Was geschah im Kosovo? Die uns alltäglich zugänglichen Nachrichten schienen ein klares Bild zu zeichnen: Flüchtlinge und Kampfflugzeuge, manchmal Bilder von Zerstörungen die NATO versuchte die Vertreibungen und Gewalttaten im Kosovo zu unterbinden. Wie wenig eindeutig die Situation tatsächlich war, wird deutlich, wenn man die Perspektive der Gegenseite betrachtet. In einem Interview in der "taz" vom 23. April 1999 führte der Jugoslawische Außenminister Zivadin Jovanovic aus:
"Diese Aggression wurde anfangs damit begründet,dass Jugoslawien gezwungen werden sollte, ein Abkommen über die politische Lösung im Kosovo zu unterzeichnen. [...] Erst danach wurde die angebliche Notwendigkeit der Fortsetzung der Luftangriffe damit begründet,dass eine humanitäre Katastrophe im Kosovo aufgehalten werden sollte. Dabei haben die Bomben die Flüchtlingstragödie im Kosovo und eine humanitäre Katastrophe in ganz Jugoslawien ausgelöst. [...] Albanische Terroristen haben eigene Landsleute aus ihren Häusern vertrieben, um der NATO einen Vorwand für die Aggression zu liefern. Der Henker kann sich als Retter präsentieren. Die NATO versucht sogar, die Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern. Deshalb wurde auch die albanische Flüchtlingskolonne während ihrer Rückkehr nach Prizren von der NATO bombardiert."
Es geht hier nicht darum, diese oder andere Äußerungen in Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu bewerten. Die Ausführungen des Jugoslawischen Außenministers zeigen jedoch, wie unterschiedlich die Ereignisse gesehen und interpretiert werden. Im Folgenden möchte ich einige Beispiele dafür anführen, wie solche Perspektivendifferenzen in den Medien erzeugt werden können und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Herman und Chomsky, zwei US-amerikanische Autoren, haben Faktoren beschrieben, die die Medienberichterstattung über Kriege beeinflussen. Sie reden von einem Informations-Filtersystem.
Besitzverhältnisse von Massenmedien und spezifische Interessen von (potentiellen) Werbekunden lassen die Schere im Kopf zuschnappen. Von besonderem Interesse hier sind die Einflüsse von Propaganda-Kampagnen. Dies kommt beispielsweise in Berichten über so genannte "wertvolle Opfer" zum Ausdruck. Die Darstellung der drei amerikanischen Gefangenen und deren Präsentation in den serbischen Medien eignete sich hervorragend, um die Unmenschlichkeit des gegnerischen Regimes zu verdeutlichen. Weinende Kinder in Flüchtlingslagern können dieselbe Funktion erfüllen. Der Konstanzer Psychologe Wilhelm Kempf hat in einer Analyse der Berichterstattung von deutschsprachigen Printmedien über den Golfkrieg gezeigt, wie solche wertvollen Opfer zum Einsatz gebracht werden, kriegsgefangene Soldaten des Gegners kommen im Gegensatz dazu in den Medien praktisch nicht vor.
Herman und Chomsky berichten weiter von einer der Berichterstattung inhärenten Tendenz zur Abwertung der anderen, der fremden Gruppe. Auch durch die verwendete Sprache kann die Berichterstattung in diesem Sinne verzerrt werden. Die Sozialpsychologen Maass, Corvinio und Arcuri haben die Abendnachrichten im ersten und dritten italienischen Fernsehprogramm über den Golfkrieg analysiert. Ihre Fragestellung ist: Wie lassen sich Nachrichten über Aktivitäten des Feindes des Irak am besten sprachlich verkaufen? Die Antwort: Wenn es sich um negative Aktivitäten des Feindes handelt, ist es günstig, die Handlung möglichst abstrakt zu beschreiben "Die Iraker sind wieder einmal gewalttätig." Damit wird der negative Eindruck über die anderen untermauert und verallgemeinert: Die Iraker sind nun einmal aggressiv. Ist hingegen von einer positiven Handlung zu berichten, sollte die Darstellung möglichst konkret ausfallen: Damit wird das negative Stereotyp nicht in Frage gestellt, der Einzelfall bildet die Ausnahme. Die Untersuchungsergebnisse unterstützen eindrucksvoll die Annahmen der Autoren.
Bislang wurde über Merkmale und Strategien von Berichterstattung berichtet. Die Frage ist, welche Form von Berichterstattung vom Publikum besonders angenommen wird. Dazu haben wir selbst in Marburg eine Reihe von Laboruntersuchungen durchgeführt. Der dabei untersuchte Mechanismus wird in der berüchtigten Rede von Reichspropagandaminister Joseph Göbbels im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 deutlich:
"Ihr also, meine Zuhörer, repräsentiert in diesem Augenblick die Nation. Und an Euch möchte ich zehn Fragen richten, die Ihr mir mit dem deutschen Volk vor der ganzen Welt, insbesondere vor unseren Feinden, die uns auch an ihrem Rundfunk hören, beantworten sollt. Erstens: Die Engländer behaupten, das deutsche Volk habe den Glauben an den Sieg verloren. Ich frage Euch: Glaubt Ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen totalen Sieg des deutschen Volkes? ..."
