"Heute"-Nachbericht zum Fall Korisa vom 15.5.99, 21:46 Uhr

Moderator: Alexander NIEMETZ (N)
NATO-Sprecher in Brüssel: Generalmajor Walter JERTZ (J)

NB: Die Anmoderation konnte aus technischen Gründen nicht aufgezeichnet werden. Dort ist von 90 Toten die Rede.

N: [...] Licht in das Dunkel der Tragödie zu bringen. Gerd Helbig berichtet:

"Bilder der Verwüstungen, die nach NATO-Angaben drei F-16-Kampfflugzeuge mit 10 Bombenabwürfen anrichteten. Sie erfolgten kurz vor Mitternacht vorgestern abend. Nach jugoslawischen Angaben waren über die Hälfte der Opfer Frauen und Kinder; die genaue Zahl ist nicht bekannt. - Die Bilder des jugoslawischen Fernsehens zeigten zerstörte Traktoren, aber keine Militärfahrzeuge, die dort vermutet wurden. Wiederum nach jugoslawischen Angaben wurden 78 Verletzte in ein Krankenhaus in der nahegelegenen Stadt Prizren eingeliefert: dort können sie nur unter notdürftigen Bedingungen versorgt werden. Fünf Menschen seien im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen.

Die NATO bestätigte heute lediglich, einen Komplex beim Dorf Korisa angegriffen zu haben, der seit Wochen als klarer Militärstützpunkt identifiziert und mehrfach von Aufklärern als solcher bestätigt worden sei. - Die Frage, wieso sich dort Zivilisten aufgehalten haben. '[We know who brought them there] Wir wissen, wer sie dorthin gebracht hat. [If there were civilians] Wenn es Zivilisten an diesem Ort gab, der als ein militärisches Ziel identifiziert worden war, dann hat sie jemand dorthin gebracht [they were brought there by someone].' - Alles spricht dafür, sagt die NATO, daß die Opfer von den Serben als menschliche Schutzschilde mißbraucht wurden.

So klang es in Brüssel. Bei der Pressekonferenz des Pentagon in Washington klang es etwas vorsichtiger. Dort wurde mit einiger Verzögerung das Cockpit-Video des Angriffs auf Korisa gezeigt, auf das man mit Spannung gewartet hatte. Man sieht im Vordergrund die Rauchwolke der ersten Treffer, danach sechs weitere Explosionen als Folge des Anflugs einer dritten Maschine. [Here, here and here] Über die Annahme menschlicher Schutzschilde sagt das Video nichts aus.

Heute besuchte der amerikanische Oberbefehlshaber Wesley Clark seine Truppen in Albanien und nahm ebenfalls zu dem Angriff mit den verheerenden Folgen Stellung. '[We know there's a threat] Wir wissen von der Drohung mit menschlichen Schutzschilden in Kosovo. Wir haben aber auch sehr großes Vertrauen darin, wie wir unsere Ziele ausmachen [...confidence in our targeting process]. Diesen Prozeß verbessern und verstärkern wir laufend. Wir wollen den Luftkrieg weiter intensivieren und noch erfolgreicher auf die Bodentruppen richten [more effectively to the forces on the ground].'  - General Clark inspizierte die Mannschaften, denen die Apache-Hubschrauber anvertraut sind, auf deren Einsatz seit langem gewartet wird."

[N] Und aus Brüssel ist nun Walter JERTZ zugeschaltet, der militärische NATO-Sprecher - guten Abend Herr Jertz. Guten Abend, Herr Niemetz. - Herr Jertz, neun folgenschwere Angriffe der NATO mit Ziviltoten: die NATO prüft dann, bedauert, gibt auch zu - sind das Fehler in der Zielplanung oder ist das einfach ein Teil der Strategie, das man mit in Kauf nehmen muß? - Das sind sicherlich kein Teil der Strategie - man muß sicherlich auch zivile Tote mit in Kauf nehmen, das ist sehr bedauerlich, aber die Zielpanung selbst ist sehr ausgereift, sehr ausgefeilt, und wir tun alles, um zivile Opfer zu vermeiden, deswegen werden unter anderem auch sehr häufig ... präzisionsgelenkte Waffen eingesetzt, um gerade diese entsprechenden casualties, collateral damages, wie sie genannt werden, zu vermeiden und zu verhindern. - Warum werden denn solche Angriffe nachts geflogen, wo Piloten natürlich Schwierigkeiten haben müssen, Zivilisten von Soldaten zu unterscheiden? - Ja, wir müssen natürlich bedenken, daß wir versuchen, den Druck auf die Militärs gerade im Kosovo 24 Stunden aufrechtzuerhalten, damit sie sich nicht mehr so frei bewegen können, um das durchzuführen, was sie in den letzten Wochen leider getan haben, nämlich unschuldige Kosovaren, unschuldige Zivilisten zu töten und zu verjagen, und dieser Druck letztlich muß 24 Stunden ausgehalten werden, und deswegen auch die Nachteinsätze. - Nachteinsätze: man weiß ja, daß ganze Dörfer, daß Bauernhöfe zu Festungen ausgebaut sind; nachts können Sie dennoch nicht unterscheiden, ob da Zivilisten da sind. Das lassen diese Geräte in diesen Flugzeugen doch offensichtlich gar nicht zu. - Na ja, das Regelwerk der Aufklärung und all die Dinge, die uns zur Verfügung stehen, um wirklich so klar aufzuklären, welche Ziele militärische Ziele sind, ist so ausgefeilt, daß im Regelfall eben nichts passieren kann - nur, wenn wie im letzten Fall geschehen, Zivilisten oder zivile Personen, die einfach nicht zu erkennen sind, von denen wir auch definitiv nicht wußten, daß sie dort waren, dann wirklich dort auftauchen, ist das natürlich ein Problem; der Pilot allerdings, der dieses Ziel letzte Nacht angegriffen hat, der hat eindeutig identifiziert ein militärisches Ziel. - Nun gibt es ja eine Alternative zu diesen hochfliegenden Flugzeugen, die dann Bomben abwerfen, das sind die Apache-Hubschrauber, die könnten ziemlich präzise anfliegen, ziemlich präzise Ziele identifizieren - warum sind die bis jetzt nicht eingesetzt worden? - Es wird nicht mehr lange dauern, und hier muß man die Nation, die diese Hubschrauber besitzt, natürlich auch erst mal fragen, ihr die Chance geben, ihre Hubschrauberpiloten, ihre Besatzungen so vorzubereiten, daß sie auch ohne entsprechende Verluste dort eingesetzt werden können, aber es wird nicht mehr lange dauern, und da werden diese Apaches auch eingesetzt werden. - Vielen Dank, Herr Jertz, vielen Dank nach Brüssel.'

(c) Transkription: Dr. Wolfgang NÄSER, 15.5.99 | 22:49