Auch eine Art von Lehramts-Hospitation
W. Näser, Marburg, 20.7.1996

Innerhalb des Lehramts-Studiums (L3) bot die vorgeschriebene Hospitation damals (1967) noch mehr Möglichkeiten eigenen, selbstbestimmten Unterrichts seitens des Hospitanten. Die auf das WS 1966/67 folgende vorlesungsfreie Zeit (Semesterferien) nutzte ich für eine 9-wöchige Hospitation an meinem ehemaligen (Real-)Gymnasium, der Arolser Christian-Rauch-Schule. Neben (passiver) Unterrichts-Mitschau in den Fächern Englisch (und interessehalber auch Physik u.a.) bot mir mein ehemaliger Unterstufen-Deutschlehrer Georg Bonin (als von allen verehrter, unsterblicher "Onkel Bo" in die Annalen der CRS eingegangen) die einmalige Möglichkeit, "seine" Sexta sechs Wochen lang selbständig und allein zu unterrichten. Das bedeutete 1., aus der Praxis und für die Praxis zu lernen ("du mußt immer in der Tür stehen bleiben und warten, bis sich alle gesetzt haben"), 2., die aus lauter äußerst quirligen und wißbegierigen Schülerinnen und Schülern bestehende Klasse nicht nur mit (rezitierten) Gedichten und Lesetexten zu beschäftigen, sondern auch mit Wortarten- und Satzteilanalyse (ja, so weit waren sie schon!). Das Ganze machte uns allen so viel Spaß, daß am Ende alle mir ihre schön gestalteten Poesie-Alben zwecks Verewigung vorlegten.

Auch vom Deutschen Sprachatlas war schon die Rede; nolens volens mußte ich als "Marburger" in einer Quarta die wenigen Kenntnisse, die ich bis dato vom Institut hatte, aus dem Stegreif zum besten geben. Der Sprachatlas gehörte schon damals ebenso zu Marburgs Begrifflichkeit wie Wolfgang Klafkis "didaktische Analyse" und die Elisabethkirche.

Die unvergeßliche Hospitation (ich wäre am liebsten gleich dageblieben!) endete mit einer Amateurfunk-Demonstration im Physiksaal; hierzu findet sich in meinem Stationstagebuch Nr. 2 (QSO # 872 - 1997) zum 28.4.1967 folgende Randnotiz:

"[QSO Nr. 1065 - 1087]: DK1KI/p[ortable] in der Christian-Rauch-Schule in Arolsen. QSOs von 8.oo - 13.15 MEZ. Gearbeitet wurde mit dem [...] Tx Geloso G 210 TR (umgebaut), als Rx diente der DL2EZsche Geloso G 207 BR, als Antenne eine in Rekordzeit errichtete Longwire von ca. 35 m Länge, eingespeist bei etwa 3 m Länge vom Endpunkt. Die Antenne war auf 80, 40, 20 und 15 m ufb (=hervorragend) auf Resonanz zu bringen. Ungefähr 5 Klassen hörten den mehr oder weniger deutlich vernehmbaren QSOs zu, wobei durchweg reges Interesse gezeigt wurde. Die Geräte arbeiteten gut - ohne irgendwelche Zwischenfälle - im Dauerbetrieb über 5 1/2 Stunden [...]."

Unter dem Titel "Amateurfunk in der Christian-Rauch-Schule" meldete die Waldeckische Landeszeitung:

"In der Christian-Rauch-Schule wurde eine Amateurfunkstation aufgebaut, um den Schülern mehrerer Klassen das spannende und lehrreiche Hobby Amateurfunk praktisch vor Augen zu führen. OM Wolfgang Näser aus Helsen, der zuvor neun Wochen an der Schule in Deutsch und Englisch hospitiert hatte, bekam mit seiner Station DK 1 KI/p unter anderem Verbindung mit Nordafrika, Jugoslawien, England, Frankreich, Dänemark, der Tschechoslowakei sowie Stationen aus Nord- und Süddeutschland."

Höhepunkt der Vorführung war die (naturgemäß seltene) Zweiwegverbindung mit einer Kurzwellen-Mobilstation. OM Fritz, DL 1 IH/m, wurde auf dem 40-m-Band gehört und bis mitten auf den Schulhof "gelotst", wo ihn eine weit ausladende Schar von jungen und alten Schülern umringte.

Inzwischen sind fast 40 Jahre vergangen. Die Zeiten haben sich geändert und wir mit ihnen, aber das Gute, an das wir glauben, hat unveränderten Bestand.

WN 200796/14:49 * Stand: 1.2.2007