SEL-Pressekonferenz Hannover-Messe 1973, 26. April 1973

Zur freien redaktionellen Verwertung:

Referat des Vortrags von
Dr.-Ing. Gerhard Zeidler, Abteilungsdirektor, stellvertre-
tender Entwicklungsleiter im Erzeugnisbereich Fernsprech-
technik der Unternehmensgruppe Nachrichtentechnik

Münzfernsprecher NT 2000 -- das Tor zur Welt im 
Fernsprechhäuschen

An Straßen und Plätzen der Städte, in Bahnhöfen und Post-
ämtern, auf Flughäfen, selbst im Kern kleiner Orte stehen
Münzfernsprecher bereit für Kontakte zwischen Menschen in
Nah und Fern. Allerdings endet für diese Geräte die "Ferne"
noch überwiegend an den Landesgrenzen, obgleich nahezu ganz
Europa und ein großer Teil der anderen Kontinente von norma-
len Fernsprechapparaten bereits in Selbstwahl zu erreichen
sind. Das sollten auch Münzfernsprecher ermöglichen, doch
müssen die Geräte dann imstande sein, die bei Verbindungen
über große Entfernung schnell aufeinanderfolgenden Gebühren-
zählimpulse in einen entsprechenden Kassiervorgang umzu-
setzen.

Entwicklungsaufgabe

Für europaweiten Verkehr entwickelte SEL den Münzfernsprecher 
57, von dem die Deutsche Bundespost noch vor der Olympiade 
1972 eine gro8e Anzahl, u.a. in München und Kiel, installier-
te. Er kann Münzen im Takt der bei europäischen Uerbindungen 
anfallenden Gebührenimpulse kassieren. Für weltweite Verbin-
dungen, z.B. von Europa nach Asien oder Australien, ist die-
ses Gerät nicht geeignet. Die hierbei wesentlich schnellere
Impulsfolge erfordert ein anderes, dem Prinzip nach völlig
neues Münzfernsprecher-Konzept.

Die Entwicklung des "WeltMünzers" begann vor etwa drei Jahren
mit einem Wettbewerb. Danach übertrug die Deutsche Bundespost
SEL auf Grund des guten Gesamtkonzepts die Federführung für
eine Gemeinschaftsentwicklung mit Siemens. Auf dieser Basis
entsteht der "Münzfernsprecher NT 2000" (Bild 1). Obgleich
für die Deutsche Bundespost entwickelt, ist der NT 2000
universell verwendbar und deshalb auch für andere Länder ge-
eignet.

Hauptleistungsmerkmale

Das Konzept des NT 2000 läßt sich durch folgende Stichworte
beschreiben:
- Münzfernsprecher für weltweiten Selbstwählverkehr.
- Anschluß des Gerätes sowohl an herkömmliche (z.B. EMD)
  als auch an neuartige (z.B. EWS) Vermittlungsstellen wie
  ein normaler Fernsprechapparat, [...]
- Nutzung des Gerätes sowohl für öffentlichen Betrieb in
  Telefonzellen als auch für privaten Betrieb in Hotels,
  Restaurants usw. Im zweiten Einsatzfall übernimmt der
  Mieter, z.B. ein Hotelier, das Leeren der Münzkassette.
- Tastwahl für alle Betriebsfälle.
- Drei Münzsorten, z.B. 10 Pf, 1 DM und 5 DM.
- Neuartige Münzprüfung; berührungslose elektromagnetische
  Prüfung der Münzen anstelle der bisher üblichen mechani-
  schen Prüfung von Durchmesser, Dicke und Gewicht.
- Digitale vierstellige Ziffernanzeige für das jeweilige
  Guthaben anstelle des bisher in Deutschland üblichen sicht-
  baren Münzspeichers.
- Taktumsetzung der von der Vermittlungsstelle gesendeten
  Gebührenimpulse (derzeitiger Wert in Deutschland 21 Pf/Im-
  puls) in entsprechend häufigere münzgerechte Impulse, die 
  z.B. dem Wert von 10 Pf entsprechen.
- Indirekte Kassiermethode.
- Wiederwahltaste zur Nutzung des Restwertes einer höherwer-
  tigen Münze bei Gesprächsende für ein Folgegespräch.
- Moderne Technologie (MOS-Kundenschaltkreise; Leuchtdioden-
  anzeigen; modularer Aufbau des Gerätes).
- Benutzerfreundliche Gestalt des Gerätes. [...]
- Bedienungsanweisung erklärt durch Symbole für internatio-
  nalen Gebrauch.

