WÖRTER UND WENDUNGEN             - SS 1994 -              Dr. Wolfgang NÄSER 
Di 16-18 h, HS 6 * Sprechstunde; Mo 15-17 h, Deutscher Sprachatlas, Kaffweg 3 
 
 
Übungstext 3 
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Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut 
 
Predigt im Kantatengottesdienst mit Bachs Kantate 117 (Lied 233), gehalten am 

15.5.94 in der Elisabethkirche zu Marburg von Pfarrer Dr. Eberhard Leppin Liebe Gemeinde! Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut! So strömt es hervor aus dem Herzen von Menschen, die ihres Lebens froh werden, ganz froh geworden sind in erhebenden Stunden oder auch nur für Augenblicke, aber von da an wissen, wie sie zur höchsten Freude am Leben kommen können: Nämlich nicht, indem sie bei sich selbst bleiben und überlegen: Wie kann ich mir schöne Erlebnisse verschaffen? Wie kann ich etwas haben von meinem Leben, von meiner Freizeit, so daß sich das Wochenende gelohnt hat? Wie kann ich mir etwas Gutes tun? Nein, so wird man seines Lebens nicht froh. Da verbraucht man's nur und bleibt innerlich leer zurück. Man muß über sich hinausblicken und aus sich heraus gehen zu etwas anderem, zu einem anderen. Dann werden wir froh. Die anderen, zu denen wir aus uns herausgehen, sind zunächst einmal Menschen, die wir liebhaben. Wer Menschen hat, mit denen zusammen er feiern kann, ist glücklicher als einer, der sich allein einen schönen Tag macht. Wer an andere denkt, ist glücklicher als einer, der immer nur an sich selber denkt. Man kann es sich geradezu zur Regel machen: Wenn ich mißmutig oder verärgert bin, dann komme ich am ehesten heraus aus diesem Loch, wenn ich mir überlege, wie ich meiner Frau eine Freude machen kann oder sonst jemandem, den ich liebhabe oder der gern einmal ein Zeichen der Freundlichkeit von mir hätte. Allerdings darf man von Menschen nicht zuviel erwarten, nicht von anderen und nicht von sich selbst. Sonst überfordern wir sie und uns. Überspannte Erwartungen brechen leicht in sich zusammen. Und was übrigbleibt, ist Enttäuschung und Bitterkeit. Nein, wenn der Mensch wirklich aus sich herausgehen will zu einem anderen ohne die Gefahr, schließlich abzustürzen ins Bodenlose, wenn er ganz aus sich herausgehen will, ohne sich aufzugeben, dann muß er sich zu dem hinwenden, was das höchste Gut ist, zu Gott, dem Vater aller Güte. Der Dichter nennt ihn ganz kühn den Gott, der alle Wunder tut. Bei Wundern müssen wir nun nicht an außerordentliche Ereignisse denken, die die uns bekannten Naturgesetze durchbrechen, sondern vielmehr daran: - Daß überhaupt eine Welt da ist und mit ihrem frischen Grün im Sonnenlicht vor uns liegt; das ist ein Wunder. - Daß wir da sind, leben, atmen und singen können, daß die Welt für uns bewohnbar ist; das ist ein Wunder. Daß das alles sich nicht von selbst versteht, wird uns ja jeden Tag von neuem bewußt, wenn wir von Umweltzerstörung und Klimagefährdung, von Erschöpfüng der Rohstoffe und Energien und Umweltverschmutzung hören, von Übervölkerung der Erde und von all den anderen Gefahren, die die Menschheit zu erdrücken drohen. Wer da nicht aus sich herausgehen kann zu dem, was größer ist als alles, sondern bei sich selbst bleibt, - bei dem, was Menschen tun, getan haben und tun können und - bei dem, was die natürlichen Bedingungen und Gesetze der Natur zulassen, wer darüber nicht hinauszugehen wagt, der wird aus der Angst nicht herauskommen. Wenn er durch den Wald geht und das frische Grün sieht, denkt er: Wie lange noch, dann sind unsere Wälder gestorben? Wie lange noch, dann ist einfach kein Platz mehr auf der Erde für die vielen Menschen? Der Gedanke, däß das natürlich alles einmal aufhören muß, wird ihm unerträglich sein; so unerträglich wie für viele der Gedanke an den Tod ist. Wenn ich dagegen aus mir herausgehe und singe Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, dem Vater aller Güte, dem Gott, der alle Wunder tut, dann erfahre ich auch, was da weiter gesagt wird, nämlich daß er mein Gemüte mit