Das "Lautdenkmal reichsdeutscher
Mundarten":
Widmung des Herausgebers (Aufnahme 278)
1. Der Text
Mein Führer! Ich habe die tiefempfundene Ehre und
Freude, Ihnen zu Ihrem 48. Geburtstage am 20. April 1937 als Gabe des
Reichsbundes der deutschen Beamten das Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten
zur Zeit Adolf Hitlers zu überreichen. Ich bitte Sie, dies Werk
als Zeichen der Liebe und Dankbarkeit der durch den Nationalsozialismus
volksverbunden gewordenen deutschen Beamten entgegenzunehmen. Es ist in
Ehrerbietung dem Manne gewidmet, der als Künder des Volkes den deutschen
Menschen dem deutschen Boden in Heimat und Vaterland verbunden hat. Das
Lautdenkmal kündet vom deutschen Wesen, deutschem Leben und Brauchtum,
deutscher Geschichte, Arbeit und Sitte. Volksgenossen aller Altersstufen
und der verschiedensten Berufe sprechen darin in ihrer Mundart über
wichtige Ereignisse aus ihrem Dasein, über ihr Tagesgeschehen, ihre
Heimat, unser Volk und Vaterland, über das neue Deutschland. Keiner
der Sprecher hat gewußt, daß seine Stimme für Sie, mein
Führer, erklang. Schlicht und klar, wie Sie ihr Volk wollen, sprechen
die Volksgenossen auf ihrer Heimatscholle in ihrem Mutterlaut. Nach langen
Zeiten innerer Entfremdung von sich selbst besinnt sich der deutsche Mensch
dank Ihrer und Ihrer Bewegung, geschichtlichen Schöpfung auf die ewigen
Wurzeln seiner Kraft, die im eigenen Volkstum liegen. Das Lautdenkmal soll
der Wissenschaft, der Sprachforschung und damit der Volkskunde für fernste
Zeiten als eine Quelle der Erkenntnis unseres Volkes und seiner Art dienen.
Bei der Beflügelung, die der Nationalsozialismus der wahren Wissenschaft
verleiht, werden neue Zusammenhänge auch hier aufgedeckt werden,
drückt sich doch in der Sprache die Seele aus. Was uns und der Nachwelt
in unser deutsches Volk und seine Entwicklung Einsicht vermittelt, ist wichtig
und bildet einen unverlierbaren, glücklichen und stolzen Besitz. Von
besonderer Bedeutung wird aber für immer alles das sein, was Ausdruck
des Lebens und Wesens des deutschen Volkes zur Zeit des Führers und
Reichskanzlers Adolf Hitler war. Das Lautdenkmal reichsdeutscher
Mundarten, an dem als Mitarbeiter Vertreter der Wissenschaft und Technik
sowie Männer des praktischen Könnens mit aller Hingabe geschaffen
haben, wird in die kommenden Jahrhunderte hinein zu seinem Teil für
den Geschichtsforscher, Politiker, Volkskundler und Soziologen ein hörbares
Bekenntnis aller Schichten des deutschen Volkes zu der Gefühls- und
Gedankenwelt des Nationalsozialismus als der Kraft sein, die die deutsche
Seele erweckt hat und stets verjüngt. Die späteren Generationen
werden es als ein Glück empfinden, Menschen unserer großen Zeit,
die Ihren Namen, mein Führer, trägt, in lebendigen Worten reden
zu hören. Sieg Heil dem Führer und Reichskanzler des deutschen
Volkes, das in unverbrüchlichem Glauben an die Sendung Adolf Hitlers
auf alle Zeiten geeint ist.
Transkription: (c) Wolfgang Näser 8/2001
2. Versuch eines Kommentars
Der (vermutlich von Bernhard MARTIN verfaßte und) aus
heutiger Sicht unentschuldbare, fragwürdige Text ist eines der frappantesten
Beispiele für eine ebenso unnötige wie unselige Verquickung von
Wissenschaft (oder was man dafür hält) und Politik.
Wie Beispiele aus Wissenschaftsliteratur der dreißiger Jahre belegen,
hätte es der Autor nicht nötig gehabt, sich in dieser geradezu
penetranten Art anzubiedern. Andererseits enthält der Text Begriffe
und Aussagen, über die sich im objektiven Sinne diskutieren
läßt.
