Aus: "Der stille Protest“, Leibniz-Verlag St. Goar ISBN-Nr. 3-931155-10-2

Gabriele Ruta:

Die Geschichte vom nichtsnutzigen Minister

oder: Was das Links-Fahren mit dem Recht-Schreiben zu tun hat

Es war einmal ein Verkehrsminister, der das Gefühl hatte, zu nichts nutze zu sein (was ja auch stimmte). Er dachte lange darüber nach, wie er sich denn ein Denkmal setzen könnte, damit man ihn nicht länger ignorierte. Da hatte er eine Idee. Die Leute sollten in Zukunft links statt rechts fahren! Doch wer im Lande konnte ihn beraten?

Da kamen ihm die Experten der Autoindustrie zu Hilfe, deren Umsatz nicht so recht vorankommen wollte. Wenn die Leute links fahren sollten, mußten Autos mit Rechtssteuer gebaut werden! Flugs bildeten sie eine Kommission, und zusammen mit den Verkehrsschilder-Experten beriet man, wie man denn den Leuten, die bisher immer rechts gefahren waren, diese Idee verkaufen wollte. Am besten sagte man ihnen, nun werde das Fahren leichter. Zunächst einmal drang nichts von diesem genialen Schachzug nach draußen.

Vage erfuhr das Volk, daß man eine Verkehrsregel-Reform plane, die in noch weiter Zukunft liege, während die Kommission hinter verschlossenen Türen jahrelang beriet, weil sie sich selbst nicht ganz einig war. Der eine wollte nicht nur den Linksverkehr, sondern auch alle Ampeln abschaffen. Der andere wollte die Ampeln behalten, dafür aber keine Stoppschilder mehr. Der dritte wollte statt roter Ampeln blaue. Bis man sich endlich einig war, hatte das Volk schon längst die Verkehrsregel-Reform vergessen. Es hatte eh nie recht an diesen Unsinn glauben wollen.

Eines Tages aber war es endlich so weit. Der Verkehrsminister präsentierte seinem Volk stolz das "Jahrhundertwerk“ seiner Verkehrsregel-Reform, wie die Kommission sie ihm unterbreitet hatte, und erklärte, in zwei Jahren werde mit der Umstellung von Rechts- auf Linksverkehr begonnen. Fahranfänger dürften aber den Linksverkehr schon üben, sie mußten es sogar, und zwar ab sofort. Die ersten Autos mit Rechtssteuer kamen auf den Markt und wurden vom Volk argwöhnisch begutachtet. Auch die neuen Verkehrsschilder wollten ihm so gar nicht gefallen. "Wir wollen die Verkehrsregel-Reform nicht!“ empörte sich die überwältigende Mehrheit. "Was wollt ihr denn? Habt ihr einen besseren Vorschlag?“ rief verzweifelt und verärgert der Minister. "Wir wollen wieder rechts fahren, wie bisher!“ "Aber die Verkehrsregel-Reform ist doch so schön! Da haben wir uns jahrelang bemüht, die besten Experten haben beraten, nur, um euch das Fahren leichter zu machen, und ihr wißt das alles nicht zu würdigen!“

Der Minister schüttelte sein bemitleidenswertes Haupt. "Und außerdem: Die neuen Autos sind doch schon gebaut! Die Verkehrsschilder stehen auch schon! Die Fahranfänger üben doch schon! Das können wir doch nicht alles wieder rückgängig machen!“ Er schielte zu den Autoindustrie-Experten hinüber. Konnten sie ihn vielleicht falsch beraten haben? "Und wieviel wir bisher investiert haben!“ jammerten auch die Autobauer und die Verkehrsschilder-Drucker. "Der Minister soll ein Machtwort sprechen! Sonst wollen wir unser Geld zurück! Schließlich hat er die Verkehrsregel-Reform verordnet.“

In der Zwischenzeit aber war das Volk sehr unruhig geworden. Der neue Linksverkehr brachte viel mehr Unfälle, als es zuvor auf den Straßen gegeben hatte. Die Fahranfänger konnten mit den alten Linkssteuer-Autos nichts mehr anfangen, so daß die Eltern ihnen neue Autos kaufen mußten und die alten verschrottet wurden. Die Autoindustrie- und Verkehrsschilder-Experten jubelten zunächst, doch mußten sie wegen der wachsenden Kritik aus der Bevölkerung zugeben, daß ihre Verkehrsregel-Reform stark überholungsbedürftig war. Deshalb wurden einige Autos mit dem Steuer in der Mitte gebaut, und der Fahrer durfte sich aussuchen, ob er nun rechts oder links fahren wollte... So kam es, daß es herkömmliche Autos gab, neue Autos mit Links- oder Mittelsteuer, anderen fehlten die Blinker, weil die Autobauer die Experten falsch verstanden hatten, wieder anderen die Hupe, und so fort.

