Von Norbert Lossau
München - Im Ehrensaal des Deutschen Museums in München werden heute die mit mehr als 400 000 Mark dotierten Eduard-Rhein-Preise 1999 verliehen.
Den Grundlagenpreis (150 000 Mark) erhält der russische Wissenschaftler Professor Wladimir A. Kotelnikow für die Formulierung eines mathematischen Theorems, das eine wesentliche Voraussetzung für die digitale Kommunikationstechnik ist.
Der heute 90-jährige Kotelnikow hatte bereits im Jahre 1933 das so genannte Abtasttheorem formuliert, das eine Aussage darüber macht, in wie viele digitale Daten ein analoges Signal - zum Beispiel Musik - zerlegt werden muss, damit es später wieder fehlerfrei reproduziert werden kann. Demnach muss die Anzahl der pro Sekunde entnommenen Abtastwerte mindestens doppelt so groß wie die höchste im analogen Signal vorkommende Frequenz sein.
Die Bedeutung dieses Theorems lässt sich am Beispiel einer heutigen Musik-CD veranschaulichen. Selbst Menschen mit einem extrem guten Gehör können keine Töne wahrnehmen, die eine Frequenz von mehr als 20 000 Schwingungen pro Sekunde (Hertz) besitzen. Demnach müssen die Schallwellen eines Musikstückes mindestens 40 000 Mal in jeder Sekunde zu Zahlenwerten digitalisiert werden, wenn man diese auf einer CD speichern will. Tatsächlich wird Musik für eine CD-Produktion sogar rund 44 000 Mal pro Sekunde abgetastet und digitalisiert.
Die seinerzeit in einem sowjetischen Konferenzbericht veröffentlichte Arbeit Kotelnikows war bislang im Westen weitgehend unbekannt geblieben. Vielmehr galt hier Professor Claude Shannon als Entdecker des Abtasttheorems. Er hatte darüber 1948 berichtet. Es ist ein Verdienst der Rechercheure der Eduard-Rhein-Stiftung, die Priorität von Kotelnikow zweifelsfrei nachgewiesen zu haben.
In den fünfziger und sechziger Jahren war Kotelnikow, der Mitglied der russischen Akademie der Wissenschaften ist, maßgeblich am sowjetischen Satellitenprogramm in Sachen Datenkommunikation beteiligt. Später widmete er sich der Radio- und Radarastronomie.
Den ebenfalls mit 150 000 dotierten Technologiepreis der Eduard-Rhein-Stiftung teilen sich in diesem Jahr die beiden Italiener Professor Fabio Rocca (59) und Dr. Leonardo Chiariglione (56). Sie haben sich um die Entwicklung und Verbreitung von Codierungsverfahren für das digitale Fernsehen verdient gemacht.
Chiariglione war maßgeblich an der Konzeption und Durchsetzung der so genannten MPEG-Standards beteiligt, die heute weltweit genutzt werden, um bewegte Bilder und Töne für das Digitalfernsehen zu verschlüsseln.
Das Entscheidende bei diesen mathematischen Verfahren besteht in der Reduktion der anfallenden Datenmenge. Würde man nämlich ein Fernsehprogramm einfach nur digitalisieren und dann senden, so würde es ganze acht Übertragungskanäle gleichzeitig belegen. Tatsächlich lassen sich aber heute über einen einzigen Kanal vier bis acht digitale Programme gleichzeitig übertragen.
Möglich wird dies durch das geschickte Weglassen von nicht benötigten Daten. Professor Rocca hat hier raffinierte mathematische Methoden entwickelt, mit deren Hilfe bei bewegten Bildern eine sehr effiziente Datenreduktion möglich geworden ist. Diese Verfahren wiederum sind dann in den MPEG-Standard eingeflossen.
Die Eduard-Rhein-Stiftung vergibt auch einen Kultur-/Journalismuspreis, der mit 100 000 Mark verbunden ist. Er geht in diesem Jahr an Professor Joachim Fest (72), der für seine "herausragenden wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten" geehrt wird. Fest, der als Honorarprofessor an der Universität Heidelberg lehrt, war von 1973 bis 1993 Herausgeber der "FAZ".
Zwei mit je 5000 Mark dotierte Jugendpreise gehen an Sascha Sebastian Haenel sowie Michael Rödel und Sebastian Gschwender.
Quelle: DIE WELT, 16.10.99