Textsorte: Traktat

Aus: Ein  Sendbrieff / von Dolmetschen / vnd Fürbitte der Heiligen.
D. Mart. Luther. Wittenberg. M.D.XXX. (Hg. von K. Bischoff, Halle/Saale 1951) *)

Gnad vnd friede inn Christo / Erbar / Fuersichtiger lieber herr vnd freund / ich hab ewer schrifft empfangen mit den zwo Questen odder fragen / darin ihr meines berichts begert. Erstlich / Waruemb ich zun Roemern am dritten Capitel die wort S. Pauli / Arbitramur hominem iustificari ex fide absqz operibus legis / also verdeutscht habe. Wir halten / das der mensch gerecht werde on des gesetzs werck / allein durch den glauben / Vnd zeigt darneben an / wie die Papisten sich vber die massen vnnuetz machen / weil im Text Pauli nicht stehet das wort / Sola (allein) Vnd sey solcher zusatz von mir nicht zu leiden / inn Gottes worten etc. Zum andern / Ob auch die verstorben Heiligen fur vns bitten / weil wir lesen / das ia die Engel fur vns bitten etc. Auff die erste frage / wo es euch geluestet / muegt ihr ewern Papisten von meinet wegen entworten / also. Zum ersten / Wenn ich D. Luther / mich hette muegen des versehen / das die Papisten / alle auff einen hauffen / so geschickt weren / das sie ein Capitel inn der schrifft kuendten recht vnd wol verdeudschen / So wolt ich furwar mich der demut haben finden lassen / vnd sie vmb huelff vnd beystand gebeten / das Newe Testament zuuerdeudschen / Aber dieweil ich gewust / vnd noch fur augen sehe / das ihr keiner recht weis / wie man dolmetschen odder deudsch reden sol / hab ich sie vnd mich solcher muehe vberhaben. Das merckt man aber wol / das sie aus meinen dolmetschen vnd deudsch / lernen deudsch reden vnd schreiben / vnd stelen mir also meine sprache / dauon sie zuuor wenig gewust / dancken mir aber nicht dafur / Sondern brauchen sie viel lieber wider mich / Aber ich guenne es ihn wol / denn es thut mir doch sanfft / das ich auch meine vndanckbare iuenger / dazu meine feinde / reden gelert habe.

[...] Euch aber vnd den vnsern wil ich anzeigen /waruemb ich das wort (Sola) hab woellen brauchen / Wiewol Roma. iij. nicht Sola / sondern solum odder tantum von mir gebraucht ist / Also fein sehen die Esel meinen Text an. Aber doch hab ichs sonst anderswo / sola fide gebraucht / vnd wil auch beide Solum vnd Sola haben. Ich hab mich des gevlissen in dolmetschen / das ich rein vnd klar deudsch geben moechte. Vnd ist vns wol offt begegnet / das wir xiiij tage / drey / vier wochen / haben ein einziges wort gesucht vnd gefragt / habens dennoch zu weilen nicht funden. Im Hiob erbeiten wir also / M. Philips / Aurogallus vnd ich / das wir inn vier tagen zu weilen kaum drey zeilen kundten fertigen. Lieber / nu es verdeudscht vnd bereit ist / kans ein jeder lesen vnd meistern / Leufft einer itzt mit den augen durch drey odder vier bletter / vnd stoesst nicht ein mal an / wird aber nicht gewar / welche wacken vnd kloetze da gelegen sind / da er itzt vber hin gehet / wie vber ein gehoffelt bret / da wir haben muest schwitzen vnd vns engsten / ehe denn wir solche wacken vnd kloetze aus dem wege reumeten / auff das man kuendte so fein daher gehen. Es ist gut pfluegen / wenn der acker gereingt ist. Aber den wald vnd die stoecke ausrotten / vnd den acker zurichten / da wil niemand an. Es ist bey der welt kein danck zu verdienen / kan doch Gott selbs mit der sonnen / ja mit himel vnd erden / noch mit seines eigen sons tod / keinen danck verdienen / sie sey vnd bleibe welt des Teuffels namen / weil sie ja nicht anders wil.

Also habe ich die Roma. iij. fast wol gewust / das im Lateinischen vnd Griechischen Text / das wort (Solum) nicht stehet / vnd hetten mich solchs die Papisten nicht duerffen leren. War ists / Diese vier buchstaben S_o_l_a stehen nicht drinnen / welche buchstaben die Eselskoepff ansehen / wie die kue ein new thor / Sehen aber nicht / das gleichwol die meinung des Texts inn sich hat / vnd wo mans wil klar vnd gewaltiglich verdeudschen / so gehoeret es hinein / den ich habe Deudsch / nicht Lateinisch noch Griechisch reden wollen / da ich deudsch zu reden im dolmetschen furgenommen hatte. Das ist aber die art vnser Deudschen sprache / wen sich ein rede begibt / von zweien dingen / der man eins bekennet / vnd das ander verneinet / so braucht man des worts solum (allein) neben dem wort (nicht odder kein) Als wenn man sagt / Der Bawr bringt allein korn vnd kein gelt / Item / ich hab warlich itzt nicht golt / sondern allein korn / Ich hab allein gessen vnd noch nicht getrunken / Hastu allein geschrieben vnd nicht vberlesen? Vnd der gleichen vnzeliche weise inn teglichem brauch.

