Dr. Wolfgang Näser: UE "Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Mediensprache" (mit neuen Texten und ggf. Besuch einer Tageszeitung)
SS 2005 * Mi 16-18, HG 207

Steuerflucht über den Wolken - Piloten hinterziehen Millionen
ZDF-Frontal 21 vom 24.5.2005 über deutsche Spitzenverdiener, die sich trickreich ihrer Steuerpflicht entziehen und den Staat um Millionen prellen.

[Anmoderation Theo Koll:] Wäre es nicht wunderbar, wenn Sie von Ihrer gesamten Arbeitszeit immer nur ein paar Minuten pro Woche versteuern müßten? So jedenfalls machen  es viele Piloten und Flugbegleiter; die versteuern im Prinzip nur die Zeit, die sie über deutschem Boden verbringen. Der Rest ist hier steuerfrei - jedenfalls, bei der zunehmenden Zahl von abgehobenem Flugpersonal, das angeblich im Ausland wohnt: beispielsweise in Dubai, denn da bezahlen Sie Null Prozent Einkommensteuer. Das Problem dabei ist nur: viele der ausländischen Adressen scheinen Schein-Adressen zu sein. In einer anonymen Anzeige wird eine angebliche Wohngemeinschaft von bis zu siebzig Piloten erwähnt; die leben dabei recht beengt, denn die Wohnung ist ein Postfach. Dem deutschen Fiskus gehen durch die Freiheit über den Wolken viele Millionen verloren. [...]

Dubai - ein Traumziel für Urlauber. Für viele Piloten der Lufthansa ist Dubai auch noch eine Steuer-Oase. Hunderte deutscher Piloten und Flugbegleiter wohnen angeblich am Golf, unerreichbar fürs Finanzamt. Ihre Spitzengehälter kassieren sie ohne Abzüge aus Deutschland.

(Reinhard Kilmer, Steuerfahnder:) "Bei Piloten scheint es sich offensichtlich herumgesprochen zu haben, daß man durch eine Scheinsitzverlegung des Wohnsitzes 'ne Menge Steuern sparen kann. Offensichtlich ist es wohl so, daß über den Wolken die Raffgier grenzenlos ist. Aus Bodennähe betrachtet muß man allerdings sagen, daß es sich hier um eine wirklich gut organisierte Steuerhinterziehung handelt, und man kann auch sagen, es ist 'ne ziemliche Sauerei, was da abläuft."

Der Trick ist einfach: Die Piloten verlegen ihren Wohnsitz zum Schein an Orte wie Dubai, Bangkok oder Nairobi. Jahrelang bleibt das unbemerkt. Doch dann bekommt die Deutsche Steuergewerkschaft einen anonymen Hinweis. Ein Mitarbeiter der Lufthansa verrät, wie seine Kollegen das Finanzamt austricksen.

(Sprecherin:) "Der Pilot nimmt sich einen Wohnsitz in einer Steueroase - gerne Arabische Emirate. So macht man aus 150.000 brutto 150.000 netto. So haben sich Wohngemeinschaften in Dubai mit bis zu siebzig Piloten gebildet. Die leben dort allerdings sehr beengt in einem Postfach."

Seither sind Steuerfahnder bundesweit im Einsatz. Die Aachener Ermittler haben jetzt einen der Piloten aufgespürt, die sich in Deutschland verstecken.

(Norbert Greß, Leiter Steuerfahndung Aachen:) "Die Gier nach Geld steht da im Vordergrund. Sie müssen sich vorstellen, daß der Fall, den wir hier aufgedeckt haben, rund 5-6.000 Euro im Monat mehr verdient hat, als er vorher verdient hatte. Da macht man schon manches."

"Sie möchten ins Ausland ziehen?" - Richtig."  ..." Und so hat er getrickst: der Pilot meldet seinen deutschen Wohnsitz ab, zieht offiziell nach Dubai - eine Formsache. In wenigen Minuten ist er so die Steuerpflicht fast vollständig los. Er verwischt alle Spuren seiner Existenz in Deutschland, meldet das Auto auf einen anderen Namen an. Sein Versteck in Deutschland ist eine Wohnung zur Untermiete, die das Finanzamt nur schwer entdecken kann. Doch die Steuerfahndung Aachen kam dem Piloten auf die Schliche.

(Norbert Greß, Leiter Steuerfahndung Aachen:) "Der hat sich auch so gut versteckt, daß er fast, aber eben nur fast, an alles gedacht hat, und der war sich eigentlich relativ sicher, daß wir ihn nicht erwischen würden, er war... hat ein sehr überraschtes Gesicht gemacht, als wir bei ihm geklingelt haben."

Dank des vorgetäuschten Wohnsitzes im Ausland mußte der Pilot nur noch seine Arbeitszeit in Deutschland versteuern, und das waren lediglich ein paar Minuten bei Start und Landung. Statt 6.000 Euro pro Monat zahlte der Pilot zuletzt nur noch 35 Euro Steuern in Deutschland - Vorbild für viele seiner Kollegen. In Internet-Foren tauschen sie sich ganz offen über den Steuertrick aus. So fragt ein Pilot: "Ich habe von einem Steuermodell von Rechtsanwalt R*** aus D*** für Piloten/Flugbegleiter gehört. Stimmt es, daß ich dadurch steuerfrei werde?" Antwort: "Mache ich jetzt schon 3 Jahre! Keine Steuer, kein Soli, optimal."

