17. Obersächsisch

"Von einem sächsischen Dialekt kann im Grunde genommen nicht die Rede sein. Man spricht wohl von einem solchen und versteht darunter die Sprechweise des weitgereisten Partikularisten Bliemchen aus Dresden oder die Mundart, in welcher der alte "Leibz'ger" seine "Gefiehle" der Welt "verginnded"; aber nur in einem verschwindend kleinen Teile Sachsens wird dieser zum Ziele des Spottes unserer Nachbarn gewordene Dialekt gesprochen. Unser engeres Vaterland ist reich an Mundarten, die nicht bloß in nebensächlichen Punkten voneinander verschieden sind. Es wird dem Dresdner schwer, den echten Vogtländer zu verstehen, ebenso wie es dem Leipziger Mühe macht, einem richtigen Oberlausitzer zu folgen. Wir können in der Hauptsache fünf sächsische Dialekte unterscheiden, den Lausitzer, den erzgebirgischen, den vogtländischen, den meißnischen und den osterländischen (Leipziger) Dialekt. Wissenschaftlich betrachtet sind die beiden erstgenannten ostfränkisch-obersächsische Mischdialekte, die vogtländische Mundart gehört dem ostfränkischen Sprachzweige, die beiden letztgenannten dem obersächsischen an."
Oertel, G.: Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Königreichs Sachsen. Leipzig 1890
(Quelle: http://amuellner.gmxhome.de/Geschichtsprojekt/gSaxonic.htm#atSPRACHE)

Sächsisch in den Medien: hier einige Beispiele:
1. Joseph Fürst (geb. in Wien) als "Professor Metz" in der deutschen Synchronisation von "Diamantenfieber" (Diamonds Are Forever), siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Diamantenfieber
2. Thomas Gottschalk (geb. in Bamberg) in "Piratensender Powerplay" (er imitiert dort verschiedene Dialekte, auch das Sächsische). Dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Piratensender_Powerplay
3.Fred Weyrich, der Schallplattenproduzent, imitiert das Sächsische in seinem Lied "O Tante Klara", dazu:
http://www.staff.uni-marburg.de/~naeser/weyrich-tanteklara.htm

Weitere (ausgewählte) Links:

  1. Thüringisch-Obersächsische Dialektgruppe (Wikipedia)
  2. Sächsisch - die Sprache Luthers (Deutsche Welle)
  3. Kleines Sächsisch-Wörterbuch
  4. Offizielle Übersetzung Sächsisch-Deutsch
  5. Powerpoint-Bildwörterbuch
  6. Das Märchen vom Rotgaebbchen
  7. Sächsisch in "Stadtrally"
  8. Windows 98 auf Sächsisch zum Download
  9. Sächsisch als Verhütungsmittel (WELT online)
  10. Sächsisch in Focus online
  11. Sächsisch - das wahre Deutsch (Reisebuch)
  12. Die Olsenbande auf Sächsisch
  13. Nu horsch mo (http://headlost.blogspot.com/2006/11/nu-horsch-mo.html)

Ein in der Längung velarisiertes (=> digidål), im Diphthong zur Längung und breiten Öffnung (=> nu aber rààus) neigendes /a/, ein zum /ö:/ bzw. /öu/ tendierendes /o:/, gespreiztes retroversales /u:/ (wie in obersächs. Fuß), Entrundung, eine deutliche Lenisierung (=> Bardeibolledig) und die höchst seltsame sibilierende Kontraktion von /zich/ > /tzsch/ (wie in Leiptzsch 'Leipzig') sind die Hauptkennzeichen des Sächsischen, das, wie nicht wenige meinen, kein Dialekt sei, sondern eher eine Sprechweise.

Auffällig in unserer als Varietät sehr ausgeprägten obersächs. Probe sind ferner ein zum proversalen /ü/ neigendes kurzes /u/, Spirantisierung (Ziege > Ziiche) , Monophthongierung /ei/ > /ee/, die Entrundung in müssen > missn, das zum (wie ich denke, zentralen) /a/ tendierende /è/ in schlecht (s. unten), die Senkung /i/ zu /è/ (Wèrt 'Wirt'), die Hebung von /ò/ zu /u/ (kumm 'komm!') sowie die (ebenfalls hier nicht einzigartige) Sibilarisierung /s/ > /sch/ in erscht und Gepperschdorf.

Schibboleths bzw. Kennwörter des Sächs. allgemein sind: außer dem erstaunten Ausruf ei vrbibbsch! etwa der Ortsname Leiptzsch (s.o.) und das vielerorts als Quasi-Partikel eingefügte, beidsilbig gleichbetonte eegål bzw. eechål ('gleich', s. auch unten).

