Textsorte: Leitartikel

Bündnis statt Kuhhandel

Von Ralf Neubauer

Die Teilnehmer an den Verhandlungen über ein Bündnis für Arbeit bewerten den Auftakt der Gespräche mit einiger Berechtigung positiv, und es ist vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder, der an Statur gewonnen hat. Seine Ankündigung, die Unternehmenssteuerreform bereits Anfang 2000 in Kraft treten zu lassen, war ein geschickter Schachzug ­ auch wenn längst bekannt war, daß die Regierung in diesem Punkt der Wirtschaft entgegenkommen wollte.

Fast noch wichtiger war Schröders Absage an eine gesetzliche Überstundenregelung im Anschluß an die erste Verhandlungrunde. Der Kanzler demonstrierte damit zum einen, daß er entschlossen ist, stärker als bisher seine Richtlinienkompetenz wahrzunehmen. Zum anderen zeigte er Oskar Lafontaine unmißverständlich und in aller Öffentlichkeit die Grenzen auf. Lafontaines Drohung mit einem Überstundengesetz im Vorfeld der Bündnisgespräche war ein provokanter Alleingang, auf den Schröder reagieren mußte. Denn dessen Polarisierungstrategie steht im völligen Gegensatz zu Schröders konsensorientierter Politik.

Es ist offensichtlich: So wie bei den Koalitionsverhandlungen will sich der Bundeskanzler das Heft von Lafontaine nicht noch einmal aus der Hand nehmen lassen. Doch so erfreulich dies und der Auftakt der Bündnisverhandlungen auch ist: Die Skepsis gegenüber den Konsensgesprächen bleibt. Nüchtern betrachtet ist nämlich bislang nichts geschehen, was die hohen Erwartungen, die sich an das Bündnis für Arbeit knüpfen, rechtfertigt. Daß die Steuerreform im Sinne des unternehmerischen Mittelstandes nachgebessert werden muß, weil sonst zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet wären, war allen Beteiligten klar. Hierzu hätte es nicht Beratungen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern bedurft.

Ähnlich verhält es sich mit den Überstunden. Immerhin hat die Gesprächsrunde offenbar anerkannt, daß sich Mehrarbeit nicht per Gesetz unterbinden läßt. Doch ein Bündnis für Arbeit, das diesen Namen verdient, rechtfertigt solche Erkenntnisse ebenfalls nicht.

Nein, die Bewährungsprobe steht den Konsensgesprächen noch bevor. Was können sie also im günstigsten Fall leisten?

Ein Irrtum wäre es zu glauben, das Bündnis für Arbeit könnte streng nach dem Prinzip Leistung und Gegenleistung funktionieren. Etwa nach dem Motto: Die Regierung kommt den Unternehmen bei den Steuern entgegen; dafür verpflichtet sich die Wirtschaft zur Schaffung einer bestimmen Zahl von Stellen. Oder: Die Unternehmen belohnen die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften mit klar definierten Arbeitsplatzgarantien.

Solch Kuhhandel kann nicht funktionieren und verwischt zudem die Verantwortlichkeiten. Gelingen kann das Bündnis für Arbeit nur, wenn sich alle Beteiligten zu ihrer beschäftigungspolitischen Verantwortung bekennen und entsprechend handeln. Hierzu sind jedoch politische Orientierungen nötig, die vor allem die Politik liefern muß.

Wie will die Regierung die hohe Steuer- und Abgabenlast mittel- und langfristig zurückführen? Wie will sie den Sozialstaat so reformieren, daß er bezahlbar bleibt? Welches Staatsverständnis hat sie überhaupt, und wie sehen vor diesem Hintergrund die nötigen Strukturreformen aus? Nur wenn diese Fragen geklärt sind, können Arbeitgeber und Gewerkschaften ihren Beitrag für ein Beschäftigungsbündnis definieren. Eine Illusion wäre es hingegen zu meinen, die Tarifpartner könnten der Koalition im Rahmen der Konsensgespräche die Regierungsarbeit abnehmen.

Die Regierung von Helmut Kohl ist vor allem gescheitert, weil es ihr nicht gelungen ist, ein gesellschaftspolitisches Klima zu schaffen, in dem die unabdingbaren Reformen glücken können. Die Regierung von Gerhard Schröder ist auf dem besten Wege, diesen Fehler zu wiederholen. Wie kann man die Gewerkschaften auf Reformen einschwören, die zwangsläufig auch Verzicht bedeuten, wenn man selbst keine klare wirtschafts- und ordnungspolitische Orientierung hat? Gerhard Schröder hat zum Auftakt des Bündnisses für Arbeit viel Lob selbst von Arbeitgeberseite eingeheimst. Doch die Nagelprobe steht ihm noch bevor ­ nämlich dann, wenn er Farbe bekennen und sagen muß, wohin die Reise mit der rot-grünen Koalition gehen soll.

Quelle: DIE WELT, 9.12.98