Internationaler Sommerkurs 1986 der Philipps-Universität

Eingangstest

Sprachtest 1:

A. Setzen Sie bitte das eingeklammerte Verb in der richtigen Form ein:

  1. Wir haben heute sehr spät (frühstücken) __________________.
  2. Der Abschied von den Freunden ist mir (schwerfallen)_____________.
  3. Er hat vergeblich versucht, sein Vorhaben (rechtfertigen)_____________.
  4. Der Pilot mußte versuchen (notlanden)_______________.
  5. Wegen der hohen Spannung ist ein Funke (überspringen)____________.
  6. Ich habe beim Lesen einige Kapitel (überspringen)_____________.
  7. Die Hausfrau hat die Betten frisch (überziehen)______________.

B. Setzen Sie bitte das Verb "fallen" in der richtigen Form mit dem passenden Präfix ein:

  1. Mir sind vor Müdigkeit fast die Augen _____________.
  2. Der Jugendliche ist durch seine wilde Frisur ____________.
  3. Wegen Krankheit des Lehrers ist der Unterricht ____________.
  4. Der Name des Sängers ist mir leider nicht ______________.

C. Setzen Sie bitte die Adjektivendungen ein:

  1. Groß__ Erfolg war ihm beschieden.
  2. Die Deklination des Adjektivs bereitet den Studenten immer wieder größer__ Sorgen.
  3. Mit größt__ Aufmerksamkeit beobachtete der Arzt den Patienten.
  4. Sie gingen mit neu__ Elan an die Arbeit.
  5. Wir verarbeiten nicht nur grob__ Garn zu billig__ Stoffen, sondern auch künstlich__ Fasern zu feingesponnen__ Geweben.

D. Setzen Sie bitte das Fragewort ein und antworten Sie unter Benutzung des eingeklammerten Wortmaterials mit     vollständigen Sätzen!

  1. ______ bist du froh? (seine Genesung)
  2. ______ ist er nicht gewöhnt? (Widerspruch von anderen)
  3. ______ ist der Professor nicht einverstanden? (Verschiebung der Prüfung)
  4. ______ warten Sie (Anruf meines Freundes)
  5. ______ glaubst du nicht? (seine Ehrlichkeit)
  6. ______ ekeln Sie sich? (Spinnen)
  7. ______ sehnen Sie sich? (meine Heimat)
  8. ______ sieht der Direktor ab? (Bestrafung des Schülers)

E. Ergänzen Sie bitte die fehlenden Endungen:

  1. Her Müller erklärt d__ Kindern d__ Fahrplan.
  2. Er bietet d__ Freund ein__ Zigarette an.
  3. Richard gibt d__ Briefträger d__ Geld.
  4. Ich gebe d__ Kindern mein__ Bücher.
  5. Wegen dies__ Brief__ muß ich jetzt nochmal zur Post.

F. Ersetzen Sie bitte die direkte Rede durch indirekte Rede:

  1. Er sagte: "Dieser Pullover gefällt mir sehr gut." - Er sagte, dieser Pullover _____________gut / er sagte, daß____.
  2. Ich fragte sie: "Hast du ihn gestrickt?"
  3. Sie antwortete: "Nein; nicht ich, sondern meine Mutter hat ihn gestrickt."
  4. Ich bat sie: "Grüße bitte deine Mutter von mir!"

G. Ergänzen Sie bitte das passende Modalverb (dürfen, können, müssen, wollen) in der korrekten Form:

  1. Es ist schon spät; ich ______ jetzt nach Hause.
  2. Es ist zu dunkel. Ich ____ die Zeitung nicht mehr lesen.
  3. Hans hat mir 10 Mark gegeben; ich _____ sie ihm gestern zurückzahlen, aber _____ es nicht.
  4. _____ ich Sie um das Salz bitten?
  5. _____ Sie wirklich nichts mehr essen?
  6. In Deutschland ____ man rechts fahren, man ____ nur beim Überholen die linke Spur benutzen.

