Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der deutschen
Zeitungssprache * SS 2000
Di 16-18, Hörsaal 207, Auditoriengebäude
Biegenstraße 14 (2. Stock)
Der Datensatz kann neue Erkenntnisse zu bisher nicht entdeckten Inoffiziellen Mitarbeitern ermöglichen
Der US-Geheimdienst CIA hat am vergangenen Wochenende den ersten Teil der Stasi-Agentenkartei ins Bundeskanzleramt gebracht, die er nach dem Mauerfall unter dem Decknamen "Rosenholz“ aus der DDR geschmuggelt hatte. Um die Kartei hatte es ein jahrelanges Gerangel zwischen deutschen und amerikanischen Stellen gegeben. Nach einem Bericht der ARD handelt sich um eine erste Lieferung mit 2000 Datensätzen auf einer CD-Rom. Eine Bestätigung im Bundeskanzleramt war zunächst nicht zu erhalten.
Der US-Geheimdienst CIA wollte den Bericht nicht kommentieren. Der ersten
Lieferung sollen weitere rund 1000 CD-Roms in den nächsten zwei Jahren
folgen. Darauf seien rund eine halbe Million Stasi-Vorgänge der
Hauptabteilung Aufklärung (HVA) gespeichert, darunter 320.000 Namen.
Neben West-Spionen der HVA seien darunter auch zahlreiche Namen von
DDR-Bürgern, die die Stasi bei ihrer Arbeit in der alten Bundesrepublik
unterstützt haben.
Die CIA habe nicht den vollen Datensatz geliefert, sondern nur eine gefilterte
Version, berichtete die ARD. Nach Ansicht von Sicherheitsexperten enthielten
diese Stasi-Unterlagen keine dramatischen neuen Erkenntnisse. Sie würden
aber das Bild über die Agentennetze der Stasi in der alten Bundesrepublik
abrunden. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck,
bekräftige in der ARD seinen Anspruch auf die Akten: "Wir sind der Ansicht,
dass diese Unterlagen zu dem Bestand gehören, den das Stasi-Unterlagengesetz
beschrieben hat. Wenn wir dieser Ansicht sind, können wir nichts anderes
fordern, als dass diese Unterlagen zu uns kommen.“ Das Bundeskanzleramt habe
entschieden, dass diesem Anspruch stattgegeben werden solle, hieß es
in der ARD. Gleichzeitig solle aber auch das Bundesamt für Verfassungsschutz
Einblick in die Stasi-Agentenkartei bekommen.
Das Material hatte die CIA während des Umbruchs in der DDR oder kurz
danach auf dubiosem Wege bekommen. Den größten Wert hat die
Datensammlung nach früheren Einschätzungen von Gauck für die
wissenschaftliche Forschung. Allerdings könnten noch Erkenntnisse zu
manchen Ostdeutschen hinzukommen, die als Agenten der Auslandsaufklärung
im Gegensatz zu Inoffiziellen Mitarbeitern des Inlandsbereichs noch nicht
aufgefallen seien.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 5.4.2000
Innenausschuss-Mitglieder äußern entgegengesetzte Ansichten -
Scharfe Kritik und Lob für die Gauck-Behörde
Von Ulrich Clauss
Berlin - Unter den Unionsmitgliedern im Innenausschuss des Bundestags herrscht offenbar keine einheitliche Auffassung über die Verwendung von Stasi-Protokollen zur Aufklärung der Spendenaffäre. Auf Initiative des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, wird heute der Innenausschuss das Thema debattieren. Kohls Anwälte prüfen derzeit eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Verwendung der Stasi-Protokolle. Auch die näheren Umstände der Vernichtung von Stasi-Akten im Jahr 1990 sollen dabei beleuchtet werden. Im parteiübergreifenden Einvernehmen hatte damals das Kabinett Kohl die Vernichtung von Stasi-Abhörprotokollen beschlossen, die von einer Illustrierten zum Teil veröffentlicht worden waren. Allerdings reklamierten gestern die Grünen, damals nicht unterrichtet worden zu sein, und forderten nachträgliche Aufklärung.
Das hessische Innenausschussmitglied Martin Hohmann (CDU) kann sich eine Heranziehung von Stasi-Protokollen zur Wahrheitsfindung in der Spendenaffäre "sehr gut" vorstellen. "Prinzipiell hat der Ausschuss das Recht, die Unterlagen einzusehen, und ich wüsste nicht, warum er darauf verzichten sollte, solange die Persönlichkeitsrechte Kohls und anderer gewahrt bleiben", sagte Hohmann zur WELT. Zu den Angriffen auf den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, wegen dessen Veröffentlichungspraxis sagte Hohmann: "Gauck ist ein Glücksfall. Er hat über Jahre hervorragende Arbeit geleistet und steht für mich über jeder Kritik."
Dagegen hält es Innenausschussmitglied Wolfgang Zeitlmann (CSU) für eine "Ungeheuerlichkeit", sollten Stasi-Akten gegen Kohl Verwendung finden. "Das können wir ja gleich die Ostverträge und die ganze SPD-Regierungszeit ebenfalls durch die Brille der Stasi-Aktenlage sondieren. Da steht doch der Rechtsstaat Kopf", sagte Zeitlmann zur WELT. Hans-Peter Uhl, ebenfalls für die CSU im Innenausschuss, kann sich sogar eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vorstellen. "Ich sehe vor allem die Aufarbeitung der Stasi-Aktivitäten innerhalb der ehemaligen DDR im Gesetz festgeschrieben. Sollte der Persönlichkeitsschutz von Westpolitikern nicht gesichert werden können, so muss das Stasi-Unterlagen-Gesetz präzisiert werden", sagte Uhl zur WELT. Einen "unsensiblen Umgang" mit den Stasi-Telefonprotokollen bedauert Innenausschussmitglied Sylvia Bonitz (CDU). Sie lehnt die Hinzuziehung des Stasi-Materials im Spendenuntersuchungsausschuss ab.
Wiefelspütz hatte die Debatte um die Verwendung der jüngst von der Gauck-Behörde aufgefunden Stasi-Telefonmitschnitte mit der Äußerung angeheizt, Kohl betreibe eine Politik nach Gutsherrenart, die auf ein "partiell gestörtes Rechtsbewusstsein" schließen lasse. Stasi-Abhörprotokolle seien bereits "hundertfach" verwendet worden, beispielsweise gegen den PDS-Fraktionschef Gregor Gysi. Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident, Manfred Höppner, hatte "Verständnis für die Empörung der Ostdeutschen" über Westdeutsche geäußert, die die "Gnade der westdeutschen Postleitzahl" in Anspruch nehmen würden. Er plädierte wie Wiefelspütz für die Verwendung der Stasi-Protokolle gegen Kohl.
Unterdessen hat die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld (CDU) ihre Angriffe auf die Gauck-Behörde verschärft. "Ich werde in meiner Fraktion die Ablösung von Johann Legner als Pressesprecher der Gauck-Behörde zur Sprache bringen. Das Verhalten von Gauck ist hanebüchen", sagte Lengsfeld der WELT in Bezug auf die Herausgabe von Wortlautprotokollen der Kiep-Telefonate. Die Ex-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe übte ebenfalls Kritik an der Herausgabe. Es müsse aber möglich sein, dass in Untersuchungsausschüssen des Bundestags die Einflüsse der Stasi auf die westdeutsche Politik nachvollzogen werden könnten.
Quelle: DIE WELT, 5.4.2000
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