Telearbeit
Definition, Potential und Probleme
1. Definition
"Unter Telearbeit ist die Arbeit zu verstehen, die Mitarbeiter außerhalb der Firmenräume, in der Wohnung, in Nachbarschaft- oder Satellitenbüros, unter Nutzung von öffentlichen Kommunikationsmitteln und entsprechenden technischen Geräten zur Erledigung ihres Arbeitsvertrages verrichten."
[...]
Die Arbeitsgruppe des ZVEI/VDMA schätzt für die Bundesrepublik 30.000 Telearbeitsplätze (1994), die sich bis zum Jahr 2000 auf ca. 800.000 (2% der Erwerbstätigen) erhöhen soll. Für Europa läge diese Zahl bei 2 Mio. Arbeitsplätzen im Jahr 2000 (nach Bangemann Report). Investitionen von 15.000 DM/Arbeitsplatz angenommen, ergebe sich in Deutschland daraus ein Investitionsvolumen von 12 Mrd.DM bis zur Jahrtausendwende. Legt man für den Betrieb des Telearbeitsplatzes 300 DM/Monat Netzkosten zugrunde (das ist die Kosten-Zielvorstellung des ZVEI/VDMA), so bedeutet das für die Netzbetreiber einen jährlichen Umsatz von über 2 Mrd.DM/Jahr (noch ohne Anschlußkosten). Die 800.000 Telearbeiter würden bei 3 Telearbeitstagen in der Woche und durchschnittlicher Entfernung zum Betrieb von 15 km pro Mitarbeiter 4.000 km/Jahr Fahrstrecke, das sind 3.2 Mrd. km insgesamt, einsparen.
In den USA ist die Telearbeit offensichtlich schon heute wesentlich verbreiteter. Etwa 9.2 Mio. Menschen arbeiten zeitweise (z.B. nach Feierabend) zu Hause mit Computer und Datenleitung. Weitere 7.6 Mio. haben schon völlig auf einen betrieblichen Arbeitsplatz verzichtet und arbeiten als "Telecommuter" im eigenen Hause. Seit 1992 wächst die Zahl der Telecommuter in den Vereinigten Staaten um jährlich 15%, davon etwa genauso viele Männer wie Frauen. Um wieviel produktiver diese Arbeitsplätze wirklich sind ist nicht genau zu bestimmen. Ein Kundendienstmitarbeiter bei AT&T meint, daß er mit seinem mobilen virtuellen Büro etwa 30 - 40 % mehr Kundenwünsche befriedigen kann als vorher.
Das BMBF fördert Telearbeit unter den Schwerpunkten TELEKOOPERATION/POLIKOM und TELEKOOPERATION/Mehrwertdienste.
In den Pilotprojekten
- POLIWork (synchrone Telekooperation zur Zusammenarbeit kleiner Gruppen bei räumlicher Distanz)
- POLITeam (räumlich verteilte asynchrone Gruppenarbeit)
- POLIFlow (verteilte asynchrone Verwaltungsprozesse)
- POLIVest (Vorgangsbearbeitung mittels synchroner Telekooperation)
sollen vor allem (öffentliche) Verwaltungen, unabhängig vom Standort, "digital" integriert werden. Damit wird auch der Heimarbeitsplatz oder ein Satellitenbüro einbeziehbar und somit Telearbeit in Verwaltungen praktizierbar, da vom Arbeitsprozeß her gleichartig.
- Das "Dezentrale Schreibbüro" hat zum Ziel, große Institutionen oder Unternehmen, in denen viele Schreibarbeiten anfallen, mit dezentralen Dienstleistern elektronisch zu verbinden und einen intelligenten Service zu ermöglichen. Diese Dienstleister könnten Satellitenbüros und Schreibbüros in strukturschwachen Regionen oder auch einzelne Heimarbeiter sein.
- LINGO - ein netzwerkbasiertes Fremdsprachen-Dienstleistungssystem, integriert u.a. Dolmetscher, Übersetzer oder andere Sprachexperten über ein informationstechnisches System mit beliebig lokalisierten Kunden. D.h., diese schon heute oft in Heimarbeit durchgeführten Übersetzungen werden wesentlich effektiver und auch große Übersetzungsbüros können dezentral betrieben werden.
- Das "Mobile Baustellenbüro" fördert Telearbeit im weiteren Sinne, in dem es Baustellenleiter oder Architekten mit einem mobilen Arbeits- und Kommunkationsplatz (PC, Fax, Drucker, Scanner, Telefon) ausstattet, so daß diese von beliebigen Orten (zu Hause, unterwegs, auf der Baustelle) kooperieren können.