Ralf Heinrichs betreut das Internetforum, in dem diese Steuer-Tips kursieren. Er ist selbst Pilot und würde auch gern Steuern sparen.

(Ralf Heinrichs, Webmaster "cockpitjobs.de":) "Wenn das auf legalem Wege machbar ist, dann muß ich ganz ehrlich sagen, warum nicht? Es machen ja auch Großkonzerne in diesem Land, wenn das möglich ist, und jeder, ich sag mal, kleine Mann, würde es sich freuen, das so machen zu können..."

"Haben Sie sich das auch so überlegt, Sie sind ja auch Pilot?" - "Ja, ich hab mir das natürlich überlegt, ich hab auch mit dem Rechtsanwalt gesprochen und mir überlegt: kann das für mich in Frage kommen?"

Für ihn nicht. Ralf Heinrichs fliegt zu wenig ins Ausland. Doch andere profitieren. Die Mitarbeiterin einer Anwaltskanzlei schreibt im Pilotenforum: "Das Steuersparmodell meines Chefs befreit angestellte Piloten und Flugbegleiter ohne Risiko und Kapitaleinsatz innerhalb von 3 Wochen von der Einkommensteuer!" Im Lufthansa-Konzern haben wir das schon tausendfach gemacht."

Heute durchsuchte die Steuerfahndung die Anwaltskanzlei, die angeblich Piloten beim Steuersparen im großen Stil hilft. Die Mandantenkartei, so hoffen die Fahnder, wird sie auf die Spur weiterer Steuerflüchtlinge bringen.

(Reinhard Kilmer, Steuerfahnder:) "Man kann davon ausgehen, daß bei der Wohnsitzverlegung insgesamt nahezu zweitausend Piloten von dieser Regelung betroffen sind. Bei dem Einkommen der Piloten kann man davon ausgehen, daß pro Pilot ein Steuerausfall festzustellen ist, der in etwa zwischen 30- und 50tausend Euro pro Jahr liegt."

Das wären bis zu hundert Millionen Euro Steuern, die die Piloten dem Staat vorenthalten. Wir fragen die Piloten-Vereinigung Cockpit, was sie von der massenhaften Steuerflucht hält.

(Markus Kirschneck, Pilotenvereinigung Cockpit:) "Wir haben hier eine grundsätzliche Position: die Steuer ist Privatsache, und das muß jeder Pilot mit sich selbst ausmachen, wie viele Risiken er bereit ist, bei der Steuererklärung einzugehen." - "Warum gibt die Vereinigung Cockpit dann in ihrer Mitgliederzeitschrift selbst Tips zum Steuersparen: wie man also seinen Wohnsitz ins Ausland verlagern und dadurch Steuern umgeht?" - "Das macht die Vereinigung Cockpit nicht." - "Sie haben das in einer Ausgabe Ihrer Mitgliederzeitschrift gemacht." - "Nein. Ha'm wir nicht." - "Ich kann die Ihnen gern noch mal vorlegen, 2002 war das?" - "Also...könn' wir kurz abbrechen?"

Was der Verbandssprecher bestreitet, hier ist es: ein Artikel in der eigenen Mitgliederzeitschrift gibt ausführlich Tips zum Steuersparen.

(Sprecherin:) "Soll folglich das Ziel das Ziel erreicht werden, sich der unbeschränkten Steuerpflicht zu entbinden, so ist die Aufgabe des Wohnsitzes erforderlich... Postzustellung während der Zeit des Wohnsitzes im Ausland möglichst an einen neutralen Dritten (z.B. Rechtsanwalt, Steuerberater)"

Auf seinen Wunsch hin geben wir dem Pilotensprecher ein paar Tage später noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme. "Ist es für sie moralisch vertretbar, solche Hinweise zu geben, daß gutverdienende Piloten sich der Steuerpflicht in Deutschland entziehen?" - "Wir geben diese Empfehlung doch nicht an die Leute ab."- "Hinweise, sagte ich!" - "Wir erklären den Leuten, wir geben den Leuten Hinweise, wie sie ihre Steuererklärung oder was sie bei der Steuererklärung zu berücksichtigen haben, wenn sie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern, nicht mehr und nicht weniger." - "Sie helfen den Leuten damit, daß sie in Deutschland keine Steuern mehr zahlen." - "Wenn sie im Ausland ihre Steuern bezahlen, ist daran meines Erachtens auch nichts Verwerfliches."

Doch viele Piloten nehmen ihren Wohnsitz nur zum Schein im Ausland, und in Ländern wie Dubai wird überhaupt keine Einkommensteuer erhoben. Die Piloten kassieren brutto für netto, auf Kosten der Steuerzahler in Deutschland."

Transkription, Flugsimulator-Screenshot (LH-Boeing 747), Links, Hervorhebungen und HTML: Dr. W. Näser, MR, 25.5.2005 / 12:30 * nur zu didaktischen Zwecken