Göbbels stellt die Gemeinsamkeit, die gemeinsame Gruppenzugehörigkeit mit seinem Auditorium heraus: "Glaubt Ihr mit dem Führer und mit uns ...". Darüber hinaus verweist er auf die gemeinsame Bedrohung von außen: " ... vor unseren Feinden ...", "... die Engländer behaupten ...". Einschlägige sozialpsychologische Theorien lassen erwarten, dass so formulierte Nachrichten besonders überzeugend wirken. Um dies zu prüfen, haben wir Frauen nach ihrer Einstellung zum Wehr- und Ersatzdienst für Frauen befragt. Alle Befragten wurden zunächst mit einem vorgeblichen Zeitungsartikel konfrontiert, in dem das Für und Wider eines Wehr- und Ersatzdienstes für Frauen diskutiert wurde. Einem Drittel der Befragten wurde lediglich diese Information vorgelegt. Einem zweiten Drittel der Befragten wurde derselbe Zeitungsartikel präsentiert, hinzugefügt wurde aber, dass ein Gruppe von Frauen, also Mitglieder der eigenen Geschlechtsgruppe, sich für die Einführung eines solchen Dienstes stark machten. Dem letzten Drittel der Befragten wurde schließlich gesagt, eine Gruppe von Frauen habe sich für, eine Gruppe von Männern Mitglieder der fremden Geschlechtsgruppe gegen einen Wehr- und Ersatzdienst von Frauen ausgesprochen. Die Ergebnisse stützen unsere Annahmen: Die Nachrichten verändern die ursprünglich sehr negativen Einstellungen der Befragten, wenn diese Nachricht vorgeblich aus der eigenen Gruppe kommt und wenn sie gegen eine fremde Gruppe vertreten wird.
Die bislang genannten Merkmale und Prozesse zeichnen vermutlich Kriegsberichterstattung generell aus. Moderne Kriegsführung, insbesondere unter US-amerikanischer Führung, besteht sehr häufig, zum Teil ausschließlich, in Bombardements. Dies erzeugt ein hohes Maß an räumlicher Trennung zwischen den Akteuren. Eine solche Distanz erleichtert den beteiligten Soldaten ihren Einsatz, die Bereitschaft, der Aufforderung zu Aggression und Gewalt gegen andere zu folgen steigt deutlich, weil die Auswirkungen der Aggression beim Opfer nicht unmittelbar zugänglich sind. Spätestens seit Ende des Vietnamkriegs wird die beschriebene Art der Kriegsführung aber auch dazu genutzt, die Berichterstattung durch gezielte und unter Umständen selektive Informationsweitergabe zu steuern. Im Kosovo-Krieg war die Berichterstattung fast vollständig auf die offiziellen Nato-Quellen beschränkt. Dies sollte vermutlich verhindern, dass, wie in Vietnam, die Unterstützung im eigenen Land für eine kriegerische Auseinandersetzung dadurch gefährdet wird, dass Kriegsberichterstatter vor Ort die grausamen Folgen der eigenen Kriegsmaschinerie deutlich machen.
Die Bilder vom Krieg im Irak und jetzt in Jugoslawien waren massiv gefiltert. Wir sahen Verteidigungsminister, die in euphemistischen Begriffen und unter hoher persönlicher Betroffenheit die Qualität der chirurgischen Eingriffe verdeutlichen.
Je nachdem, welcher kriegsführenden Partei ein Publikationsorgan zugehörte, wurden sehr unterschiedliche Bilder gezeichnet. Der Krieg, von dem Jovanovic redete, schien ein anderer zu sein als der seines deutschen Amtskollegen. Die Kriege werden unwirklich, Computerspielen vergleichbar aber: Es leiden und sterben richtige Menschen. Vielen ist Verzerrung der Berichterstattung bewusst, der Spiegel hat am 24.Mai 1999 die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung veröffentlicht, wonach mindestens 34 Prozent der deutschen Bevölkerung den Wahrheitsgehalt der Berichte über den Kosovo-Krieg anzweifelten. Nur: Das Wissen, mit verzerrten Bildern der Realität versorgt zu werden, hilft nicht bei dem Versuch, wirklich zu erfassen, was geschieht. Und: Wählerinnen und Wählern wird durch die Verschleierung des tatsächlichen Geschehens eine wichtige Grundlage dafür entzogen, das Handeln der Regierenden zu beurteilen und gegebenenfalls bei der nächsten Wahl zu sanktionieren. Die modernen Kriege erzeugen damit nicht nur großes menschliches Leid, ihre Virtualität trägt auch zur Entmündigung des demokratischen Souveräns bei.
Ulrich Wagner
[Re-Editing W. Näser 28.7.99]