- Beim Projekt "Telearbeit in einem Ballungsraum" innerhalb des Rahmenprogramms des Freistaates Bayern "Bayern Online" werden ca. 5 % der Mitarbeiter in den Bereichen Entwicklung, Einkauf und Technik eines Großunternehmens (rd. 300 Personen) einen Telearbeitsplatz am Wohnort erhalten. Dies eröffnet die Möglichkeit, Arbeitsplätze mit den verschiedensten Anforderungsprofilen unter technischen, wirtschaftlichen, organisatorischen und sozialen Aspekten praxisnah zu erproben.
- Die Kommunale Gemeinschaftsstellen (KGSt) in Köln praktiziert als gemeinnütziges Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen der Städte, Gemeinden und Kreise eine Variante der "alternativen Teleheimarbeit", bei der einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen größeren Teil ihrer Arbeit zu Hause erledigen, ohne reine "Heimarbeiter" zu sein. Das Projekt dient nicht nur KGSt-internen Zwecken, sondern soll als Erfahrung in die gutachterliche und Beratungsarbeit einfließen.
- In mehreren Modellversuchen hat die IBM Deutschland seit 1987 getestet, welchen Nutzen der Arbeitsplatz zu Hause Mitarbeitern und dem Unternehmen bringen kann. 1991 erhielt das Unternehmen für die Betriebsvereinbarung "Außerbetriebliche Arbeitsstätten" den "Innovationspreis der deutschen Wirtschaft". Heute haben etwa 350 Mitarbeiter einen Telearbeitsplatz im engeren Sinne zu Hause und nutzen diesen regelmäßig. Etwa 5000 Mitarbeiter insgesamt nutzen die technischen Möglichkeiten der Telearbeit im weiteren Sinne, also z.B. mobile Terminals im Vertrieb oder Notebooks mit Netzanbindung zeitweise zu Hause oder auf Reisen.
In der Diskussion zur Telearbeit werden eine ganze Reihe Problemfelder genannt:
Soziale Probleme
- Vereinsamung
- Selbstausbeutung
- Motivation
- Privatheit
- Akzeptanz
Juristische Probleme
- Mitbestimmung
- Arbeitnehmerstatus
- Zutritt zum Arbeitsplatz
- Problemfelder der Kostenteilung
- Telearbeit - Versicherung
Organisatorische Probleme
- Kontrolle
- Kommunikationssicherheit
- Datensicherheit
- Zielsicherung
Betriebswirtschaftliche Probleme
- Kosten/Nutzen
- Produktivität
- Meßbarkeit
Technische Probleme
- Standards und Offenheit der Systeme
- Mensch-Maschine Schnittstellen
- Sicherheit/Zuverlässigkeit
- Intelligenz der Systeme
Dabei wird immer wieder betont, daß die Lösung der nichttechnischen Probleme vor allem "im Kopf" stattfinden muß und das eine wesentliche Hemmschwelle in der Bereitschaft des mittleren Managements liegt, die direkte (Anwesenheits-) Kontrolle der Mitarbeiter durch Vorgabe von Zielen zu ersetzen.
Insgesamt verschiebt sich der ursprünglich bei einfacher Tätigkeit (Diktate, Dateneingabe etc.) gedachte Schwerpunkt der Telearbeit zu höherwertiger, qualifizierter Tätigkeit. Als besonders geeignet werden zunehmend Aufgaben gesehen, die
Eine Studie/Befragung von 38 am IBM-Telearbeitsprojekt beteiligten Mitarbeitern ergab, diese sind produktiver, motivierter sowie flexibler und können außerdem Familie und Beruf besser vereinbaren. Auf die immer wieder im Zusammenhang mit Telearbeit genannten sozialen Befürchtungen, gab diese Studie folgende Antworten:
Insgesamt zeigen die Erfahrungen, daß sich die starken sozialen Ängste nicht bestätigen und das es genügend Möglichkeiten gibt, den realen Gefahren entgegenzutreten. Wichtig scheint, daß genügend Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen direkter sozialer Kontakt mit den Kollegen gegeben ist, u.U. auch außerhalb der Arbeit.
Juristische Probleme werden im Schutz des Status der Arbeitnehmer (gleichberechtigtes Belegschaftsmitglied), in dem Erhalt der Mitbestimmung sowie dem Zutritt zur Heimarbeitsstätte für den Arbeitgeber oder für Arbeitnehmervertreter gesehen. Auch Fragen der Leistungskontrolle, des Arbeitsschutzes, der Arbeitszeit und des Versicherungsschutzes spielen eine Rolle.