[...] denn man mus nicht die buchstaben inn der Lateinischen sprachen fragen / wie man sol Deudsch reden / wie diese Esel thun / Sondern man mus die mutter ihm hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen man auff dem marckt druemb fragen / vnd den selbigen auff das maul sehen / wie sie reden / vnd darnach dolmetschen / so verstehen sie es denn / vnd mercken / das man Deudsch mit ihn redet.

Also / wenn der verrheter Judas sagt / Matthei xxvj. Vt quid perditio hec? vnd Marci xiiij. Vt quid perditio ista vngenti facta est? Folge ich den Eseln vnd buchstabilisten / so mus ichs also verdeudschen / Waruemb ist diese verlierung der salben geschehen? Was ist aber das fur deudsch? Welcher deudscher redet also / Verlierung der salben ist geschehen? Vnd wenn ers wol verstehet / so denckt er / die salbe sey verloren / vnd muesse sie etwa widder suchen / Wiewol das auch noch tunckel vnd vngewis lautet. Wenn nu das gut deudsch ist / waruemb tretten sie nicht erfur / vnd machen vns ein solch fein huebsch / New deudsch Testament / vnd lassen des Luthers Testament ligen? Ich meine ia sie solten ihre kunst an den tag bringen / Aber der deudsche man redet also / Vt quid etc. Was sol doch solcher vnrat? odder was sol doch solcher schade? Item / Es ist schade vmd die salbe / Das ist gut deudsch / daraus man verstehet / das Magdalene mit der verschuetten salben sey vnrethlich vmbgangen / vnd habe schaden gethan / das war Judas meinung / denn er gedacht bessern rat damit zu schaffen.

Item / da der Engel Mariam gruesset vnd spricht / Gegruesset seistu Maria vol gnaden / der Herr mit dir. Wolan. so ists bisher schlecht den Lateinischen buchstaben nach verdeudschet / Sage mir aber / ob solchs auch gut deudsch sey? Wo redet der deudsch man also / du bist vol gnaden? Vnd welcher Deudscher verstehet / was gesagt sey / vol gnaden? Er mus dencken an ein fas vol bier / odder beutel vol geldes / Darvemb hab ichs verdeudscht / du holdselige / damit doch ein Deudscher / deste mehr hin zu kan dencken / was der Engel meinet mit seinem grus. [...]

Aber was frage ich darnach? sie [die Papisten] toben odder rasen / Ich wil nicht wehren / das sie verdeudschen was sie woellen / Ich wil aber auch verdeudschen / nicht wie sie woellen / sondern wie ich wil / Wer es nicht haben wil / der las mirs stehen / vnd halt seine meisterschaft bey sich / denn ich wil ihr widder sehen noch hoeren / sie duerffen fur mein dolmetschen nicht antwort geben / noch rechenschaft thun / Das hoerestu wol / Ich wil sagen / Du holdselige Maria / du liebe Maria / vnd lasse sie sagen / Du volgnaden Maria / Wer Deudsch kan / der weis wol / welch ein hertzlich fein wort das ist / Die liebe Maria / der liebe Gott / der liebe Keyser / der liebe Fuerst / der liebe man / das liebe kind. Vnd ich weis nicht / ob man das wort liebe / auch so hertzlich vnd gnugsam inn Lateinischer odder andern sprachen reden muege / das also dringe vnd klinge ins hertz / durch alle sinne wie es thut inn vnser sprache.

Das sey vom dolmetschen vnd art der sprachen gesagt / Aber nu hab ich nicht allein der sprachen art vertrawet vnd gefolget / das ich zum Roemern am dritten / Solum (allein) habe hinzu gesetzt / Sondern der Text vnd die meinung S. Pauli foddern vnd erzwingens mit gewalt / Denn er handelt ia daselbs das heubstueck Christlicher lere / Nemlich / das wir durch den glauben an Christum / on alle werck des gesetzs gercht werden / vnd schneidt alle werck so rein abe / das er auch spricht / des gesetzes (das doch Gottes gesetz vnd wort ist) werck nicht helffen zur gerechtigkeit / Vnd setzt zum Exempel Abraham / das der selbige sey so gar on werck gerecht worden / das auch das hoehest werck / das dazumal new gepoten ward von Gott / fur vnd vber allen andern gesetzen vnd wercken / Nemlich / die beschneittung / ihm nicht geholffen habe zur gerechtigkeit / Sondern sey on die beschneittung / vnd on alle werck gerecht worden / durch den glauben / wie er spricht / Cap. iiij.  Ist Abraham durch die werck gerecht worden / So mag er sich rhuemen / Aber nicht fur Gott / Wo man aber alle werck so rein abschneit / da mus ia die meinung sein / das allein der glaube gerecht mache [...]
Martinus Luther
ewr guter freund.
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*) Diesen in Aussage und Stil noch (oder gerade?) heute faszinierenden Text behandelte ich in meinem Proseminar "Einführung in die historische Linguistik", WS 1974/75; HTML-Transkript: 27.7.99
(c) Dr. W. NÄSER, Marburg