Wolfgang Büscher
Es ist Krieg. Und es ist still in Deutschland. Wo sind unsere engagierten Professoren, unsere Schriftsteller? Die Feldherrnhügel höherer Moral leergefegt. Manche Sottise noch ließe sich aus der Stille schlagen, aber es hat keinen Sinn, auf die linken Idealisten der letzten Saison zu zeigen. Verschlägt es nicht uns allen die Sprache?
Es ist Krieg, und wir gehen hin. Um unserer Flieger willen atmen wir während der Frühnachrichten beim Satz auf, die Tornados seien auch diesmal wieder heil zurückgekehrt. Fünfzig Jahre lang sprangen andere für Deutschland ein. Fünfzig Jahre gab es bei uns hochfahrende Moral gebührenfrei und Pazifismus auf Krankenschein, war der Krieg ein überwundenes Relikt oder beruhigend weit weg; allianzgeschützt ließ es sich trefflich gegen ihn sein.
Jetzt ist der Krieg hier, oder doch beinahe. Jetzt ist es nicht mehr möglich, vom Fernsehsessel oder vom Lautsprecherwagen aus Lordrichter des Weltgewissens zu sein.
Es ist Krieg, und es ist nicht leicht mit ihm. Nicht so leicht, wie wir dachten. Sollen wir von der Warte der Menschenrechte aus urteilen oder den Balkan historisch sehen? Die Menschenrechtsposition läuft Gefahr, unpolitisch über ihre Abstraktion zu stolpern: Wenn Krieg für die Kosovaren, warum dann nicht auch für die Tibeter? Und von der historischen Sicht ist es nicht weit zum Zynismus: Auf dem Balkan haben sie sich immer gegenseitig massakriert. So sind sie eben; halten wir uns da heraus.
Es ist Krieg, und wir lernen: Es reicht nicht, ja es wäre lächerlich, nur gegen ihn zu sein; wer urteilen will, muß etwas vom Krieg verstehen. Wir deutschen Friedenskinder verstehen wenig von ihm.
Tadeln wir deshalb das deutsche Schweigen nicht allzu heftig. Es ist kein verstocktes Schmollen; eher ein Innehalten. Es ist ein Atemholen nach kurzem, scharfem Aufstieg aus den Feldern eines fünfzig Jahre alten halb realen, halb illusionären Friedensreichs. Auf dem Paß hat der Wanderer künftige, unruhigere Ebenen vor sich, auch Schlachtfelder.
Er weiß, er kann nicht zurück. Er muß hinab in die neue Zeit. Das macht ihn wehmütig. Dort unten bewegt er sich ungelenk. Das macht ihn kleinlaut.
Wohl beides zusammen macht uns Deutsche still. Wir nehmen Abschied. Und lernen. Wir lernen den Krieg.
Quelle: DIE WELT, 8.4.99