Zum Text im einzelnen:
-
Die Anrede entspricht einem im Französischen noch heute
gängigen militärischen Brauch (mon lieutenant / colonel
/ général). Daß ein Wissenschaftler einem
Führerkult mit allen Implikationen von Intoleranz und
unbedingtem Gehorsam huldigte, erscheint aus heutiger Sicht befremdlich;
eine ideologische Verbrämung und damit Kontamination von
Wissenschaft eignet jeder Art von Diktatur, ist also auch im
Stalinismus und der 40jährigen DDR-Zeit anzutreffen.
-
Mit dem Titel der Sammlung hat der Herausgeber nicht nur ein eindeutiges
Signal gesetzt, sondern auch eine Festlegung, die das Ganze eben gerade für
spätere Zeiten in Frage gestellt und mehr als ein halbes Jahrhundert
ins Abseits befördert hat. "In der ersten Hälfte des zwanzigsten
Jahrhunderts" hätte als unangreifbare Formulierung bis heute
überdauert und dem Werk eine Kontinuität des Gebrauchs gesichert,
die es verdient.
-
"volksverbunden gewordenen deutschen Beamten": bedeutet das
so viel wie "Bürgernähe" (ein gerade in den letzten beiden Jahrzehnten
zum politischen Ausverkaufs-Artikel verkommen(d)er Begriff)? Es würde
sich lohnen, unvoreingenommen darüber zu diskutieren.
-
Die folgenden Begriffe (Heimat, Vaterland, Leben und
Brauchtum, Arbeit und Sitte, Volk und Vaterland) gehören
sämtlich zum damaligen Zeitgeist und wären bis heute unverdächtig
ohne die unselige Einbettung in Hitlers Unrechtsregime.
-
"Keiner der Sprecher hat gewußt...": angesichts gewisser
Aussagen in Aufnahmen, die Bernhard MARTIN als Transkripte
für seine "Volkssprache" (1939) auswählte, wird dieser Passus ebenso
fraglich wie unglaubwürdig, mischen sich doch hier unverkennbar
Heuchelei und Opportunismus. Andererseits erscheint das Gros dessen,
was die weitgehend "einfachen" Menschen ins Mikrofon sprechen, aus objektiver
Sicht unverdächtig und hätte auch heute wenig anders geklungen;
die von mir ausgewählten Beispiele aus
Anselfingen, Dießen,
Markgröningen und
Ramsloh mögen dies belegen.
* Nachdenken müssen wir in diesem Zusammenhang auch über Ziele
und Ethik jeder Art von Exploration: ist es zulässig, im Rahmen
wissenschaftlicher (oder wissenschaftlich verbrämter) Vorhaben erhobene
Daten und Aussagen von Menschen für politische Zwecke zu
mißbrauchen? Das "Lautdenkmal" ist da sicher keine Ausnahme.
-
"Schlicht und klar, wie Sie Ihr Volk wollen": entwaffnend
klares Bekenntnis zu einer diktatorischen Lenkungspolitik, der George
ORWELL in seiner Animal Farm (1946) ein literarisches
"Denkmal" setzte. In einem solchen "Menschenbild" ist kein Platz für
Andersdenkende, für kritische Geister, für schöpferische
Entfaltung, ohne die eine Wissenschaft zum Zerrbild ihrer selbst verkommt.
-
Volksgenosse, Heimatscholle, Mutterlaut: ohne den
Hitlerismus bis heute möglicherweise unverdächtig geblieben,
repräsentieren diese Begriffe wie kaum andere den damaligen Zeitgeist
und damit eine Tendenz zum nationalen Isolationismus, der konform
geht mit einer nationalökonomischen Autarkie, die Importe von
Waren ebenso ausschließt wie eine NS-Wissenschaft die von
Ideen. Ein derartiger Isolationismus wäre heute - gottseidank
- undenkbar in unserer Zeit eines multilateralen kulturell-wissenschaftlichen
Austauschs, des besten Garanten für dauerhaften Frieden.
Ein Volksgenosse auf der Heimatscholle, der über seinen
engen Horizont kaum hinauszublicken vermag, muß hingegen jede Art
unbekannter Einflußnahme als feindlich, als lebensbedrohlich
empfinden: beste Voraussetzung für Mißtrauen, möglicherweise
Haß, kriegerische Auseinandersetzungen, wie sie später im ehemaligen
Jugoslawien entstanden, als man dieses Land destabilisiert und gewissen
"völkischen" Minoritäten ein übersteigertes Selbstbewußtsein
vermittelt hatte, das ein Miteinander mit anderen Volksgruppen a priori
ausschloß.