Kassiermethode

Als wesentliche Neuerung des NT 2000 wird nachfolgend die
Kassiermethode in Kombination mit Taktumsetzung und Wieder-
wahltaste im Detail beschrieben.

Kassierprinzip

Während eines Gesprächs verringert sich das durch den Münz-
einwurf anfangs gebildete Guthaben ständig entsprechend dem
Zeit-"Verbrauch". Der Benutzer braucht dabei nicht mehr wie
bisher den Inhalt des Münzspeichers zu sehen, sondern kann
sein Verhalten in bezug auf Gesprächsdauer und rechtzeitiges
Nachwerfen von Münzen nach der laufenden Guthabenanzeige
richten. Sie verändert sich in Einheiten der kleinsten Münze,
z.B. in 10-Pf-Schritten. Dafür muß der postalische Gebühren-
takt, der in Deutschland zur Zeit Wertschritte von 21 Pf
kennzeichnet, in die 10-Pf-Abbuchimpulse umgesetzt werden.
Das geschieht mit Hilfe einer digitalen Messung des zeitli-
chen Ahstands zwischen den aufeinanderfolgenden Gebührenim-
pulsen und daraus abgeleitetem 1-Pf-Takt. Jeder zehnte
1-Pf-Impuls kann somit als Abbuchimpuls dienen.

[...] Die Sprechdauer für eine Gebühreneinheit beträgt derzeit 
in Deutschland am Tag 90 s bei der nächsten und 12 s bei der 
entferntesten Zone, aber beispielsweise nur 0,97 s bei einer 
Verbindung nach Japan oder Südafrika. Nach 2lfacher Untertei-
lung entsteht ein Grundtakt mit Abständen von etwa 4,286 bis 
0,046 s. Selbstverständlich läßt sich das Teilerverhältnis 
jederzeit beliebig festlegen und damit eventuellen Gebühren-
erhöhungen oder den Tarifen anderer Länder anpassen.

Im Gegensatz zu den bisherigen Münzfernsprechern wird nicht
zunächst eine Münze kassiert und erst anschließend die zuge-
hörige Sprechzeit zur Verfügung gestellt, sondern "indirekt"
zunächst die Sprechzeit gemäß dam eingeworfenen Guthaben be-
reitgestellt und erst nach Ablauf dieser Sprechzeit der zuge-
hörige Münzbetrag kassiert. Diese Methode ermöglicht es, bei
Gesprächsende nur die zur Deckung der aufgelaufenen Gebühren-
summe unbedingt erforderlichen Münzen zu kassieren und die
restlichen Münzen zurückzugeben. Damit wählt der Münzfern-
sprecher die für den Benutzer günstigste Münzenkombination
aus. Ein Markstück behält er beispielsweise anstelle von Zehn-
pfennigstücken nur dann ein, wenn weniger Zehnpfennigstücke
eingeworfen sind als die Summe Zehnpfenniganteile hinter dem
Komma aufweist. Will der Benutzer stets nur den durch Ge-
sprächszeit verbrauchten Betrag zahlen, dann gelingt das in
jedem Fall, wenn er neun 10-pf-, vier 1-DM- und falls not-
wendig beliebig viele 5-DM-Münzen einwirft. Der Münzspeicher
ist dementsprechend bemessen.