Die typischen rechtlichen Probleme der Telearbeit regelt beispielsweise
die IBM Betriebsvereinbarung "Außerbetriebliche Arbeitsstätten"
(ABA) wie folgt:
Durch Telearbeit wird eine um 20 bis 30% steigende Arbeitskapazität für möglich gehalten. Das kann geschehen durch:
Diesen Effizienzsteigerungen stehen Investitionskosten in Informationstechnik sowie laufende Kommunikationskosten gegenüber. Bei den sinkenden Kosten für Informationstechnik bleiben die in Deutschland relativ hoch liegenden Telekommunikationsgebühren als ein wirtschaftliches Hemmnis. Eine deutsche Analyse kommt auf der Basis von Befragungen bei Unternehmen, die Telearbeit praktizieren, zu dem Ergebnis, daß ein komplett ausgestatteter Telearbeitsplatz (PC, ISDN-Karte oder Modem, Software und Drucker) Investitionskosten von weniger als 10.000 DM erfordert. Die monatlichen Kommunikations- und Datenübertragungskosten wurden zwischen 500 DM (Filetransfer) und 1.000 DM (Dialoganwendungen) geschätzt. Damit dürfte Telearbeit schon heute wirtschaftlich sein.
Heben lassen sich diese Potentiale aber nur durch organisatorische Änderungen im Arbeitsablauf. Telearbeit ist der Einstieg in flachere Hierarchien und in die Führung durch Zielsetzung und Eigenmotivation. Diese notwendigen und tiefen Veränderungen in Management- und Arbeitstraditionen sind das eigentliche Problem der Durchsetzung von Telearbeit.
Ungelöste technische Probleme gibt es für die Einführung der Telearbeit grundsätzlich nicht mehr. Um eine schnelle Ausbreitung voranzutreiben, gilt es jedoch noch eine Reihe von Schwachstellen zu beseitigen. Dabei wird durchaus anspruchsvolle Forschung und Entwicklungsarbeit nötig sein. Solche Schwachstellen sind:
Standards und Offenheit der Systeme - multimediale Telarbeitssysteme müssen verschiedene Traditionen (Telefon, Computer, Verwaltungen, Wissenschaft etc.) vereinen, werden von verschiedenen Herstellern angeboten und sind daher wenig oder unterschiedlich standardisiert. Diese uneinheitlichen technischen Schnittstellen (bis hin zum Aufbau von Formularen) behindert natürlich Ausbreitung und Akzeptanz.Sicherheit und Zuverlässigkeit - beziehen sich auf zwei verschiedene Felder. Zum einen wächst mit der zunehmenden Anzahl von Telearbeitsplätzen die Komplexität des Systems und damit die Fehleranfälligkeit. Gleichzeitig steigt bei verteilter Arbeit die Abhängigkeit von der Technik. Fehler können nicht mehr durch direkte menschliche Kommunikation überbrückt werden. Technische Zuverlässigkeit und Servicestrukturen sind geboten. Zum anderen entsteht das Problem der Datensicherheit, da z.T. sensible Daten über öffentliche Netze transportiert werden müssen. Telearbeit geht nicht mit in sich geschlossenen und damit komplett abschirmbaren Systemen.
Mensch - Maschine Schnittstellen - werden zunehmend zum Problem, wenn Telearbeit auf nicht speziell geschulte, breite Nutzerschichten trifft und gleichzeitig die Vielfalt der technischen Möglichkeiten steigt. Multimedialität, Datenbankrecherchen, Interaktivität, Mobilität etc. seien als Schlagwort genannt. Der Umgang mit diesen Angeboten muß durch die Maschine unterstützt werden.
Intelligenz der Systeme - wird damit zur Voraussetzung, um sich als Telearbeiter in der Komplexität eines im Extrem "World Wide Web" zurechtzufinden. Die Technik muß "intuitiv" auf den Nutzer eingehen, fehlertolerant reagieren und differenzierte Eingabemedien akzeptieren (Tastatur, Sprachen, Zeichnen etc.). Gleichzeitig muß sie lernfähig sein und Nutzerprofile erkennen, behalten und unterstützen.
Probleme des Datenschutzes und der Datensicherheit sind schon heute technisch lösbar. Besondere neue gesetzliche Regelungen sind nicht erforderlich. Die Bestimmungen des Datenschutzes sind ausreichend.
Juristische Aspekte
[1] Aus der Zusammenfassung einer Studie der TH Darmstadt
1994 (Prof.Rüttinger), die 87 Unternehmen befragte, zitiert nach
ZVEI/VDMA
[2] Hendricks, B.: Mein Büro ist, wo ich bin; Computerinformation,
1/94
[3] Reichwald. R.; Hermens, B.: Telekooperation und Telearbeit; Office
Management, 42(1994) 10
[4] Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGst): Telearbeit; Köln 1995
[5] Godehardt, B., Worch, A.: Telearbeit: Rahmenbedingungen und Potentiale.
Kurzfassung.Düsseldorf 1994
ISDN-Forschungskommission NRW, Materialien u. Berichte,
15) zitiert nach KGst/
Last modified: 15 Dezember, 1997, by MVS Quelle: www.fim.uni-linz.ac.at/telework/; leicht gekürzt, Re-Editing WN 27.5.98)