Sprachtest II

Lesen Sie bitte zunächst folgenden Text aufmerksam durch:

Ernst Jandl: fünfter sein

tür auf
einer raus
einer rein
vierter sein

tür auf
einer raus
einer rein
dritter sein

tür auf
einer raus
einer rein
zweiter sein

tür auf
einer raus
einer rein
nächster sein

tür auf
einer raus
selber rein
tagherrdoktor

  1. Bitte erläutern Sie, welche alltägliche Situation dieser Text beschreibt.
  2. Schreiben Sie bitte diesen Text noch einmal, indem Sie die Sätze vervollständigen und die Indefinitpronomina (z.B. einer) durch geeignete Nomina (z.B. ein Mädchen) ersetzen, so daß eine kleine Geschichte entsteht.

Sprachtest III

Wählen Sie bitte eine der drei folgenden Aufgaben (A,B,C):

A  ...Und die Menschheitsgeschichte ist, wie der in ihr wirkende Wahnsinn,
   wie die in ihr wirkende Vernunft in ein unwiderrufliches Stadium getre-
   ten. Als Ziel dieser Geschichte erscheint immer deutlicher ihre Vernich-
   tung. Ein öffentlicher Wahnsinn, der sich heute in ihr manifestiert, 
   trifft irreparable Entscheidungen. Und auch die Menge derer, denen die 
   Geschichte angerichtet wird, zeigt nur noch geringe Reflexe, so daß ei-
   nem der ganze ablaufende Prozeß schon wie höhere Fügung oder wenigstens
   doch wie genetisch vorprogrammiert erscheinen kann.
   Unsere Sinne und unser Bewußtsein sind schon weitgehend anästhesiert: 
   die Sprache legt dafür Zeugnis ab: in Begriffen wie Lebensqualität und
   Umweltfreundlichkeit drückt sich die Verödung der Empfindungs- und der
   Wahrnehmungsfähigkeit aus. Was wir noch erleben, unsere äußere Wirklich-
   keit, besteht zu 80 % aus Synthetics, der Rest ist reine Wolle. Einen
   winzigen Teil der Wasservorräte der Erde nennen wir Trinkwasser. Es ist
   nicht mehr schwierig sich vorzustellen, daß in nicht allzu ferner Zeit
   eine bestimmte Luftsorte als Atemluft rationiert werden muß. Wörter wie
   Natur und Landschaft bezeichnen ein immer blasser werdendes Phantom der
   Erinnerung. Bald werden solche Reservate sich nicht einmal mehr zum Hin-
   fahren eignen; sie werden zu klein für alle, da ist es rationeller, sie
   abzufilmen und zu senden.
   Zukunft, das ist nicht länger das Leben und die Geschichte unserer Nach-
   kommen, sondern der Gegenstand mittel- und langfristiger Zuwachsplanung.
   Jedes Leben ist eingeplant in das große Wahnsinnsgeschäft mit dem Wachs-
   tum; auch wenn bald nichts mehr wächst außer dem Wachstum selber, ist da
   an Besinnung nicht zu denken ...
   Nicolas BORN, Rede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises am 28.1.1977
   
   Uns interessiert Ihre Meinung zu diesem Redezitat: Es soll aber kein Be-
   sinnungsaufsatz sein, sondern freie Darstellung in Form eines Essays.

B   Bertolt BRECHT, Vom armen B.B.