Wer nicht genügend kleine Münzen zur Hand hat, aber mehrere
Gespräche führen will, der kann alle anfallenden Gebühren von
der Gesamtsumme eingeworfener Münzen abbuchen lassen. Dadurch
tritt, wenn überhaupt, nur bei der Endabrechnung, d.h. nach
der Gesprächsfolge, ein Verlust ein. Für diesen Betrieb hat
der Münzfernsprecher NT 2000 die "Wiederwahltaste", die man
zur Einleitung eines folgenden Gesprächs oder zur Wahlwieder-
holung bei besetzter Leitung drücken muß, anstatt den Hand-
apparat einzuhängen.

Das indirekte Kassierverfahren und die Funktion der Wieder-
wahltaste seien an einem Zahlenbeispiel (Bild 2) erläutert.
Angenommen, ein Benutzer wirft vier 10-Pf-Stücke ein und be-
ginnt nach dem Wählen sein Gespräch. Durch die Guthabenanzei-
ge und eine aufleuchtende Zahlungsaufforderung gemahnt wirft
er noch rechtzeitig vor dem vierten Abbuchimpuls -- und der
damit verbundenen Zwangstrennung - vier 1-DM-Münzen ein. Nach
zehn Ahbuchimpulsen wäre es prinzipiell möglich, ein Markstück
zu kassieren. Da aber noch 5-DM-Münzen nachgeworfen werden
können und die Endsumme sich dann eventuell nur mit Hilfe
von vier 1-DM-Münzen korrekt bilden läßt, unterbleibt der
Kassiervorgang. Nach dem 13. Abbuchimpuls beendet der Teilneh-
mer das Gespräch durch Betätigen der Wiederwahltaste. Einge-
worfen sind 4,40 DM, verbraucht 1,30, weshalb das Leuchtfeld
noch ein Guthaben von 3,10 DN anzeigt.

Nach Wahl der zweiten Verbindung setzt sich die Gebührenzäh-
lung beginnend mit dem 14. Abbuchimpuls einfach fort. Wenn
der Teilnehmer - beispielsweise nach dem 21. Abbuchimpuls -
noch ein Markstück einwirft, dann ist das Minimum im Mark-
kanal des Münzspeichers überschritten und das Gerät kann,
weil auch schon mehr als zehn Abbuchimpulse vorliegen, die
fünfte 1-DM-Münze kassieren. Das geschieht beim nächsten,
hier also beim 22. Abbuchimpuls. Als der Teilnehmer merkt, daß
sein Gespräch länger dauert, wirft er - vielleicht zwischen
52. und 53. Abbuchimpuls - ein 5-DM-Stück ein. Obgleich be-
reits Sprechzeit im Wert von mehr als 5 DM registriert ist,
wird diese Münze erst mit dam 60. Abbuchimpuls kassiert, weil
durch das eingezogene Markstück zehn Impulse abgegolten sind.
Das zweite Gespräch möge nach dem 72. Abbuchimpuls durch Ein-
hängen des Handapparats enden. Uber die kassierten 6 DM hinaus
besteht noch ein Gebührenanspruch in Höhe von 1,20 DM, der
sich ohne Verlust aus dem 4,40 DM umfassenden Vorrat des
Münzspeichars decken läßt. Der Teilnehmer erhält also den
vollen Guthabenbetrag von 3,20 DM zurück. Wäre allerdings der
restliche Gebührenanspruch 1,50 bis 1,90 DM gewesen (z.B. bei
Gesprächsende nach dem 75. bis 79. Abbuchimpuls), dann hätte
der Münzfernsprecher zwei Markstücke kassiert und statt 2,90 
bis 2,50 DM nur 2,40 DM zurückgegeben.

Kassiertechnik

Die Münzprüfer in den drei Einwurfkanälen sind völlig neu-
artig. Sie beurteilen die eingeworfenen Münzen nicht mehr wie
bisher nach den mechanischen Werten Durchmesser, Dicke und
Gewicht, sondern reagieren auf die für jede Münzsorte typi-
sche Verstimmung eines elektromagnetischen Feldes. [...]

