"Heute"-Interview mit Bundesaußenminister Joschka FISCHER
zur Anklage gegen Milosevic u.a. beim Internationalen Gerichtshof
in Den Haag
27.5.99, ca. 21:55
"Wie beurteilen Sie die Anklage gegen Präsident Milosevic und weitere führende serbische Politiker wegen Kriegsverbrechen im Kosovo?"
F: "Es ist die Entscheidung einer unabhängigen Anklagebehörde, es ist das internationale Kriegsverbrechertribunal für Jugoslawien, eingerichtet von den Vereinten Nationen durch einen Kapitel-7-Sicherheitsratsbeschluß, ein sehr starkes Mandat; die Bundesrepublik Deutschland hat immer zugearbeitet, zusammengearbeitet mit diesem Tribunal und wird es auch in Zukunft tun. Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf, und das ist gut so."
"Vorgestern haben Sie hier im Heute-Journal davon gesprochen, die NATO stehe an der Tür zu einer politischen Lösung, sie sei aber noch geschlossen. Wenn Sie mal im Bild bleiben: ist die Tür nun von Belgrads Seite aus verrammelt und verstellt und hat man Milosevic die Möglichkeit genommen, diese Tür jetzt zu öffnen?"
F: "Nein. Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf: das ist die eine Ebene, das ist die Frage auch der persönlichen Haftung, der Schuld, und es ist ja schon ein ungewöhnlicher Vorgang, daß eine ganze Staatsführung, eine aktive Staatsführung jetzt Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt wird und von einer Anklagebehörde eines UN-Tribunals per internationalem Haftbefehl zur Festnahme in allen Mitgliedstaaten ausgeschrieben wurde. Das ist das eine; das andere aber ist: die Diplomatie ist für den Frieden verantwortlich; wir müssen das Schweigen der Waffen erreichen, müssen unsere Anstrengungen verstärken, und das hat sich durch die heutige Entscheidung nicht verändert - im Gegenteil."
"Ja - aber ist denn diese Anklage zum jetzigen Zeitpunkt nicht ein Rückschlag für die diplomatischen Friedensbemühungen? Rußland und China sprechen ja von einer Belastung."
F: "Innerstaatlich gibt es, zumindest in der Bundesrepublik Deutschland, den guten Brauch, daß die Exekutive Entscheidungen der Judikative nicht kommentiert, und daran will ich mich auch halten. Der Respekt vor der Unabhängigkeit des Gerichtes macht dieses zumindest in unserer Rechtstradition, in unserem Verständnis von Gewaltenteilung notwendig. [...] Wir haben dieses Gericht von Anfang an unterstützt, wir wollen die Herrschaft des Rechts über brutale Gewalt und über nackte Macht, wir wollen dieses gerade auch in den internationalen Beziehungen - das ist das eine. Das andere ist, daß die Diplomatie von den gegebenen Fakten ausgehen muß, und ich sehe hier keine direkten negativen Rückschlag oder Auswirkung, wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, ganz unabhängig davon, wie ein Gerichtshof entscheidet."
"Kann den für den Westen jemand ein Gesprächspartner sein, der offiziell mit Haftbefehl als Kriegsverbrecher gesucht wird?"
F: "Also - um den Frieden zu erreichen, würde ich sogar dem Teufel die Hand schütteln. Das ist die Aufgabe eines Außenministers auf der Grundlage der fünf Punkte. Wir wollen von Belgrad, daß es die fünf Punkte akzeptiert und umsetzt; das sind keine Verhandlungen, sondern das sind Forderungen, und was wir erwarten, ist die Umsetzung dieser Forderungen: wir wollen die Rückkehr der Flüchtlinge, wir wollen dieses durch eine robuste internationale Friedenstruppe auf der Grundlage einer Kapitel-7-Resolution, wir wollen den Abzug der serbisch-jugoslawischen bewaffneten Kräfte - das alles wollen wir, daß es akzeptiert wird. Wenn dafür Gespräche notwendig sind, werden sie geführt, aber Verhandlungen stehen nicht an."
"Vor dem ersten Luftangriff auf Belgrad wurde Rußland nicht konsultiert. Dann später fielen Bomben auf Chinas Botschaft, und jetzt die Anklage mitten hinein in die Spitzendiplomatie. Manchmal entsteht der Eindruck, die NATO sei an einer politischen Lösung gar nicht interessiert?"
F: "Also Sie scheinen hier einiges durcheinanderzubringen. Die NATO muß sich ohne jeden Zweifel den Angriff auf die Chinesische Botschaft zuschreiben lassen, der Bundeskanzler hat sich dafür in Peking ja auch ohne Wenn und Aber entschuldigt. Aber dies ist die Entscheidung - ich betone es nochmals, damit da hier kein falscher Eidruck entsteht - eines unabhängigen UN-Tribunals. Wir sind nicht Ständiges Sicherheitsratsmitglied. Rußland und die Volksrepublik China sind Ständige Sicherheitsratsmitglieder. Sie haben bei dem Beschluß mitgewirkt - zumindest haben sie diesen Beschluß zustandekommen lassen, die Einrichtung dieses Tribunals mit einer Kapitel-7-Resolution ermöglicht. Ich bitte Sie also, hier jetzt die Dinge nicht durcheinanderzubringen. Die Entscheidung einer unabhängigen UN-Anklagebehörde ist keine Entscheidung der NATO gewesen, und ich rate dringend dazu, auch nicht den Eindruck zu erwecken, als wenn es hier eine Verbindung gegeben hätte: die hat es nicht gegeben."
"Vielen Dank, Herr Fischer."
Transkription: Dr. Wolfgang NÄSER, MR 28.5.99 am