Deutsch im 20. Jahrhundert * Dr. Wolfgang Näser * Mi 16-18, HS 110 Biegenstraße 14 * Beginn 10.4.2002

Kästner, Erich (1899-1974): Drei Gedichte (1927-1930

Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der, in Deutschland gewachsen,
wenn's sein muss, in Deutschland verdorrt.

VORBEMERKUNG: Kästner, „Sohn des Volkes mit prinzlichen Manieren“ (Hermann KESTEN), nach dem 115 Schulen in Deutschland benannt sind, wird am 23. Februar 1899 in Dresden geboren; der Vater ist Sattler, die Mutter, zu der er zeitlebens eine sehr enge Bindung hat, arbeitet später als Friseuse. 1913 Eintritt in ein Lehrerseminar, 1917 zum Kriegsdienst eingezogen, 1918 mit schwerem Herzleiden entlassen. 1919 Kriegsabitur, erste Gedichte, Studienbeginn (Germanistik, Gesch., Philosophie, Theaterwiss., Zeitungskunde u. franz. Literatur); ab 1922 an der "Neuen Leipziger Zeitung". 1925 Promotion zum Dr. phil mit dem Thema: Die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift "De la littérature allemande", danach Redakteur (u.a. Berliner „Tage-Buch“, „Die Literarische Welt“, das „Berliner Tageblatt“, „Vossische Zeitung“). Aufgrund des "Nachtgesangs" (s.u.) wird K. 1927 entlassen, zieht um nach Berlin, arbeitet weiter bei verschiedenen Zeitungen, u. a. der pazifistischen "Weltbühne". Erste Gedichtbände: "Herz auf Taille" (1928), "Lärm im Spiegel" (1929), "Ein Mann gibt Auskunft" (1930), "Gesang zwischen den Stühlen" (1932); satir. Roman "Fabian" (1931) und zeitkritische, politisch-satirische Gedichte und Kabarett-Texte. Kinderromane: "Emil und die Detektive" (1929), "Pünktchen und Anton" (1931), "Der 35. Mai" (1931) und "Das fliegende Klassenzimmer" (1933). Kästner ist selbst zugegen, als 1933 seine Bücher auf dem Opernplatz in Berlin verbrannt werden, und entgeht einem Zwischenfall. (bis 1940) mehrere Verhaftungen durch Gestapo; dennoch bleibt K. in Deutschland (was ihm später div. Kritiker verübeln!) und schreibt den "Till Eulenspiegel" (1938) und weiteres "für die Schublade". 1942 Schreibverbot. Unter dem Pseudonym Berthold Bürger schreibt K. das Drehbuch für den Ufa-Jubiläumsfilm "Münchhausen". 1945 Feuilleton-Redakteur der "Neuen Zeitung" in München; K. gründet das Kabarett "Die Schaubude". 1946 Herausgeber der Zeitschrift "Pinguin. Für junge Leute"; Gedichtband "Bei Durchsicht meiner Bücher". 1951-1962 Präsident des Westdeutschen PEN-Zentrums. 1957 Drama "Die Schule der Diktatoren" u. Biografie "Als ich ein kleiner Junge war". 1961 "Notabene 45: Ein Tagebuch"; 1963 "Der kleine Mann", ein Roman für Kinder.
Auszeichnungen: 1956 Literaturpreis der Stadt München; 1957 Georg-Büchner-Preis; 1959 Großes Bundesverdienstkreuz; 1970 kultureller Ehrenpreis der Stadt München, wo er am 29. Juli 1974 stirbt.

Die von mir ausgewählten 3 Gedichte entstanden in kulturell, politisch und sozial höchst unruhigen Jahren und zeigen Kästner als Meister des (bisweilen kritisch-satirischen) Wortes. W.N.

1. Nachtgesang des Kammervirtuosen
Plauener Volkszeitung, Wochenendbeilage, 14. März 1927

Du meine neunte Sinfonie!
Wenn du das Hemd an hast mit rosa Streifen
komm wie ein Cello zwischen meine Knie,
Und laß mich zart in deine Seiten greifen.
Laß mich in deinen Partituren blättern.
(Sie sind von Händel, Graun und Tremolo)
Ich möchte dich in alle Winde schmettern,
Du meiner Sehnsucht dreigestrichnes Oh!
Komm laß uns durch Oktavengänge schreiten!
(Das Furiose, bitte, noch einmal!)
Darf ich dich mit der linken Hand begleiten?
Doch beim Crescendo etwas mehr Pedal!!
Oh deine Klangfigur! Oh die Akkorde!
Und der Synkopen rhythmischer Kontrast!
Nun senkst du deine Lider ohne Worte ...
Sag einen Ton, falls du noch Töne hast!

