des Rheinisch-Westfälischen TÜV, haben deshalb gemeinsam mit von Klitzing die Versuche wiederholt. Tatsächlich veränderte sich das Elektroenzephalogramm (EEG) einer Testperson, nachdem die Funkwellen eingeschaltet wurden. Jedoch konnten sich die Kontrahenten nicht einigen, wie das zu interpretieren ist.
Wellenverlauf wie kurz vor dem Einschlafen
Hans-Jürgen Meckelburg von CETECOM hat eine einfache Erklärung parat: 'Eine genaue Auswertung des EEG zeigt, daß der Proband während des Versuchs eingeschlafen sein muß.' Von Klitzing hatte sich bei der Auswertung der Hirnstromwellen hauptsächlich auf die sogenannten Alpha-Wellen konzentriert. Die CETECOM-Forscher stellten nun fest, daß immer dann, wenn diese Wellen schwächer wurden, ein Anstieg von Delta- und Theta-Wellen zu verzeichnen war. Der Anteil dieser Hirnwellen am EEG ist besonders hoch, wenn eine Person in den Schlaf fällt. Demnach würden Veränderungen des EEG lediglich den Übergang von der Wach- in die Schlafphase widerspiegeln. Dieser Deutung widerspricht Lebrecht von Klitzing gegenüber der SZ. 'Natürlich haben wir die Wachheit des Probanden überprüft. Er mußte alle 30 Sekunden einen Schalter betätigen.' Im übrigen würden seine Befunde durch eine neue Studie aus den USA sowie durch Versuche an Tieren gestützt.
Handy als 'Schlafmittel'
Unbeantwortet blieb die Frage, ob die elektromagnetischen Felder die eventuelle Müdigkeit des Patienten hervorgerufen haben. Mittlerweile gibt es nämlich Hinweise auf einen solchen Zusammenhang. In einer von der Telekom geförderten Studie fanden Klaus Mann und Joachim Röschke von der Psychiatrischen Klinik in Mainz heraus, daß Versuchspersonen schneller einschliefen, wenn sie sich im Feld eines Handys befanden (Neuropsychobiology, Bd. 33, S. 41, 1996).
Nicht vergleichbare Experimente
Zu einem anderen Schluß als von Klitzing kamen Wissenschaftler der Neurologischen Universitätsklinik am Krankenhaus Bochum-Langendreer unter der Leitung von Walter Gehlen. Sie maßen während drei Phasen von jeweils zehn Minuten die Gehirnströme von 52 Probanden. In der mittleren Phase befand sich die Hälfte der Versuchspersonen in einem Feld an, das von seiner Frequenz und Leistung her dem eines Autotelephons entsprach. Einen statistisch aussagekräftigen Unterschied zwischen den EEG der beiden Gruppen konnten die Forscher nicht feststellen. So steht nun Aussage gegen Aussage, wobei nicht klar ist, ob man die Experimente überhaupt miteinander vergleichen kann. Denn, so die Fachleute der Forschungsgemeinschaft Funk, die Bedingungen von Klitzings könne man nicht mit Mobilfunk vergleichen. Tatsächlich betrug die Sendefrequenz in seinem Lübecker Labor 150 Megahertz und nicht 900 Megahertz oder 1,8 Gigahertz wie bei Handys üblich. Auch die Modulation der hochfrequenten Trägerwelle durch ein niederfrequentes Feld - dadurch wird die Information in eine Folge von Signalen kodiert - entsprach nicht dem Mobilfunk-Standard. Während von Klitzings Felder nur eine Leistung von 0,5 Milliwatt aufwiesen, sind es bei Handys immerhin ein bis zwei Watt.
'Nicht linearer' Effekt
Unerklärlich ist zunächst, warum Funkwellen derart geringer Leistung auf den Körper wirken sollten. Geht man doch im allgemeinen davon aus, daß das gesundheitliche Risiko mit wachsender Dosis steigt. Lebrecht von Klitzing interpretiert das als einen 'nicht linearen' Effekt. Es spielten Feinheiten eine Rolle, etwa welche Frequenz man für die Modulation verwende.
Kritik an der bestehenden Norm
Umgekehrt würde das bedeuten: Wenn tatsächlich komplizierte, ineinandergreifende Mechanismen die Gehirnaktivität verändern können, sind die heute gültigen Normen viel zu grob. Das bemängeln Kritiker der bestehenden Grenzwerte seit langem. Tatsächlich trägt die festgeschriebene Obergrenze für die zulässige Leistung, die der Mensch pro Kilogramm Körpergewicht absorbieren darf, lediglich dem thermischen Effekt elektromagnetischer Felder Rechnung.
Eine weitere Kritik lautet, daß hierzulande nicht genügend geforscht werde. 'Wer behauptet, bei uns wird zuwenig getan, der liegt falsch', tritt Jürgen Bernhardt vom Bundesamt für Strahlenschutz in München-Neuherberg dem entgegen. 'Das Problem besteht eher in der mangelnden Koordination der Forschungsaktivitäten.' Wünschen würde sich Jürgen Bernhardt einen unabhängigen Beirat, dem Gelder aus der Industrie oder aus öffentlichen Töpfen zur Verfügung gestellt werden. Dieser Beirat könnte dann ohne Rücksicht auf die Geldgeber Forschungsaufträge vergeben.
Gewünscht: Geld, und kein Einfluß von der Industrie
Die Forschungsgemeinschaft Funk, die sich nach den Worten ihres Vorstandsvorsitzenden Georg Langheld als 'neutraler Moderator einer kontrovers geführten Diskussion' versteht, der aber oft ihre Nähe zur Industrie vorgehalten wird, scheint sich diesen Wunsch zu Herzen genommen zu haben. Man wolle, so hieß es in Frankfurt, ein Gremium von Wissenschaftlern, das über einen erheblichen Teil des Forschungsetats von rund einer Million Mark jährlich verfügen darf - ohne jegliche Einflußnahme seitens der Industrie, so das Versprechen.
CHRISTIAN SPEICHER