Die für einwandfrei befundenen Münzen gelangen nach Sorten ge-
trennt abgezählt in die Münzspeicher (Bild 3). Am Durchlauf
hindert sie ein in den Speicherkanal hineinragender Stift,
den der Kassiermagnet beiseite ziehen kann. Gibt er den Weg
frei, dann passieren die Münzen einaa Zählindikator und rol-
len je nach der Lage einer magnetisch betätigten Weiche in
die Geldrückgabe oder in die Kassette. Aus der eingeworfenen
Münzsumme, dem durch verbrauchte Sprechzeit entstandenen Ge-
bührenanspruch und den Signalen der Zählindikatoren bildet
die  Elektronik alle Steuerbefehle für die Kassier- und Wei-
chenmagnete der drei Münzspeicher.

Aufbau des Gerätes

Um die genannten Impulswandlungs-, Zähl-, Rechen-, Kassier-
und Rückgabevorgänge ausführen zu können, braucht der Münz-
fernsprecher eine Vielzahl von Logik-Schaltkreisen (Bild 4).
In Relaistechnik würden sie zwei bis drei Kubikmeter Raum,
also ungefähr eine normale Telefonzelle füllen. Es liegt nahe,
die Elektronik heranzuziehen und dabei integrierte Schaltun-
gen zu verwenden. Aber selbst in TTL-Technik wäre das Volumen
und zwangsläufig auch die Kosten unvertretbar groß. Bereits
Anfang 1971 fiel deshalb die Entscheidung zugunsten der MOS-
Technik. Welcher Wagemut dazu gehörte, eine Kombination mehre-
rer MOS-Schaltkreise in ein kommerzielles, extremen Unweltbe-
dingungen ausgesetztes Gerät einzuplanen, kann nur ermessen,
wer den Stand der MOS-Technik zu diesem frühen Zeitpunkt
kennt. Durch spezielle Auslegung der Schaltkreise, d.h. durch
Entwicklung besonderer MOS-Kundenschaltkreise für den neuen
Münzfernsprecher, gelingt es, nahezu die gesamte Elektronik
in acht kleinen MOS-Chips unterzubringen, die zusammen auf
einer einzigen Leiterplatte Platz finden.

Alle elektrischen Bauelemente sind auf steckbaren Leiterplat-
ten zusammengefaßt. Die ebenfalls leicht auswechselbaren mecha-
nischen Bauelemente fügen sich ohne jede Schraubverbindung
in sogenannte "snap-in"-Technik zusammen. Alle Münzprüfer
und -speicher haben völlig gleichen Aufbau und werden ledig-
lich der betreffenden Münzsorte angeglichen. Grundsätzlich
kann der Wartungsdienst alle Bauteile schnell und ohne Hilfs-
mittel leicht auswechseln.

Die benutzerfreundliche Form des Gerätes ist ein Ergebnis
umfangreicher Untersuchungen über den Griff- und Sichtbereich
der Benutzer für Bedienelemente und Anzeigen. Durch Studien,
basierend auf der Größenverteilung der Menschen, der Augen-
positionen, Schultergelenkhöhen und Armlängen lassen sich
Werte für die günstigste Anordnung von Leuchtanzeigen und
Wähleinrichtung sowie Grenzen für den Griffbereich ableiten.
Zweckmäßig befinden sich beim NT 2000 alle Anzeigen und Be-
dienelemente in einer Höhe zwischen 90 und 140 cm über dem
Boden, wobei die Wähltastatur 110 cm hoch liegt und um 50º
gegenüber der senkrechten geneigt ist. Da die meisten Benutzer
den Handapparat in die linke Hand nehmen und die Münzen mit
der rechten Hand einwerfen, sind die Münzschlitze in Schräg-
lage rechts und der Handapparat linksseitig zu finden.

Insgesamt bringt die konsequente Anwendung moderner Technolo-
gien und Bauweisen Vorteile für die Postverwaltungen, für die
Benutzer und letztlich auch für die Hersteller des NT 2000.

Eingelesen und bearbeitet: Dr. W. NÄSER 02/98