   Ich, Bertolt Brecht, bin aus den schwarzen Wäldern.
   Meine Mutter trug mich in die Städte hinein
   Als ich in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder
   Wird in mir bis zu meinem Absterben sein.
                          2   
   In der Asphaltstadt bin ich daheim. Von allem Anfang
   Versehen mit jedem Sterbesakrament:
   Mit Zeitungen. Und Tabak. Und Branntwein.
   Mißtrauisch und faul und zufrieden am End.
                          3
   Ich bin zu den Leuten freundlich. Ich setze
   Einen steifen Hut auf nach ihrem Brauch.
   Ich sage: Es sind ganz besonders riechende Tiere
   Und ich sage: Es macht nichts, ich bin es auch.
                          4 
   In meine leeren Schaukelstühle vormittags
   Setze ich mir mitunter ein paar Frauen
   Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen:
   In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen. 
                          5
   Gegen Abend versammle ich um mich Männer
   Wir reden uns da mit "Gentlemen" an.
   Sie haben ihre Füße auf meinen Tischen
   Und sagen: Es wird besser mit uns. Und ich frage nicht: Wann?
                          6 
   Gegen Morgen in der grauen Frühe pissen die Tannen
   Und ihr Ungeziefer, die Vögel, fängt an zu schrein.
   Um die Stunde trink ich mein Glas in der Stadt aus und schmeiße
   Den Tabakstummel weg und schlafe beruhigt ein.
                          7
   Wir sind gesessen, ein leichtes Geschlechte
   In Häusern, die für unzerstörbare galten
   (So haben wir gebaut die langen Gehäuse des Eilands Manhattan
   Und die dünnen Antennen, die das Atlantische Meer unterhalten).
                          8 
   Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind!
   Fröhlich machet das Haus den Esser: er leert es.
   Wir wissen, daß wir Vorläufige sind
   Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes.    
                          9
   Bei den Erdbeben, die kommen werden, werde ich hoffentlich
   meine Virginia nicht ausgehen lassen durch Bitterkeit
   Ich, Bertolt Brecht, in die Asphaltstädte verschlagen
   Aus den schwarzen Wäldern in meiner Mutter in früher Zeit.

   Interpretieren Sie dieses Gedicht Bertolt Brechts. Welche Haltung
   gegenüber Natur, Stadt und Großstadtleben kommt hier zum Ausdruck?
   Wie fassen Sie Brechts Metapher von den Erdbeben auf?

C  Hugo von Hofmannsthal, Märchen der 672. Nacht (Auszug)

... Wenn in der Stadt die Hitze des Sommers sehr groß wurde und längs der Häuser die dumpfe Glut schwebte und in den schwülen, schweren Vollmondnächten der Wind weiße Staubwolken in den leeren Straßen hintrieb, reiste der Kaufmannssohn mit seinen vier Dienern nach einem Landhaus, das er im Gebirg besaß, in einem engen, von dunklen Bergen umgebenen Tal. Dort lagen viele solche Landhäuser der Reichen. Von beiden Seiten fielen Wasserfälle in die Schluchten herunter und gaben Kühle. Der Mond stand fast immer hinter den Bergen, aber große weiße Wolken stiegen hinter den schwarzen Wänden auf, schwebten feierlich über den dunkelleuchtenden Himmel und verschwanden auf der anderen Seite. Hier lebte der Kaufmannssohn sein gewohntes Leben in einem Haus, dessen hölzerne Wände immer von dem kühlen Duft der Gärten und der vielen Wasserfälle durchstrichen wurden. Am Nachmittag, bis die Sonne hinter den Bergen hinunterfiel, saß er in seinem Garten und las meist in einem Buch, in welchem die Kriege eines sehr großen Königs der Vergangenheit aufgezeichnet waren. Manchmal mußte er mitten in der Beschreibung, wie die Tausende Reiter der feindlichen Könige schreiend ihre Pferde umwenden oder ihre Kriegswagen den steilen Rand eines Flusses hinabgerissen werden, plötzlich innehalten, denn er fühlte, ohne hinzusehen, daß die Augen seiner vier Diener auf ihn geheftet waren. Er wußte, ohne den Kopf zu heben, daß sie ihn ansahen, ohne ein Wort zu reden, jedes aus einem anderen Zimmer. Er kannte sie so gut. Er fühlte sie leben, stärker, eindringlicher als er sich selbst leben fühlte. Über sich empfand er zuweilen leichte Rührung oder Verwunderung, wegen dieser aber eine rätselhafte Beklemmung. Er fühlte mit der Deutlichkeit eines Alpdrucks, wie die beiden Alten dem Tod entgegenlebten, mit jeder Stunde, mit dem unaufhaltsamen leisen Anderswerden ihrer Züge und ihrer Gebärden, die er so gut kannte; und wie die beiden Mädchen in das öde, gleichsam luftlose Leben hineinlebten. Wie das Grauen und die tödliche Bitterkeit eines furchtbaren, beim Erwachen vergessenen Traumes, lag ihm die Schwere ihres Lebens, von der sie selber nichts wußten, in den Gliedern.