In der abgesehen von Ausnahmen ("Klock Acht achter'n Strom") wenig dialektfreundlichen, 40 Jahre lang auf Uniformität getrimmten DDR ("Täterää"), dem "ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden", wurde, analog dem Schweizerdeutschen, eine Art standardisiertes Sächsisch zum staatstragenden Idiom, wurde Markenzeichen des sozialistischen Lebensgefühls. Der "verehrte Genosse Walter Ulbricht" mit Ziegenbart und Fistelstimme machte es zur Lachnummer, was spätere Satiren ("Walter Satrapowicht"), Parodien (Fred Weyrich, "Ich wår der Butzer vom Gàiser"; "Prof. Dr. Metz" im Bond-Film Diamantenfieber) und andere Medien-Präsentationen nur verstärkten. Für den "freien Westen" wurde der sächselnde Zeitgenosse zum armen, mitleidswerten Vertreter der "Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs", verkörperte im DDR-Unrechtsstaat (MfS, StaSi, Mauer, Bautzen) den verhaßten Apparatschik; nach der Wende (1989/90) behaupteten sich sächsisches Lebensgefühl und sächsisches Idiom, wurden durch Wolfgang Stumph und andere in Filmen ("Go, Trabi, go") und Fernseh-Reihen ("Salto postale", "Salto kommunale") und neuerdings durch den "Màschndråhtzàun" zum Kult. Das sich nun erst recht emanzipierende Sächsisch wurde zum Kennzeichen des "Ossis" schlechthin, gleichzeitig eines Menschenschlags, der sich in allen Situationen behauptet: durch Chuzpe, Lebensklugheit und dank eines reichen Fundus an erfinderischer Begabung.

Probe 1: [DDR-9262] Frankenberg Krs. Flöha; Die Geschichte von der Wunder-Ziege (tradierter Text; DSA-Archiv; Transkr.: W. Näser 10/84 und 2/2000). Anm.: /ie/ und /st/ entsprechen der hochdt. Schreib- und Lesart.

Die Geschichte von dr Wunderzieche hab'ch in dr Chronik geläsen von Burgstädt. Die stammt etwa àus'm Chåhre Åchtsnhundertachtzch, wo's noch gèène Rååtchoo, Färnsehn un Àutos gleich går nich gåb.

Dr Gottlieb, e Strumpfwerker, såß Sonntåch frie gemietlich am Kåffeedisch mit seiner Ånnåå, da sååchte de Annå auf eemå: "Horchemå, Gottlieb, mir missn de Zieche fihrn." - "No jå", sååd'r Gottlieb, "ich håb oo schon dran gedåcht; wie håst'rn denn das gedåcht, niù?" - "D's is doch ganz eefach: du gehst nach Gäpperschdorf, züm ... züm Vätter, un .. dr hat'n scheen Bock." - "Nee", såådr, "was ihr àich Weibsen eegål denkt. Wie håst - wie soll'ch denn das måchn?" - "Nu", såådr, "du hast doch Zàit, in vier Stundn Wäägs in eene Duur." Nu jå, dr Gottlieb håt s'ch das iberleecht, un - èr dåcht vor sich, 's wär går nich so schlàcht dr Vorschlåch, du kämst ma àusn Hàus nàus, und - er hat sch[o]pår Fenge gut gemåcht bein lèdsdn Abliefern, un då kènnste undrwächst ma einkehrn.

Na jå, de Anna, die bråchte de Zieche gefihrt, und er ging loüs. Wie er nu zwee Stundn geloufn wår, då kåm er in den Gasthof, da wåren nu schon diè - sàine Fràinde, de sind immer die Sàufsäcke då, un die kåm schon ràusgestörzt und ham die Zieche bewundrt, da wård se angebundn un dann sååd se: "Kumm, Gottlieb, jetz Geh mr nài. 'ts trinkn mr erschtmå ne Runde, mir håm uns so lange nichg gesään. Na, dr Gottlieb ging mit nài, un, då wurde ne Runde gegäm - niù wår das sich sou - nu wår daß es sou ne Runde wår, also so'e so'e Ståmper, newåhr - äh - Doppeltr, wer'ma sågn, un där ging rundrum, un hat cheder mal getrunkn. Niù wår aber das dabei'ds, jeder hat auch ein andr Geschmack, dr ging - dr eene håtte  - un der gå fuffze Fenge so wås - un der eene håtte Kimmel, der andre Kersch mit Rum, un der andre öwern hawern Korn un so wààider - korz un gut, 's ging ziemlich dorchenandr. Na, die Runde ging rum, un mài Gottlieb, der hat de Zieche schon widder vrgessn.

Inzwischn haddn sàine Fràinde - das wår - inzwischn haddn sàine Fràinde die Zieche umgetàuscht, haddn se vom Wèrt 'n Bock genomm, dr oo so, un habbn de Zieche ... ràin, un håm den rångehång, de Zieche weggenömm.

Konzeption, Gestaltung und HTML: (c) Dr. W. Näser, MR 4.2.2000 (obiges Zitat: 12.7.2004)
Änderungen und Ergänzungen vorbehalten - Anregungen und Kommentare willkommen.
Stand: 3.6.2008