2. Jahrgang 1899

Wir haben die Frauen zu Bett gebracht,
Als die Männer in Frankreich standen.
Wir hatten uns das viel schöner gedacht.
Wir waren nur Konfirmanden.
Wir haben sogar ein Examen gemacht
Und das meiste schon wieder vergessen.
Jetzt sind wir allein bei Tag und bei Nacht
Und haben nichts Rechtes zu fressen!
Dann holte man uns zum Militär,
Bloß so als Kanonenfutter.
In der Schule wurden die Bänke leer,
Zu Hause weinte die Mutter.
Wir haben der Welt in die Schnauze geguckt,
Anstatt mit Puppen zu spielen.
Wir haben der Welt auf die Weste gespuckt,
Soweit wir vor Ypern nicht fielen.
Dann gab es ein bißchen Revolution
Und schneite Kartoffelflocken;
Dann kamen die Frauen, wie früher schon,
Und dann kamen die Gonokokken.
Man hat unsern Körper und hat unsern Geist
Ein wenig zu wenig gekräftigt.
Man hat uns zu lange, zu früh und zumeist
In der Weltgeschichte beschäftigt!
Inzwischen verlor der Alte sein Geld,
Da wurden wir Nachtstudenten.
Bei Tag waren wir bureau-angestellt
Und rechneten mit Prozenten.
Die Alten behaupten, es würde nun Zeit
Für uns zum Säen und Ernten.
Noch einen Moment. Bald sind wir bereit.
Noch einen Moment. Bald ist es soweit!
Dann zeigen wir euch, was wir lernten!
Dann hätte sie fast ein Kind gehabt,
Ob von dir, ob von mir - was weiß ich!
Das hat ihr ein Freund von uns ausgeschabt.
Und nächstens werden wir dreißig.


3. Ganz rechts zu singen (1.Oktober 1930)

Stoßt auf mit hellem hohem Klang!
Nun kommt das dritte Reich!
Ein Prosit unserm Stimmenfang!
Das war der erste Streich!
Und deshalb müssen die Juden raus!
Sie müssen hinaus in die Ferne.
Wir wollen nicht sterben fürs Ullsteinhaus
Aber für Kirdorf sehr gerne.
Der Wind schlug um. Nun pfeift ein Wind
Von griechisch-nordischer Prägung.
Bei Wotans Donner, jetzt beginnt
Die Dummheit als Volksbewegung.
Die Deutsche Welle, die wächst heran,
als wie ein Eichenbaum.
Und Hitler ist der richtige Mann,
der schlägt auf der Welle den Schaum.
Wir haben das Herz auf dem rechten Fleck,
weil sie uns sonst nichts ließen.
Die Köpfe haben ja doch keinen Zweck.
Damit kann der Deutsche nicht schießen.
Der Reichstag ist ein Schweinestall,
wo sich kein Schwein auskennt.
Es braust ein Ruf wie Donnerhall:
Kreuzhimmelparlament!
Kein schönrer Tod ist auf der Welt,
als gleich millionenweise.
Die Industrie gibt uns neues Geld
Und Waffen zum Selbstkostenpreise.
Wir brauchen eine Diktatur
Viel eher als ein Staat.
Die deutschen Männer kapieren nur,
wenn überhaupt, nach Diktat.
Wir brauchen kein Brot, und nur Eins ist not:
Die nationale Ehre!
Wir brauchen mal wieder den Heldentod
Und die großen Maschinengewehre.
Ihr Mannen, wie man es auch dreht,
wir brauchen zunächst einen Putsch!
Und falls Deutschland daran zugrunde geht,
juvivallera, juvivallera, dann ist es eben futsch.

Wird ergänzt * Auswahl, Layout, Zusätze: Dr. W. Näser, MR, 6.5.2002