seinem reichen Trost erfüllt. Es ist wahrhaftig ein Wunder, Zeichen einer unendlichen Güte, daß wir da sind, daß es grün wird, daß die Erde bewohnbar ist und uns außerdem auch viel Schönes, Gutes und Erquickendes entgegenbringt. Nicht als ob man sich nun weniger dafür verantwortlich weiß, daß die Erde für uns Menschen bewohnbar bleibt. Ich vermute sogar, daß einer, der die Erde für uns Menschen bewahren will, aus lauter Dank für all das, was er täglich an Gutem empfängt, besonnener und umsichtiger handeln wird, als jemand, der aus Angst gar nicht schnell genug irgend etwas tun kann und vielleicht nur handelt, um zu handeln und dadurch seine Angst zu betäuben. Angst ist ja etwas, was den Menschen in seinem Innersten bedroht. Wer kennt das nicht von sich selber, diese Angst, bei der es ist, als wankte der Boden unter uns und würde uns schließlich unter den Füßen weggezogen? Da aber können wir erfahren: Die Hilfe liegt gerade darin, daß wir aus uns herausgehen, und zwar weit hinaus, bis hin zu dem höchsten Gut, zu Gott, der nicht davon abhängig ist, daß die Welt bestehen bleibt und wir auf ihrem Boden stehen können, sondern, der alle Wunder tut. Ihn können wir bitten zu helfen. Ich rief zum Herrn in meiner Not: "Ach Gott, vernimm mein Schreien!" Da half mein Retter mir vom Tod! Wenn Trost und Hilf ermangeln muß, die alle Welt erzeiget, so kommt, so hilft der Überfluß, der Schöpfer selbst. Ein anschaulicher Name für Gott: der Überfluß. Wie ein römischer Brunnen quillt und überfließt, so strömt Gott, das höchste Gut, über von Leben und Lebensfreude und Kraft. So ähnlich könnte übrigens auch ein EHindu F reden. Da stimmen Christen und Hinduisten überein. Aber hier wird noch mehr gesagt: Der schöpferische Überfluß quillt nicht einfach über, gleichgültig, wohin die Lebenskräfte fließen und ohne damit jemanden besonders zu meinen. Nein: Gott neiget die Vateraugen denen zu, die sonsten nirgends finden Ruh. Und: Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her. Wie Vater und Mutter alles für ihre Kinder tun, so tut Gott alles für die Menschen, nicht nur für einzelne Bevorzugte, sondern für alle. Der Vorzug derer, die Christi Namen kennen und nennen, besteht darin, daß sie es wissen: Der allmächtige Gott, das höchste Gut, von dem alles Gute kommt, der unerschöpfliche Überfluß des Lebens, - er schaut uns an mit Vateraugen; er leitet uns mit Mutterhänden. Da passiert nichts zufällig oder durch ein blindes, heimtückisches Schicksal. Da ist nichts vergeblich und ohne Sinn. Sondern alles, was geschieht, geschieht zu unserem Besten, auch was uns unbegreiflich erscheint. Manchmal merken wir nach einigen Jahren schon, daß es gut für uns war, oft auch erst in der Ewigkeit. Aber nichts geschieht ohne Sinn und Ziel. Da soll man doch wahrhaftig singen Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, dem Vater aller Güte! Die Musik aber und noch dazu diese Musik von Bach, die wir heute hören und erklingen lassen, sie trägt auch unser Gemüt über uns selbst hinaus. Eine geheimnisvolle Kraft, die in der Musik drinsteckt. Sie kann freilich auch mißbraucht werden, um den Menschen aus sich herauszutreiben in den Untergang: Er trommelte schon manchen ins Blut und in sein Grab, und dennoch liebt ein jeder den kleinen Trommlerknab. So haben manche der Älteren von uns früher gesungen, zuerst in der Bündischen Jugend und dann im Jungvolk. Aber hier bei Bach wird die Musik nicht im Dienst menschlicher Interessen, Zwecke und Leidenschaften benutzt, sondern sie ist selbst ein Heraustreten des Menschen aus seiner Ichhaftigkeit. In dieser Musik öffnet sich der Mensch dem Höheren und wird emporgehoben vom höchsten Gut zum höchsten Gut. Sie weckt zugleich in uns das Verlangen: Ich will dich all mein Leben lang, o Gott, von nun an ehren. Man soll, Gott, deinen Lobgesang an allen Orten hören. Mein ganzes Herz ermuntre sich, mein Geist und Leib erfreue dich! Gebt unserm Gott die Ehre! Amen. (c) Eberhard Leppin / Redaktion: Wolfgang Näser * WN16071996/18:51