Erst kommt das Sparen, dann kommt der Verlust
Zur Situation und Bedeutung der Wissenschaftlichen Hilfskräfte

Was sich - hinsichtlich von Protesten und Aktionen - derzeit an unserer Universität abspielt, ist symptomatisch für die wissenschaftliche Situation in ganz Deutschland. Es wird am falschen Ende gespart. Die Opfer einer verfehlten Wissenschaftspolitik wenden sich sodann an universitäre Entscheidungsträger, die als Befehlsempfänger ministerieller Gleichgültigkeit und Inkompetenz auch nichts an der Lage ändern können.

"Output-orientiert" soll die Uni werden: schöne Pläne, schöne Worte, um vom Elend abzulenken, Rhetorik der leeren Kassen, Sophismus der Bankrotteure. Klar, die Relation von Input zu Output steht zur Debatte. Je mehr Output, desto geringer die Verlustleistung und desto höher der Wirkungsgrad, die Effizienz. Das wissen wir. Wir wissen aber auch, daß z.B. jeder Verstärker nur dann ein passables Signal abgibt, wenn er, linear verstärkend, einen hochqualitativen Input bekommt. Und da hapert es. Die Unis werden zurück"gefahren": weniger Geld für Bibliotheken und Lehre, Sachmittel- und Stellensperren überall, und dennoch soll die Maschine weiterlaufen, obwohl mehr Last angekoppelt wird. Und was ist schon "Output" im Sinne einer universitas litterarum? Zum Beispiel in den Geisteswissenschaften, in Kunst, Philosophie, Musik, Soziologie? Wie, wenn überhaupt, will ich "High-End-Output" erzielen, wenn am "Eingang" immer mickrigere Signale anliegen?

Wenn die Zukunft der Universitäten und damit wissenschaftlicher Forschung und Lehre zur Debatte steht und das Geld knapp 1) ist, wird als oberste Priorität die Qualität von Berufungen ins Feld geführt. Die zur Auswahl stehenden Hochschullehrer/innen haben ihre Karriere oft als Wissenschaftliche Hilfskräfte begonnen, hatten die Chance dazu, hätten zumindest in einzelnen Fällen einen anderen Lebensweg genommen ohne eine gewisse Konstellation besonders günstiger individueller Start- und Aufstiegschancen.

Wissenschaftliche Hilfskraft: das klingt so seltsam; Hohes und Niedriges in einer Bezeichnung. "Wissenschaftlicher Hülfsarbeiter" hieß es früher, "HiWi" sagt heute so manche/r, der/die sich des Wortes "Hilfswilliger" nicht bewußt ist.

Wissenschaftliche Hilfskräfte: ich meine hier die examinierten. Wer sich als Hilfskraft bewirbt, hat meist ein überdurchschnittliches Examen abgelegt, ist hochqualifiziert und bestens motiviert, hat Spezialkenntnisse, die der prüfende Hochschullehrer nicht unbedingt mit ihm teilt (wer hat schon die Spezialkenntnisse all derer, die sie als Prüfungsbasis jahrelang erarbeiteten?). Wissenschaftliche Hilfskräfte: das sind vollwertige Jung-Wissenschaftler. Bei etwas Glück könnten sie schon relativ gut dotiert in die Industrie einsteigen. Wenn sie alle Naturwissenschaftler (oder Diplomvolkswirte oder Juristen) wären. Naturwissenschaftler? Schön wär's. Da sitzt ein Doktor der Chemie am Taxi-Lenkrad, ein anderer jobbt im Computerladen, ein dritter vielleicht als Schreibkraft oder Lagerist. Fiktion? Leider nein. Und die vielen Diplom-Psychologen, -pädagogen, -soziologen u.a.? Wie ist es bestellt um das Heer all derer, die trotz ihrer (ebenso teuren wie guten) Ausbildung niemals am symbiotischen Prozeß wissenschaftlichen Gebens und Nehmens teilhaben können?

Viele sind berufen, wenige sind auserwählt. Zum (temporären) Hilfskraft-Dasein, wenn sie ohnehin keinen anderen Job kriegen. Hilfskräfte: Forschung - und auch Lehre! - profitieren von ihnen mehr, als sich viele Administratoren und andere, die es besser wissen sollten, träumen lassen (oder wahr haben wollen). Viele Projekte werden von Hilfskräften be- oder erarbeitet, werden durch sie am Leben erhalten, wären ohne ihren Bienenfleiß undenkbar. Wissenschaftliche Hilfskraft: nein, das bedeutet nicht ein Almosen für Weiterqualifikation, das bedeutet einen kaum noch erklär- und verantwortbaren Mindestlohn (und eine neuerdings noch weiter eingeschränkte Existenzsicherung) für oft hochqualifizierte Arbeit. Wenn man sie schon ausbeutet (d.h. als Wissenschaftler für inadäquat geringe Vergütung arbeiten läßt), dann, denke ich, sollte man sie nicht auch noch etwa mit Vertragskürzungen bestrafen.

Ein System - und damit schließe ich - , das seine examinierten Wissenschaftlichen Hilfskräfte als Tagelöhner, als Hilfswillige, als wissenschaftlichen Volkssturm mißbraucht und auch auf diese demotivierende Weise sein Bildungs- und Wissenschaftsniveau verkommen läßt, handelt barbarisch.

Marburg, den 6.2./16.9.1998                               Dr. Wolfgang Näser