Wörter und Wendungen, SS 1997, Dr. Wolfgang Näser, Di 16-18 h, HS 207 Biegenstr. 14

hier: Creative writing

John ROBINSON  kommentiert am 19.06.97 Matthias Altenburgs Marburg-Text wie folgt:

Als ich zum ersten Mal diesen Bericht von Matthias Altenburg über die Stadt Marburg las, war ich vom Schreibstil total erstaunt - ich konnte kaum glauben, daß er einen solchen Text geschrieben hatte! Er schien mir fast ständig, irgendeine Menschengruppe zu beleidigen - sei sie die Japaner, die Amerikaner, die Schweizer, die Studenten oder die Kommunisten. Fast immer schien er, irgendeine Gruppe in der Gesellschaft ganz verletzend über einen Kamm zu scheren, und ich fragte mich mehrmals, ob er vielleicht jetzt weniger Freunde in Marburg hat, als früher. Als ich nach dem ersten Schock wieder zur Besinnung kam, las ich wieder den Bericht ganz langsam durch. Dieses Mal hatte ich einen ganz anderen Eindruck. Obwohl Mathias Altenburg unbestreitbar in diesem Text zahlreiche Feindseligkeit provozierende Bemerkungen über viele Menschen macht, schafft er irgendwie ein Neugierigkeitsgefühl im Kopf des Lesers. Man kann nicht ernsthaft die übertriebenen Bemerkungen glauben, die im Text stehen - doch nichts kann so schwarzweiß sein - , und deswegen hat er wahrscheinlich die Lust, dorthin zu fahren, und die Stadt Marburg selber zu erforschen. Wenn ich nicht schon in Marburg wäre, hätte ich fast sicher dasselbe getan. Um zu ergänzen, was schon von Matthias Altenburg angefangen worden ist, möchte ich meine eigenen Beobachtungen und Gefühle über diese historische Stadt aufschreiben. Als Blinder kann ich natürlich über die Schönheit oder die Häßlichkeit (was auf immer) der ganzen Stadt nicht so viel erzählen, aber ich habe trotzdem viele Eindrücke davon, die ich jetzt mitteile.

Marburg ist eine kleine überschaubare Stadt, die um die alte Philipps-Universität gebaut ist. Die Lahn fließt dadurch, und daran kann ich mich doch daran erinnern, weil ich eines Tages fast hineinfiel! Die große Studentenbevölkerung (ungefähr 20,000) vermittelt den Einwohnern der Stadt Geld und Arbeit. Ich schätze, daß einer aus fünf Menschen ein Student ist, und ich weiß mit Sicherheit, daß ich einige meiner besten Freunde kennenlernte, als ich mich ganz verkehrt in irgendeiner Region der Stadt herumtrieb, und versuchte, mich wiederzuorientieren. Meine nächste Beobachtung hört sich vielleicht ganz erstaunlich an, wenn man Marburgs guten Ruf als eine für die Blinden adaptierte Stadt in Betracht zieht, aber es ist ja die reine Wahrheit, daß nicht alle Menschen wissen, was sie am besten machen sollen, wenn sie einen Blinden auf der Straße sehen, der offensichtlich Schwierigkeiten hat - einige Hilfsversuche scheinen mir ganz lächerlich - aber im großen und ganzen sind die meisten Menschen in Marburg wirklich freundlich. Die Stadt Marburg ist offensichtlich für die Studenten gebaut. Überall gibt es Studentenwohnheime, Universitätsgebäude, oder private Häuser, worin Studenten Zimmer gemietet haben. Es gibt auch eine Menge Kneipen, Clubs und Cafés - besonders in der Oberstadt, wo wir viele angenehme Stunden verbringen. Den Vorteil gibt es auch, daß alle Studenten kostenlos innerhalb der Stadt fahren können - besonders nützlich für die Blinden, solange wir unseren Studentenausweis dabei haben!

Wenn man in Marburg wohnt, existiert die Gefahr überhaupt nicht, daß man sich nicht fit halten wird. Die ganze Stadt ist auf einem steilen Hügel gebaut, und wie auf immer man herumfährt, ist man immer ganz müde, wenn man am Ziel ankommt. Die Oberstadt scheint mir der schlimmste Stadtteil, und obwohl es einen Aufzug gibt, mit dem man ihn erreichen kann, ist man trotzdem fix und fertig, wenn man schließlich zum Schloß an der Hügelspitze geschwankt ist!

Wie von Mathias Altenburg erwähnt, hat Marburg natürlich eine Menge Besucher aus dem Ausland. Sie kommen, um die historischen Sehenswürdigkeiten der alten Stadt zu sehen und normalerweise zu photographieren - das Schloß, die verschiedenen Museen und andere berühmten Gebäude - vielleicht insbesondere die E-Kirche.

Marburg ist wahrscheinlich eine der kleinsten Universitätsstädte Deutschlands, aber, das sei gesagt, sie schläft bestimmt wenig! Sie ist heute weltweit bekannt und war wegen Ereignissen wie der Reformation historisch sehr einflußreich. Es ist normalerweise immer irgendwo etwas los. Wenn man die Straße entlang geht, weiß man nie, was für Menschen man treffen könnte. Ich bin jetzt seit ungefähr 9 Monaten in dieser Stadt, aber ich erfahre jeden Tag etwas Neues. Wenn ich mich verlaufe, zum Beispiel, mache ich manchmal die komischsten Erfahrungen und treffe die interessantesten Menschen. Es wird mir äußerst leid tun, wenn ich diese schöne Stadt am Ende dieses Semesters verlasse - ich werde so viel vermissen!

[WN 070797]