Morgenmagazin-Interview mit Stefan Lipsius zur Rolle der UCK

(ZDF-MoMa, 16.6.99, 8:37 ff)

[Anmoderation] ... auch die albanische Kosovo-Untergrundarmee UCK und benimmt sich ganz selbstverständlich als Ordnungsmacht. Selbst auf dem Bundeswehrgelände in Prizren kann man UCK-Kämpfer sehen, mit Gewehren bewaffnet. Wie man mit ihnen umgehen soll, ist unklar; bislang hieß es immer, sie würden entwaffnet. Deutsche Kommandeure vor Ort sagen jetzt, dazu hätten sie keine Handhabe. In der UNO-Resolution steht etwas von Demilitarisierung, was aber offensichtlich nicht bedeutet, daß alle ihre Waffen abgeben müssen. Etwas Klarheit bringt uns jetzt hoffentlich der Politologe Stefan Lispsius vom Münchener Südosteuropa-Institut. Guten Morgen, Herr Lipsius.

Guten Morgen.

Wie sieht denn die aktuelle Leitlinie der internationalen Gemeinschaft für den Umgang mit der UCK aus - oder gibt's die gar nicht mehr?

Ja, die gibt es so eindeutig eigentlich nicht. Bereits in dem Abkommen von Rambouillet im März hatte man sich darauf geeinigt, daß die UCK demilitarisiert werden soll; das ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Entwaffnung.

Was bedeutet dann 'demilitarisiert'?

Das bedeutet, daß die UCK größere Waffen bzw. schwereres Waffengerät abgibt, aber leichtere Waffen behalten darf.

Aber das kann ja doch eigentlich nicht zum Erfolg führen - oder doch? Oder: wie sehen Sie das?

Ja gut, das Problem ist eigentlich so: daß natürlich 30.000 oder 40.000 Soldaten der UCK nicht in einer absehbaren Zeitspanne zu entwaffnen sind; darum hatte man sich darauf geeinigt, doch nur der UCK das schwere Gerät abzunehmen. Der UCK-Generalstab hatte sich mit dieser Entscheidung eigentlich auch einverstanden erklärt. Das Problem ist ja auch, daß möglicherweise der harte Kern der Untergrundarmee die spätere künftige zivile Polizeitruppe stellen wird - insofern ist es vielleicht auch sinnvoll, daß dann leichtere Waffen in den Händen der UCK bleiben.

Finden Sie das denn angemessen, wenn tatsächlich der Kern der zivilen Polizeitruppe durch UCK-Kämpfer gestellt würde? Das läuft doch eigentlich allem zuwider, was bislang gesagt wurde.

Nein, das denke ich nicht. Man muß ja wissen, daß ... sich die UCK aus unterschiedlichen Gruppen zusammensetzt. Ein kleinerer Teil besteht aus ehemaligen Offizieren der jugoslawischen Volksarmee albanischer Volkszugehörigkeiten, auch ehemaligen Polizisten albanischer Nationalität - das heißt, die Leute sind entsprechend ausgebildet, haben zum Teil im alten Jugoslawien unter Tito Ordnungsaufgaben in den Polizeitruppen, aber auch in der Armee ausgeübt, insofern ist ein Teil der UCK auf diese Aufgabe gut vorbereitet.

Was passiert denn jetzt, wenn es tatsächlich so kommt, daß die Kämpfer der UCK sagen 'Wir behalten alle unsere Waffen'? Im Moment scheint es ja noch keine größeren Auseinandersetzungen zu geben, aber ist es denn vorstellbar, daß sich das ändert und die Pressesprecher der NATO-Staaten dann ihrer Bevölkerung irgendwann erklären müssen, daß es nach dem Kampf gegen die serbische Armee jetzt einen Kampf gegen eine kosovo-albanische Armee geben muß?

Nein, das denke ich nicht, weil gerade im letzten Drittel der NATO-Luftschläge auf Jugoslawien hat es ja eine sehr vertrauliche und gute Zusammenarbeit zwischen der UCK und dem UCK-Generalstab und dem NATO-Hauptquartier in Brüssel gegeben; insofern denke ich nicht, daß die UCK diese gute Zusammenarbeit, die ja auch in ihrem Interesse war, jetzt auf das Spiel setzen wird dadurch, daß sie sich einer Demilitarisierung widersetzen wird.

Ja. Können Sie die UCK - Sie haben das vorhin schon ein bißchen gemacht - nochmal genauer beschreiben? Ist das eine homogene Truppe oder sind das eigentlich verschiedene Flügel, die jetzt vielleicht auch nochmal stärker aufbrechen können?

Ja gut, das ist keine homogene Truppe im eigentlichen Sinne. Man muß wissen, daß die ... politische Initiative zur Gründung der UCK von einer großen politischen Untergrundorganisation erfolgt ist, der LPK. Es gibt zwei weitere kleinere politische Untergrundorganisationen. Diese drei Untergrundorganisationen tragen politisch die UCK und sind natürlich auch militärisch mit ihren Mitgliedern in dieser Befreiungsarmee vertreten. Man muß nun abwarten, wie sich diese drei Untergrundorganisationen intern politisch verständigen, welchen Kurs sie im Blick auf eine .. Entwaffnung oder Demilitarisierung verfolgen werden, und natürlich auch, welchen Kurs sie verfolgen werden, was die weitere politische Zukunft des Kosovo anbelangt.

Wieviel Rückhalt haben denn Armee und ihre politischen Gruppierungen bei der Bevölkerung?

Ja, da ist natürlich seit der bewaffneten Eskalation im Frühjahr 1998 eine Akzentverschiebung zugunsten der UCK und der ihr nahestehenden politischen Organisationen und Gruppen zu verzeichnen gewesen; das geht zu Lasten der gemäßigten LDK und des von ihr gestellten Präsidenten Ibrahim Rugova und auch der von ihr weitgehend dominierten Exilregierung unter Bujar Bukoshi. Es ist aber sicher nicht so, daß nun 90 oder 100 % der Kosovo-Albaner im Kosovo selbst, aber auch in der Diaspora nun politisch hinter den Gruppen stehen, die die UCK trägt.

Transkription: Dr. W. NÄSER 16.6.99 am