Textsorte: Pressekonferenz

BMVtdg-Briefing (Presssekonferenz) zur militärischen Lage in Jugoslawien, 8.5.99

Teiltranskription der Übertragung vom TV-Kanal Phoenix ("Vor Ort"), 8.5.99, 15:15 ff.

Sprecher: Staatssekretär Dr. Peter WICHERT, BMVtdg Bonn (W) und Generalinspekteur der Luftwaffe, GenLt Rolf PORST (P)

W: Wir haben stets betont, daß wir nur militärische Ziele angreifen - das wird auch gemacht - und Folgeschäden, unbeabsichtigte Schäden werden zutiefst bedauert, so wie wir auch die Angriffe auf den Flugplatz mit den Folgeschäden [...] bewerten, und die Ereignisse heute nacht in der Chinesischen Botschaft zutiefst bedauern. Darüberhinaus wurden angegriffen: eine Residenz von Milosevic im Umkreis von Belgrad, die gleichzeitig auch als Bunkeranlage und Führungseinrichtung dient, es wurde das Hotel Jugoslavija bombardiert, von dem wir wissen, daß es [das] Hauptquartier beherbergt, das Verteidigungsministerium in Belgrad, der Generalstab in Belgrad, Energieversorgungseinrichtungen, Kommunikation und Fernmeldeeinrichtungen. Unsere Tornados waren an diesen Luftoperationen beteiligt, sie sind alle wohlbehalten, unbeschädigt auf ihre Einsatzflugplätze nach Italien zurückgekehrt.

[...] - Können Sie mal sagen, nachdem Sie eben eine vage Andeutung gemacht haben, was Ihr Kenntnisstand ist bei der Zerstörung der chinesischen Botschaft? W: Nein, ich habe keine Detailinformationen, sondern die NATO untersucht den Vorfall; ich habe nur die Bilder gesehen vorhin, die das serbische Fernsehen überspielt, und alles, was ich dazu sagen könnte, wäre Spekulation, und das möchte ich nicht tun.

- Wenn Sie sagen, Sie haben ein Drittel Angriffe geflogen von diesen gesamten Einsätzen ... 5000 und ein paar, wie viele sind denn davon schiefgegangen? - W: Ich glaube, die Kategorisierung, die Sie vornehmen, trifft nicht den Kern der Sache. Wir haben eine hohe Anzahl von Flügen zunächst abbrechen müssen: weil die Piloten zu der Einsicht kamen, daß sie nicht das Ziel mit unbedingter Gewißheit treffen würden. Unsere Piloten haben die Anweisung - ich sagte es vorhin -, nur dann ihre Waffen auszulösen, wenn nach menschlichem Ermessen ein Verfehlen der militärischen Ziele ausgeschlossen werden kann. Und dies führt in gewissen Zeitfenstern dazu, daß die Hälfte der Flüge ohne einen Waffeneinsatz beendet werden: weil eben oberstes Prinzip der NATO ist, nur militärische Ziele zu bekämpfen. Und wenn die Wetterbedingungen z.B. eine genaue Zielaufnahme nicht zulassen oder zu erwarten ist, daß zivile Infrastruktur mitgetroffen ist - weil z.B. sich die jugoslawische Luftabwehr in einem Dorf versteckt hat, dann wird der Angriff nicht durchgeführt. Und noch vor wenigen Tagen zeigte ich Ihnen hier Drohnen-Bilder, die Luftabwehr-Waffen - Raketen und auch Kanonenwaffen - der jugoslawischen Streitkräfte mitten in einem Dorf zeigte. Und dies führt dazu, daß von den insgesamt 4.500 Angriffsflügen eine hohe Zahl ohne Waffeneinsatz beendet wurde. Und die NATO berichtet unvoreingenommen und ehrlich über Fehl-Abwürfe. Ich glaube, die Informationspolitik der NATO, über die viel gesagt wurde in der Vergangenheit, hat eines jedenfalls klargestellt: wir betreiben keine Desinformation, sondern, wenn es zu Fehlern gekommen ist, wenn es zu Fehl-Schlägen gekommen ist, werden die gründlich untersucht und dann auch eingeräumt.

