Wolfgang NÄSER: Die Sachbeschreibung in den mittelhochdeutschen "Spielmannsepen". Untersuchungen zu ihrer Technik. [Diss.] Marburg: Elwert 1972 (=Marburger Beiträge zur Germanistik 42). XVI, 554 S.
Quellentexte sind die im Sinne der damaligen (1972) Forschungslage hypothetisch zur Gattung Spielmannsepos gehörigen Werke König Rother, Herzog Ernst, Orendel, Salman und Morolf sowie die beiden Oswald-Dichtungen. Die Diss. beleuchtet das Phänomen Beschreibung von möglichst vielen Blickwinkeln aus und beschränkt sich auf die Beschreibung von Sachen, die im Rahmen der literarischen Tradition eine wichtige Rolle spielt. Literarhistorische Zusammenhänge treten zurück zugunsten der beschreibenden Technik; es wird untersucht, welche Mittel oder Bausteine die Autoren verwandten zur Gestaltung ihrer beschreibenden Aussagen. Es geht also um tektonische Elemente, beschreibende (Mikro- und Makro-)Strukturen. Als lexikalische Mikro-Bausteine fungieren Adjektiv und Verb, in stilistisch-rhetorischer Hinsicht sind es Bauformen wie Syndesis, Asyndesis, Alliteration, Anapher usw.; als Makro-Strukturen fungieren das komplexe (=syntagmatische) Attribut, der ganze Satz, auch rhetorische Figuren wie (die komplexe) Metapher oder die Ironie, bes. jedoch epische Bauprinzipien wie Detail-Entfaltung und Parallel-Darstellung, hier besonders die kettenförmige Reihung beschreibender Vorgänge. Die Analyse der Sachbeschreibung (SB) erweitert die Vergleichsmöglichkeiten innerhalb der mhd. Literatur und der hist. Grammatik und liefert zugleich Ansätze für komplexe Analysen andersgearteter Vorlagen, so z.B. nicht nur beliebiger Texte aus der übrigen mittelhochdeutschen Literatur, sondern auch neuzeitlicher Fach- und Literaturtexte oder Proben moderner Umgangssprache. Selbstverständlich ist eine solche Analyse computergestützt durchführbar [dies wurde im Einleitungstext der 1972 entstandenen Diss. erwähnt, ist jedoch heute eine Selbstverständlichkeit, bietet doch der PC anhand von Datenbankprogrammen und ausgefeilten Such-Routinen vielfältige Möglichkeiten, auch und gerade mhd. Texte auf alle denkbar relevanten Phänomene hin 'abzuklopfen'].
Vom Kleinen zum Großen fortschreitend, widmet sich die Diss. zunächst dem beschriebenen Sach-Lexem und dem beschreibenden Einzel-Wort, bis nach dem Durchschreiten der syntaktisch-stilistischen und inhaltlichen Ebene die SB in den Gesamtkontext eingeordnet und auf ihren Stellenwert hin beurteilt wird. Ein Vergleich der sechs Quellentexte zeigt epenindividuelle Schwerpunkte. Nach dem Wie der Beschreibung fragend, ermittelt und klassifiziert die Analyse vielfältige strukturelle Varianten (lexikalische Bauformen der Beschreibung), die auch tabellarisch-statistisch dokumentiert und relativiert werden. Der sich ausweitende Blickwinkel richtet sich die beschreibende Syntax und zeigt auch hier bestimmte Techniken (Reihung, Umrahmung, Retardation); ferner erkennen wir in der 'reduzierten Rhetorik' (L.E. SCHMITT) dieser Werke Alliteration, Anaphorik, Paarbildung, Variation und Hyperbel als wichtige Beschreibungs-Instrumente. Im Rahmen der inhaltlichen Aspekte zeigt sich die sog. indirekte SB als gestalterische Sonderform; im Laufe der Analyse sind wir zum epischen Beschreibungs-Vorgang gelangt und entdecken hier Techniken wie Detail-Wiederholung, -nachtrag, Paralleldarstellung und Detailentfaltung. Als 'Großformen' zeigen sich die sog. Ketten-Technik und die (beschreibende) Block-Bildung.
Neben vielen detaillierten Tabellen und zugehörigkeitsbezogenen Wortlisten enthält der mehrfach unterteilte Anhang zwei umfangreiche Listen bzw. Materialsammlungen: zum einen das (195-seitige) Verzeichnis der beschriebenen Sachbegriffe und der ihnen zugeordneten Belegstellen, zum anderen das (66-seitige) Belegstellen-Verzeichnis zu den sachbeschreibenden Adjektiven. Auch den adverbiellen Adjektiv-Modifikatoren ist eine 16-seitige, nach Einwort- und syntagmatischen M. gegliederte Liste gewidmet. Einmal in PC-Dateien umgeschrieben, ließen sich diese Tabellen und Listen beliebig erweitern durch aus anderen mittel- oder neuhochdeutschen Quellenwerken gewonnenes Material. Unter Einbezug analytisch gewonnener psycholinguistischer Erkenntnisse könnte ein Gesamtvergleich letztlich dazu dienen, eine (ursprünglich als weiterführende Arbeit geplante) (Gesamt-)Typologie der literarischen Beschreibung zu erstellen.
(c) W. Näser 22.7.1996