Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der deutschen
Zeitungssprache * SS 2000
Di 16-18, Hörsaal 207, Auditoriengebäude
Biegenstraße 14 (2. Stock)
Text 3b:
Mehr als 100 Verletzte Polizisten und Demonstranten / Lage beruhigte sich am späten Abend
In Berlin-Kreuzberg ist es nach der so genannten "Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ wie in den Vorjahren zu schweren Ausschreitungen gekommen. Randalierer errichteten Barrikaden und zündeten sie an, warfen Steine und Flaschen auf die Polizei. Diese setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Mindestens 100 Polizisten und etliche Demonstranten wurden verletzt.
Die Polizei nahm zahlreiche Randalierer fest. Räumpanzer schoben
Straßensperren beiseite. Nach gut zwei Stunden hatte sich die Lage
am späten Abend nach Einschätzung der Polizei beruhigt. "Die haben
sich ausgetobt, jetzt ist es ruhiger“, sagte ein Sprecher.
In einer ersten Einschätzung sagte Berlins Innensenator Eckart Werthebach
(CDU) in der ARD, die Auseinandersetzungen seien erheblich, die Polizei sei
jedoch jeweils sofort an Ort und Stelle gewesen. Schutzpolizeichef Gernot
Piestert sagte zu den Ausschreitungen: "Es ist wie jedes Jahr: Gewalttäter
aus der linken Szene versuchen, mit der Polizei Katz und Maus zu spielen.“
Die Demonstration hatte sich mit 10.000 Teilnehmern unter dem Motto
"Imperialistische Zentren zerschlagen“ vom Oranienplatz in Gang gesetzt und
war von der Polizei mit Spalier begleitet worden. Ein mit Stacheldraht
ausgerüsteter Lautsprecherwagen wurde im Vorfeld beschlagnahmt. Der
Veranstalter erklärte die Versammlung am Abend gegen 20.30 Uhr für
beendet, danach kam es zu den Krawallen. Die Polizei musste ihre zur Deeskalation
eingesetzten Anti-Konflikt-Teams bereits im Verlauf der Demonstration
zurückziehen.
Lage
bis zum Abend friedlich
Die Sicherheitskräfte, die sich den ganzen Tag über auf Krawalle
eingestellt hatten, waren insgesamt mit 6400 Beamten im Einsatz. Bis zum
Abend war es bei etlichen Demonstrationen rechter und linker Gruppen in Berlin
friedlich geblieben. Begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot hatten
am Vormittag rund 1200 Anhänger der rechtsextremen NPD im Bezirk Hellersdorf
demonstriert. Trotz des Verbots einer linken Gegenversammlung versuchten
knapp 200 Menschen aus dem bürgerlichen linken Spektrum, die Kundgebung
mit Rufen und Pfiffen zu stören. 2300 Polizisten hielten die Kontrahenten
auseinander, der Versammlungsort war weiträumig abgeriegelt. Die Versammlung
ging friedlich zu Ende. Nach Polizeiangaben wurden mehr als 150 Personen
festgenommen.
Zur gleichen Zeit besuchten im selben Stadtbezirk etwa 10.000 Berliner ein
Mai-Fest, um gegen die NPD-Kundgebung ein Zeichen zu setzen. Am Nachmittag
demonstrierten etwa 1800 linke Demonstranten in Berlin-Kreuzberg friedlich
bei einer ersten "Revolutionären 1. Mai-Demonstration“. Auch die Nacht
zum 1. Mai war friedlich verlaufen. Werthebach erneuerte unterdessen seine
Forderung nach einer Verschärfung des Versammlungsrechts. Der Senat
berate in Kürze über eine Bundesratsinitiative, sagte er dem privaten
Nachrichtensender berlin aktuell 93.6. Nach seiner Ansicht sollte sich aber
auch der Innenausschuss des Bundestages mit diesem Thema beschäftigen.
Ausschreitungen
auch in Hamburg
Schon in der Nacht zum 1. Mai war es im Anschluss an eine Demonstration in
Hamburg zu stundenlangen Auseinandersetzungen zwischen mehreren hundert Personen
aus dem "linken Spektrum“ und der Polizei gekommen.
Wie ein Polizeisprecher mitteilte, blockierten die Demonstranten nach dem
Marsch zur Innenstadt zunächst eine Kreuzung und zogen dann ins
Schanzenviertel. Mehrere Gebäude, darunter ein Lokal und eine Sparkasse,
seien mit Steinen beworfen und vor einem alternativen Zentrum, der "Roten
Flora“, Müll in Brand gesteckt worden.
Zwei Hundertschaften der Polizei hätten den Platz mit Hilfe von
Wasserwerfern bis zum Morgen geräumt und abgesperrt. Dabei seien zwölf
Beamte verletzt worden, drei davon seien in ein Krankenhaus eingeliefert
worden. Bis zu zehn Personen seien wegen Landfriedensbruchs festgenommen
worden.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 2. Mai 2000