Das Durcheinander war perfekt. Und jeder gab dem anderen die Schuld. Die Autoindustrie-Experten hätten keine brauchbaren Richtlinien gemacht, sagten die Auto-Bauer. Die Auto-Bauer hätten es zu eilig gehabt, Autos zu bauen, sagten die anderen, auch der Minister. Schließlich wurde es einzelnen Bürgern zu bunt und diese geradezu aufmüpfig. Sie riefen das gesamte Verkehrs-Volk zum Widerstand auf. Der Minister suchte händeringend nach einem Ausweg. Wenn sich das man nicht zu einem Aufstand auswachsen würde! Schnell mußte man das Volk beruhigen. Wieder bemühte er die Verkehrsregel-Reform-Kommission. "Das Volk ist unruhig,“ sagte er. "Wie wollt ihr es zum Schweigen bringen?“ "Wir verfahren nach dem Dreistufenplan der Volksverdummung,“ erklärte ihm ein in diesen Dingen versierter Experte. "A: Wir behaupten, das Volk sei nicht ausreichend informiert. B: Wir streuen unsere Informationen unter das Volk. C: Wir behaupten, die Argumente der Gegenseite seien falsch.“ "Genial!“ sagte der Minister und ließ sich von der blonden Sekretärin der Autoindustrie-Experten noch ein Glas Champagner nachschenken.

Man hatte ihn zuvor davon überzeugt, daß es wohl seiner Karriere nicht zuträglich sein würde, es mit der Autoindustrie zu verderben. In der Folgezeit entstand die größte Desinformationskampagne der Republik. Mit abenteuerlichen Begründungen wurden von seiten des Ministers Beweise dafür gesucht, daß das Linksfahren im Gegensatz zum Rechtsverkehr den Erwerb des Führerscheins erleichtere, und daß, weil man die Verkehrsschilder sowieso laufend neu drucken mußte, auch keine Kosten entstünden, und daß die Leute selber schuld seien, weil sie nämlich nicht schon viel früher auf die Barrikaden gegangen sind, denn sie hätten sich schon vor langer Zeit genau darüber informieren können, daß sie in zehn Jahren (oder so) alle links fahren sollten, und zwar mit Ampeln in Blau und ohne Stoppschilder. Wie bitte? Ampeln in Blau?

Ein erbitterter Streit brach aus, die Verwirrung war groß. Das Volk wollte seinen gewohnten Rechtsverkehr mit all den herkömmlichen Verkehrsregeln zurück, doch wie? Der Minister wollte sein Denkmal, doch wie? Eine breite Volksmasse erklärte kurzerhand, sie wolle den Linksverkehr nie und nimmer anwenden. Da sagte der Minister geistesgegenwärtig: "Wieso denn auch? Nur die Fahranfänger müssen links fahren! Alle anderen können es halten wie bisher.“ Und er war ganz stolz auf seinen eigenen und ihm von niemandem eingeflüsterten Einfall. Dann schickte er seine Ministerialräte aus, die neue Botschaft zu verkünden, und viele der vom Verkehrsminister berufenen Fahrlehrer fielen auf diesen Trick und alle anderen Lügen herein und unterwiesen die Fahranfänger (besten Gewissens?) im Linksverkehr.

Das Volk aber ließ sich nicht beirren. Mit gesundem Menschenverstand suchte es nach Möglichkeiten für alle, weiter rechts fahren zu dürfen. Es appellierte an die Minister. Es sammelte Unterschriften. Es fuhr einfach weiter rechts. Es hatte schnell erkannt, daß die neuen Autos nicht zum Straßenverkehr taugten. Dennoch: Alle Fahranfänger mußten weiter links fahren! Der Minister dachte nämlich: Mein schönes Denkmal! Die Verkehrsschilder-Drucker dachten: Unser schöner Aufschwung! Die Autoindustrie-Experten dachten: Unsere schöne Kommissions-Arbeit! Schließlich wurden unabhängige Richter im ganzen Lande darum bemüht, eine Lösung zu finden. Und jeder Richter fand eine andere.

Manch einer mag sich gefragt haben, ob es wohl gut sei, dem mächtigen Minister zu widersprechen. Andere sagten, daß der Minister den Linksverkehr gar nicht verordnen durfte. Und so kam es, daß auch gerichtlich das Verkehrsregelreform-Problem nicht gelöst wurde. Am Ende zeigte sich folgendes Bild: Der Verkehrsminister verfluchte seine Verkehrsregel-Reform. Er würde deswegen wohl nie wieder zum Verkehrsminister gewählt werden. Die Autoindustrie-Experten berieten bis in alle Ewigkeiten, ob die Ampeln nicht doch vielleicht lila blinken sollten, während die Fahranfänger alle Jahre wieder neue Verkehrsregel lernen mußten, was über einen langen Zeitraum zu vermehrten Unfällen führte. Die Autobauer prozessierten jahrelang mit Wem-auch-immer, um das hinausgeworfene Geld zurückzubekommen. Das restliche ungehorsame Volk weigerte sich, links zu fahren, kaufte auch die Rechtssteuer-Autos nicht und verharrte in passivem Widerstand. Einige wenige unermüdlich demokratiegläubige Bürger trieben mühsam Volksbegehren voran, die vielleicht der einzige Weg waren, Chaos und Murks zu verhindern. Und wenn sie nicht gestorben sind, so streiten sie noch heute. 

(Sie glauben vielleicht, so etwas gäbe es in diesen unseren Landen und zu der heutigen Zeit nicht? Wir aber können Ihnen da eine ganz ähnliche Geschichte erzählen...)

[Quelle: www.c-net.de/rreform/geschi.htm; Re-Editing: W. Näser 30.6.98]