- Ich wollte eigentlich nur wissen - Sie führen ja offensichtlich eine genaue Statistik über die Angriffe, die Sie fliegen, das ist ja auch in Ordnung, aber dann können Sie doch auch sicher sagen, wie viele dieser Angriffe die Ziele getroffen haben, die Sie anvisiert hatten, und wie viele danebengegangen sind. Das ist doch 'ne einfache Antwort. - W: Nein, das kann man nicht so sagen, weil das battle damage assessment (genaue Zielaufnahme nach einem durchgeführten Flug) gerade wegen der schlechten Wetterbedingungen - das muß optisch gemacht werden - nicht in jedem Fall möglich ist. Wir können also nicht sagen: Wurde der identifizierte Panzer, wurde die identifizierte Luftabwehrstellung wirklich zerstört oder nicht? Das könnte man nur machen, wenn man wirklich hinter jeder Angriffswelle eine optische Aufklärung durchführen würde; dazu reichen die Kapazitäten nicht, das wird nicht gemacht.

- Im Zusammenhang mit der chinesischen Botschaft dennoch zwei Fragen. Wenn man Ihnen zuhört, dann ist es ja umso schwerer sich vorzustellen, wie es dazu kommen kann, daß Dörfer getroffen werden bis nach Bulgarien und so heikle Orte wie die chinesische Botschaft. Es gibt ja offenbar zwei Fehlerquellen: Sie haben ja vorher gesagt, wenn der Pilot nicht klar erkennt, daß seine Waffe das Ziel erreicht, das sie erreichen soll, dann wird die Waffe nicht abgeschossen. Jetzt kann sich ja der Pilot irrren, weil er in dem Glauben ist, die Waffe erreiche genau sein Ziel - oder aber er irrt sich nicht, und es gibt einen technischen Fehler, die Waffe nimmt einen anderen Weg als vorherberechnet. Können Sie etwas zu der Verteilung der Fehlerquellen sagen - in den eklatanten Fällen, die in der Vergangenheit aufgetreten sind? Und, zweitens, darf ich eine politische Fragen an Sie richten: wie beurteilen Sie die politischen Folgen der Zerstörung der chinesischen Botschaft in dem politischen Kontext, den wir ja zur Zeit gerade haben? - W: Nun, daß die - wenn ich mit dem zweiten Teil beginnen darf - daß dieser Vorfall Auswirkungen hat, ist offenkundig. Der Zusammentritt des UN-Sicherheitsrates, die Sitzung des NATO-Rates belegen dies. Es wird sicher zu bewerten sein, wie nun auf den ja nun endlich in Gang gekommenen Friedensprozeß diese Vorfälle wirken. Aber auch hier würde ich mich im Bereich der Spekulation bewegen, und das will ich nicht. Und dies schließt an an Ihre erste Frage - Sie haben selbst zwei mögliche Ursachen, die völlig zutreffend beschrieben sind, genannt für eine Fehlwirkung von Waffen, es gibt weitere. Und - ich würde den Inspekteur Luftwaffe vielleicht bitten, aus fachlicher Sicht noch etwas zu sagen zu den möglichen Fehlerquellen bei einem Einsatz aus der Luft.