Manchmal mußte er aufstehen und umhergehen, um seiner Angst nicht zu unterliegen. Aber während er auf den grellen Kies vor seinen Füßen schaute und mit aller Anstrengung darauf achtete, wie aus dem kühlen Duft von Gras und Erde der Duft der Nelken in hellen Atemzügen zu ihm aufflog und dazwischen in lauen, übermäßig süßen Wolken der Duft der Heliotrope, fühlte er ihre Augen und konnte an nichts anderes denken. Ohne den Kopf zu heben, wußte er, daß die alte Frau an ihrem Fenster saß, die blutlosen Hände auf dem von der Sonne durchglühten Gesims, das blutlose, maskenhafte Gesicht eine immer grauenhaftere Heimstätte für die hilflosen schwarzen Augen, die nicht absterben konnten. Ohne den Kopf zu heben, fühlte er, wenn der Diener für Minuten von seinem Fenster zurücktrat und sich an seinem Schrank zu schaffen machte; ohne aufzusehen, erwartete er in heimlicher Angst den Augenblick, wo er wiederkommen werde. Während er mit beiden Händen biegsame Äste hinter sich zurückfallen ließ, um sich in der verwachsenen Ecke des Gartens zu verkriechen, und alle Gedanken auf die Schönheit des Himmels drängte, der in kleinen leuchtenden Stücken von feuchtem Türkis von oben durch das dunkle Genetz von Zweigen und Ranken herunterfiel, bemächtigte sich seines Blutes und seines ganzen Denkens nur das, daß er die Augen der zwei Mädchen auf sich gerichtet wußte, die der Größeren träge und traurig, mit einer unbestimmten, ihn quälenden Forderung, die der Kleineren mit einer ungeduldigen, dann wieder höhnischen Aufmerksamkeit, die ihn noch mehr quälte. Und dabei hatte er nie den Gedanken, daß sie ihn unmittelbar ansahen, ihn, der gerade mit gesenktem Kopfe umherging, oder bei einer Nelke niederkniete, um sie mit Bast zu binden, oder sich unter die Zweige beugte; sondern ihm war, sie sahen sein ganzes Leben an, sein tiefstes Wesen, seine geheimnisvolle menschliche Unzulänglichkeit.

Eine furchtbare Beklemmung kam über ihn, eine tödliche Angst vor der Unentrinnbarkeit des Lebens. Furchtbarer, als daß die ihn unausgesetzt beobachteten, war, daß sie ihn zwangen, in einer unfruchtbaren und so ermüdenden Weise an sich selbst zu denken. Und der Garten war viel zu klein, um ihnen zu entrinnen. Wenn er aber ganz nahe von ihnen war, erlosch seine Angst so völlig, daß er das Vergangene beinahe vergaß. Dann vermochte er es, sie gar nicht zu beachten oder ruhig ihren Bewegungen zuzusehen, die ihm so vertraut waren, daß er aus ihnen eine unaufhörliche, gleichsam körperliche Mitempfindung ihres Lebens empfing. [...]

Interpretieren Sie diesen Textabschnitt; beschreiben Sie das Lebensgefühl des
jungen Kaufmannssohnes. Wie sieht das Verhältnis zu seinen Dienern aus? Warum
flüchtet er in den Garten? Geben Sie eine kurze Beschreibung der Landschaft.

Redaktion, Mitarbeit, Überarbeitung und HTML-Transkript W. Näser (c) 13081996