Textsorte: Märchen

Graf Oszillo - Ein technisches Märchen

von Christian SPREMBERG (Bearb.: Wolfgang NÄSER)

Es war einmal vor vielen, vielen Lichtjahren, als die Reiche Germanium, Indium und Gallium noch von einem Zappelphilipp regiert wurden; da lebte im fernen Lande Physikalien die schöne Prinzessin Elektro-Liese. Sie war seit ihrer Kindheit dem Grafen Oszillo von Kathodenstrahl zugetan, den sie jeden Tag mit Hochspannung erwartete. Oszillo aber hatte einen bösen Widersacher, den Grafen Tele aus dem Geschlecht der Photo-Grafen, der ein Wirbelauge auf Elektro-Liese geworfen hatte.

Eines Tages ging Graf Oszillo mit seinem treuen Knappen Wolfram Draht zur Jagd. Schwaches Nordlicht lag über dem Streufeld, und in der Ferne sang eine Löschdrossel. Ein Lötigel führte seine Nachfolgetypen aus. Aber - potz Kurzschluß und Rückkopplung - Graf Oszillo und Wolfram Draht wurden von dem bösen Grafen Tele und seinen Meßknechten verfolgt und schließlich am niederohmigen Ausgang eines Wellentales überfallen. Obwohl Wolfram Draht aus allen galvanischen Batterien feuerte, wurde er doch mit dem Wagnerschen Hammer niedergeschlagen.

Graf Tele freute sich sehr darüber, daß Oszillo ihm endlich in die Photonenfalle gegangen war. Er wurde mit einer normgerecht verlegten Brummschleife gefangen und auf die weitab gelegene Druckfortpflanzung gebracht, dorthin, wo sich die Parallelen kreuzen. Auf seine Druckfortpflanzung war Graf Tele stolz, denn dort gediehen an den Zweigen der Kabelbäume die herrlichsten Glühbirnen, waren doch diese Bäume durch ihre Quadratwurzeln optimal geerdet. Den armen Oszillo aber brachte man in das finsterste Verlies. Dort guckte er in die Röhre; Schirm- und Bremsgitter machten jeden Fluchtgedanken zunichte.

Der drahtige Wolfram jedoch hatte sich nach Hause schleppen können und ließ sich dort von seinen Leuko-Basen und Kons-Tanten gesund pflegen.

Alsbald machte er sich mit seinem Farad auf, um seinen Herrn zu suchen. Mit seinem übergroßen Transformat-Ohr horchte er nach allen Richtungen, bis er Oszillo mit konstanter Beschleunigung entgegeneilen konnte.

Unter dem hohen Geräuschpegel der Wachablösung zog sich Wolfram in die Länge, schlüpfte in das Innere der Burg, zerbiß mit seinem Sägezahn alle HF-Sperren und versorgte Oszillo mit frischen Elektronen. Anschließend rösteten sie sich Atomkerne und Cosi-Nüsse auf einer Robert-Kochplatte, zogen feste Polschuhe und Windhosen an und, als die Temperat-Uhr die Mitternachtsstunde schlug, schnürten sie ihre Strahlenbündel und projizierten sich ins Freie.  Sie öffneten die Schlösser mit einer Niels-Bohrmaschine und brachen aus dem Faradayschen Käfig aus.

Dann jagten sie in großer Schnelle über das Kilo-Watt und die Magnetfelder, löschten ihren Durst an einer Wärmepumpe und erreichten nach einigen Ampèrestunden den Wechselstrom, der sich in großen Sinuskurven durch das Digi-Tal dahinschlängelte. Dort rasteten sie erneut und badeten die arithmetischen Glieder, bis sie wieder die Gauss'sche Normalform erreicht hatten. Als die ersten UV-Strahlen durch die Elektronenwolken brachen, setzten sie mit einer Atmos-Fähre über den Wechselstrom. An der Wheatstoneschen Brücke mußten sie dem Controller die Netzkarte zeigen, ein Reak-Tor durchqueren und gelangten schließlich durch einen Entsorgungspark, in dem viele Tur-Bienen summten, in die Hauptstadt Physikaliens.

Hier konnten sie alsbald sehen, daß Graf Tele die Hochzeit mit Elektro-Liese bereits mit Lichtgeschwindigkeit vorbereitet hatte. Elektro-Liese hatte ihn zwar schon von der ersten Ampèresekunde an verabscheut, doch hatte ihre Freundin dringend zu dieser Heirat geraten, da Elektro-Liese schon 40 Lichtjahre alt war. So wurden die Stadt und das Schloß festlich geschmückt. Die vier Stadttore - Genera-Tor, Kondensa-Tor, Isola-Tor und Vek-Tor - wurden mit Glüh- und Zündkerzen beleuchtet.

Graf Oszillo und Wolfram Draht kamen ungehindert in die Stadt. Da sie die Reaktionsrichtung kannten, schlugen sie den Lösungsweg ein. Nach wenigen Aktinometern kamen sie zur Verteilungskurve, hinter der das Schloß lag. Sie versteckten sich hinter einer Volta'schen Säule, bis der Weg frei war. Dann drangen sie voller Wismut über eine Wärme-Leiter in das Schloß und hier in die Wilson-Kammer ein, an deren Fenster sie noch das Übergangsgitter entfernen mußten.

Den Grafen Tele, der die ganze Nacht hindurch in der Milli-Bar gezecht hatte, konnten sie mühelos überwältigen und dem Gleich-Richter übergeben, der ihn nach dem Coulomb'schen Gesetz zu 25 Schlägen mit dem Helm-Holz verurteilte, auf daß er infra-rot werde.

Elektro-Liese fühlte, wie ihr Mega-Herz heftig schlug, als Oszillo endlich wieder bei ihr war und ihr die Siebkette aus strahlenden Ferritperlen um den Röhrenhals legte. Nun begann eine fröhliche Hochzeit, die allen physikalischen Gesetzen Hohn sprach. Zuerst trug der Fernsprecher seine selbstverfaßte Tri-Ode vor, dann wurde dem treuen Wolfram Draht das große Koordinatenkreuz verliehen - das Fadenkreuz hatte er schon -; für das Volk wurde ein großes Laby-Rind im Widerstandsofen zubereitet und auf der Festplatte garniert. In einem riesengroßen Auspufftopf brodelte ein feines Essen aus Konkavlinsen und Tang-Enten. Auf dem Tisch lagen Belichtungsmesser und Stimmgabeln fein säuberlich bereit. Als Nachtisch gab es Re-Torten mit Lack-Mus. Die Aktiniden-Gruppe spielte im schönsten New-Ton. Bis zum Morgen erklangen nach flotten Loga-Rhythmen die Tänze der Saison: Reak-Tanz, Impe-Dance und Induk-Tanz. Am nächsten Tag berichtete die Hydraulische Presse über dieses wahrhaft märchenhafte Ereignis.

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