P: Vielleicht sollte ich hier auf die Vorfälle mal eingehen, die Sie auch angesprochen haben - sogenannte Fehlwürfe in den bulgarischen Raum hinein. Bei den letzten vier Fällen handelt es sich - insgesamt gibt es fünf - ... zuzmindest bei den ersten vier (der letzte wird im Moment noch aufgeklärt) ausschließlich um Lenkflugkörper - oder Teile davon - vom Typ HARM (high speed anti radiation missile). Das sind Lenkflugkörper, die eingesetzt werden gegen die Luftverteidigung des Gegners, und zwar dort gegen die Radargeräte, die Radar-Emissionen ausstrahlen. Der Lenkflugkörper benötigt für den Zielendanflug, um sich in das Ziel zu lenken, Radarenergie, die von dem Ziel ausgestrahlt wird. So. In der Regel bekommt er sie; bekommt er sie nicht, sucht er sich ein neues Ziel, das in seiner Datenbank abgelegt ist. In diesen vier genannten Fällen, von denen ich spreche, die zusammen mit den bulgarischen Behörden übrigens untersucht worden sind, kann es sich auf der einen Seite z.B. um eine Fehlfunktion der Steuerfläche handeln, z.B. wenn die Rakete abgeschossen wird und die Steuerfläche blockiert, daß sie dann in eine andere Richtung geht, bis hin zu einer Vermutung - zumindest bei dem ersten Fall - , daß auch Teile solcher Raketen gegebenenfalls verbracht worden sein könnten: zumindest dann, wenn man z.B. keinen Einschlagskrater oder Ähnliches in der Umgebung dieser Rakete entdecken konnte. Es sind viele hundert dieser Raketen während der Einsätze verschossen worden, und, wie gesagt, im Moment bekannt sind diese vier - möglicherweise - Fehlfunktionen oder auch (Spekulation allerdings, können wir nicht nachweisen) ggf. des Verbringens. Was die übrige Munition anbelangt - wir reden ja nicht umsonst von Präzisionsbewaffnung, d.h. es kommen Waffen zum Einsatz, die mit einer großen Präzision in das Ziel gebracht werden können; es kommen keine Waffen zum Einsatz, wo ich das nicht sicherstellen kann. Das Ziel wird vorher beleuchtet und dann kommt die Waffe zum Einsatz. Aber es kann natürlich sein wie z.B. in dem einen Fall der Kolonne, daß der Pilot, der teilweise aus 15.000 Fuß oder höher das Ziel identifizieren und letztlich auch von dort die Waffe einsetzen muß, möglicherweise das Ziel wie den einen Fall falsch identifiziert hat. Aber [...] wir reden hier von einer Gesamtzahl von 17.000 Einsätzen ungefähr und hierbei Angriffseinsätze etwa 4.500, und ich möchte wirlich nicht falsch verstanden werden, aber das Bemühen, Kollateralschäden weitgehend zu vermeiden, ist, trotz aller bedauerlichen Fehlwürfe, die eingetreten sind, weitgehend erfolgreich.

- Ich höre von Ihnen zwei Feststellungen. Erst - die zweite war, die Sie nannten, Herr Porz, es kann sein, daß der Pilot das Ziel falsch identifiziert hat. Her Wichert sagt, die Waffen werden nur abgeschossen, wenn absolut sicher ist, daß die Ziele richtig identifiziert worden sind. Können Sie mir diese Kluft erklären - worauf die beruht. - W: Ich sehe keinen Widerspruch zwischen beiden Aussagen, sondern sowohl General Porz als auch ich haben gesagt, daß dies die Entscheidungslage des Piloten ausmacht, und daß er einem objektiven Irrtum unterliegt, hat weder General Porz noch ich ausgeschlossen. Aber ich habe Vertrauen in die Piloten: daß sie nur den Waffeneinsatz auslösen, wenn sie sich diese Gewißheit subjektiv verschafft haben. Daß sie objektiv einem Irrtum unterliegen, ist geschehen, wird geschehen, und die NATO und insbesondere dieses Ministerium haben zu keinem Zeitpunkt versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei eine solche Luftoperation zu führen, ohne daß es zu Schäden auch außerhalb militärischer Ziele kommt. Es gibt in der Beziehung keine absolute Gewißheit.