-
"Nach langen Zeiten innerer Entfremdung [= Verlust eigener
Identität!]...besinnt sich...": dies ist eine klare Anspielung
auf die Zwanziger Jahre, auf die auch von Bernhard MARTIN (S.
65) erwähnte sog. Systemzeit, die es zu überwinden gelte;
man müsse, so Martin a.a.O., "dem Arbeiter, der an den selenlosen Maschinen
schaffen muß, einen Ausgleich verschaffen, indem man ihm Freude gibt,
(...) dem Bauern sein Selbstgefühl zurückgeben, ihn wieder
stolz machen auf das von den Vätern Ererbte in Mundart,
Tracht, Sitte und Brauch." Ohne hitleristische Einbindung
wären auch diese Passagen unverdächtig und diskussionswert.
-
"die ewigen Wurzeln seiner Kraft, die im eigenen Volkstum liegen":
modern gesprochen hieße das, daß ein gesundes
Selbstbewußtsein, das aus bewußter Identität
herrührt, durchaus positive Werte hervorbringen kann. Das Recht
auf Heimat wurde immer wieder betont, literarisiert und anderswie medial
verarbeitet. Weniger beachtet wurden mögliche Folgen, die aus einem
dauerhaften Identitätsverlust resultieren könnten.
-
"Bei der Beflügelung...": diese Aussage ist heuchlerisch,
opportunistisch und (auch aus damaliger Sicht) unnötig. Es hätte
auch einem damaligen Wissenschaftler lächerlich anmuten müssen,
daß gerade der in vieler Hinsicht bornierte Nationalsozialismus
eine "wahre Wissenschaft beflügeln" könnte. Und was ist denn
eine "wahre" Wissenschaft? Die "teutsche" Philologie, vor der Ferdinand
WREDE schon 1926 gewarnt
hatte? Die, auf der die Nürnberger Rassengesetze basieren? Die
eines KZ-Arztes mit seinen verbrecherischen Menschenversuchen? Und dann die
Schlußfolgerung: "drückt sich doch in der Sprache die Seele aus".
Ein bitterer Hohn, denkt man an das Tagebuch der Anne Frank oder an
die Aufzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt.
-
"Ausdruck des Lebens und Wesens des deutschen Volkes zur Zeit des
Führers...": auch hier unübersehbar braune Schleimspuren, die
die Widmung zur traurigen Groteske verkommen ließen und lange Zeit
dazu Anlaß gaben, das "Lautdenkmal" als Schandfleck der deutschen
Germanistik zu behandeln.
-
"Nationalsozialismus als der Kraft (...), die die deutsche Seele erweckt
hat und stets verjüngt": mit dieser Kulmination scheinheiliger
Poesie erreicht der Autor den Höhepunkt einer Lobeshymne, mit der er
sich wie einst Faust dem Teufel bedingungslos einem Dämon verschreibt,
der letztlich zur größten Zerstörung und zum größten
Massentod der Neuzeit hinführte.
Die Tragik liegt darin, daß
-
schuldlose, naive Menschen mit ihren Gefühlen und mehr oder weniger
spontanen Sprachäußerungen für politische Zwecke mißbraucht
wurden
-
Wissenschaftler sich so weit von Einsichten der Realität und
Kritikfähigkeit entfernt hatten, daß sie auf diktatorische Parolen
und intolerante Lenkungsstrategien hereinfielen
-
es dem hier so angehimmelten Diktator völlig wurscht war, wie seine
Volksgenossen auf der Heimatscholle fühlten und aus welchen Idealen
heraus die Sprach-Dokumentatoren handelten.
Der kaltherzige, egozentrische Hitler, Adressat des "Lautdenkmals", war ein
Einmannbetrieb, einzig auf Wirkung und Erfolg bedacht und auch im Scheitern
auf Maximalwirkung hin konzipiert. Was von diesen fatalen Charakterzügen
in jener rauschhaften Vorkriegszeit schon durchschien, vermögen wir
nicht zu beurteilen, doch hätten einem Wissenschaftler, besonders einem
für feinste Sprachnuancen sensibilisierten und der Objektivität
und Wahrheitsfindung verpflichteten Germanisten und Dialektologen, schon
damals gewisse Warnlampen aufleuchten müssen.
Änderungen und Ergänzungen vorbehalten. (c) Wolfgang
NÄSER, Marburg 08/2001 * Stand: 10.10.2k1