P: Es gibt auch dokumentierte Beispiele (aufgrund von Videoaufzeichnungen), die auch gezeigt wurden ... in Brüssel, wo zum Beispiel ein Pilot, der eine fernsehgesteuerte Waffre einsetzt - und damit wird das Ziel, kommt das Ziel auf seinen Bildschirm - mit dem Näherkommen der Waffe immer deutlicher ins Visier, und wenn er dann sieht, wie in dem Fall z.B. geschehen, dieser Panzer steht ja unmittelbar neben einer kleinen Kirche, daß es ihm eben dann im letzten Moment noch gelungen ist, z.B. den Zielbeleuchter schnell in den Wald zu lenken, und die Waffe folgt dem Zielbeleuchter. Und, Sie können mir glauben - ich bin ja selber Flugzeugführer, Inspekteur der Luftwaffe - ich weiß, welche schwere Last dort die Besatzungen zu tragen haben, das ist kein Computer-Krieg dort oben, und sie sind einer erheblichen Bedrohung ausgesetzt, sie müssen innerhalb von Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen treffen, die wichtig sind, und ich bestätige nochmal, was der Staatssekretär gesagt hat: es kann im Einzelfall mal menschliches Versagen auch gerade in dieser Situation nicht ausgeschlossen werden.

- Diese HARM-Raketen, die werden auch von den Tornados verschossen, unter anderem - gibt's noch andere NATO-Streitkräfte, die die verwenden, und dann - wenn  Sie sagen, die sind dahin verbracht worden nach Bulgarien oder es könnte jedenfalls sein; wie haben wir uns das vorzustellen: das klaubt einer auf in Jugoslawien und schleppt das da rüber? Warum sollte er das tun? - P: Warum er das tun sollte - es ist, glaube ich, relativ einsichtig.  - Nur aus Propagandazwecken? P: Natürlich. - OK. Aber dann könnte es ja keinen Schaden in Bulgarien geben, also wenn ich da nur die leere Hülse hinbringe. - P: Ja ja schon, aber man - ich meine, man suggeriert damit möglicherweise, auch dieser Luftraum und der Raum ist bedroht. Wieder - ich hab gesagt, das ist Spekulation - und wir führen das darauf zurück, weil wir in diesem betreffenden Fall nur einen bestimmten Teil, den hinteren Teil dieser Rakete gefunden haben und nirgendwo in der Nähe einen Einschlagkrater: das war das Ungewöhnliche, deswegen sind wir auf diese mögliche Idee gekommen. - Jawohl, andere Nationen verbringen [korr. verwenden], wie Sie sagen, diesen Lenkflugkörper auch: Italiener, Amerikaner natürlich und auch Engländer - und auch noch andere Nationen. Das Besondere vielleicht nochmal daran ist: unser ECR-Tornado ist aufgrund seiner besonderen Ausstattung und Ausrüstung in der Lage, die von mir angesprochenen Ziele, nämlich Stellungen der gegnerischen Luftabwehr, Radarstellungen, Flugabwehrraketenstellungen usw. - immer dann, wenn sie strahlen, wohlgemerkt - innerhalb von wenigen Sekunden aufzufassen, zu identifizieren, zu lokalisieren (also auch die Örtlichkeit zu bestimmen) und dann einen Lenkflugkörper gezielt auf diese Radaremission abzuschießen. Und damit ist ein hohes Maß, ein Höchstmaß an Gewehr gegeben, daß der Lenkflugkörper auch in die Richtung dieses Ziels geht, es sei denn - was man nicht immer ausschließen kann, das ist auch eine Frage der Statistik bei jedem Auto -, daß z.B. irgendeine technische Funktion mal nicht 100%ig klappt, nicht, daß hinten die Steuerflächen z.B., die ja bewegt werden müssen, aus irgendeinem Grunde mal blockieren. Aber Erkenntnisse z.B., was den ECR-Tornado anbelangt, haben wir zumindest nicht darüber.

- ... noch eine Frage zur chinesischen Botschaft: Weiß man denn, wer diesen Angriff geflogen hat und was da getroffen werden sollte? - W: Nein, das ist noch Gegenstand der Untersuchung der NATO. [...]"

Transkription: W. NÄSER 10.5.99
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Aufgaben zur Textanalyse:

(c) WN 10051999