Die Wiedervereinigung hat eine andere W„hlerschaft hervorgebracht Wahlanalyse der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bereich Forschung und Beratung Das Wahlergebnis der Bundestagswahl 1994 und dessen wesentlichen Bestimmungsgrnde Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat auch die zweite gesamtdeutsche Bundestagswahl vom 16. Oktober 1994 gewonnen diesmal aber mit knapperer Mehrheit als bei der Bundestagswahl 1990. Die Regierungsparteien erhielten zusammen 48,3 Prozent der Zweitstimmen. Gemeinsam halten sie knftig 341 Sitze und habe damit 10 Sitze mehr als die Oppositionsparteien. Untypisch ist bei diesem Wahlergebnis, daá die Anzahl der šberhangmandate auáergew”hnlich groá ist und letztlich fr stabile Mehrheitsverh„ltnisse gesorgt hat. Durch 16 šberhangsmandate vergr”áert sich der Bundestag ber seine Normalst„rke von 656 Mandaten hinaus auf 672. Das bedeutet gegenber 1990 eine Steigerung von 10 Mandaten. Die CDU erreichte 12 šberhangmandate, die SPD errang nur 4. Von den knapp 60,4 Mio. Wahlberechtigten gaben ca. 47,7 Mio. ihre Stimme ab. Die daraus resultierende Wahlbeteiligungsrate von 79,1 Prozent liegt damit um 1,3 Prozentpunkte h”her als bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl von 1990. Die Unionsparteien gingen aus der Wahl als die mit Abstand st„rkste Partei hervor. Sie kamen auf 41,5 Prozent der Zweitstimmen (CDU: 34,2 Prozent; CSU: 7,3 Prozent). Gegenber der Bundestagswahl von 1990 verloren sie damit 2,4 Prozentpunkte. Diese Verluste gehen ausschlieálich auf das Konto der CDU, die 2,6 Punkte verlor. Die CSU gewann dagegen 0,2 Punkte. Insgesamt mobilisierten die Unionsparteien 19,5 Mio. W„hler. Das sind 841 Tausend weniger als bei der Vorwahl. Die Union wird knftig mit 294 Sitzen (- 25) im Bundestag vertreten sein. Davon entfallen auf die CDU 244 und auf die CSU 50 Sitze. Die SPD gewann zwar Stimmenanteile hinzu, ist mit einem Rckstand von 5 Prozentpunkten hinter der Union aber nach wie vor zweitst„rkste Partei. Sie erhielt 36,4 Prozent der Zweitstimmen (= 17,1 Mio. Stimmen) und konnte damit gegenber 1990 einen Zuwachs von 2,9 Prozentpunkten (= 1,6 Mio.) erzielen. Im neuen Bundestag wird sie mit 252 Mandaten (+ 13) vertreten sein. Bndnis 90/Die Grnen hatten diesmal keine Schwierigkeiten mit der Fnfprozenthrde. Sie konnten durch ein gutes Ergebnis in Westdeutschland sogar die FDP berholen und sind jetzt mit knappem Abstand vor ihr drittst„rkste politische Kraft. Ihr Anteil von 7,3 Prozent (= 3,4 Mio. Zweitstimmen) liegt um 2,2 Prozentpunkte (= 1,1 Mio.) ber ihrem Ergebnis von 1990. Im Bundestag werden sie knftig mit 49 Mandaten (+ 41) vertreten sein. Die FDP konnte sich aus dem Tief der letzten Landtagswahlen und der Europawahl dieses Jahres befreien und kam ebenfalls glatt ber die Fnfprozenthrde. Mit einem Zweitstimmenanteil von 6,9 Prozent (= 3,3 Mio.) konnte sie ihr sehr gutes Ergebnis der Vorwahl (11 Prozent) allerdings bei weitem nicht halten. Mit einem Minus von 4,1 Prozentpunkten (= 1,9 Mio. Stimmen) ist sie vielmehr der gr”áte Verlierer der Wahl. Sie entsendet knftig nur noch 47 Abgeordnete (- 32) in den Bundestag. Die PDS berwand die Sperrklausel durch den Gewinn von vier der fnf Ost-Berliner Direktmandate (Stefan Heym im Wahlkreis 249, Berlin Mitte/Prenzlauer Berg: 40,6 Prozent; Christa Luft, 258, Friedrichsain/Lichtenberg: 44,4 Prozent; Gregor Gysi, Marzahn/Hellersdorf: 48,9 Prozent und Manfred Mller, 261, Treptow/K”penick: 36,8 Prozent). Sie hat mit ihrem Zweitstimmenanteil von 4,4 Prozent (= 2,1 Mio.) einen Zuwachs von 2,0 Prozentpunkten und 937 Tausend Stimmen. Da ihr Stimmenanteil voll in die Berechnung der Mandate eingeht, erh„lt sie 30 Sitze und erzielt damit einen Zuwachs von 13 Mandaten. Wie bei den bisherigen Wahlen dieses Jahres hatten rechtsradikale Parteien auch bei dieser Bundestagswahl kaum eine Chance. Als einzige Partei mit erw„hnenswertem Anteil erreichten die REP 1,9 Prozent der Zweitstimmen (= 875 Tsd.). Im Vergleich zur Bundestagswahl 1990 verloren sie 0,3 Prozentpunkte (112 Tsd. Stimmen). Auf alle anderen Parteien entfallen zusammen 1,7 Prozent der Stimmen. Unter ihnen erreichten nur die Grauen 0,5 Prozent (= 238 Tsd.). Die brigen Parteien blieben alle unter 0,5 Prozent und damit unterhalb der Marge fr Wahlkampfkostenerstattung. Erststimmenergebnis noch nicht vorgelegt šber Umfang und Ausmaá des Stimmensplittings k”nnen zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen gemacht werden, da das Erststimmenergebnis nicht vorgelegt wurde. Die groáe Anzahl der šberhangmandate deutet jedoch darauf hin, daá vom Splitting bei dieser Wahl von den Anh„ngern der Koalitionsparteien in besonders groáem Umfang Gebrauch gemacht wurde. Zwischen West- und Ostdeutschland ergeben sich zum Teil deutliche Unterschiede in den Parteist„rken. In Ostdeutschland (neue Bundesl„nder und Gesamt-Berlin) erzielte vor allem die PDS hohe Anteile. W„hrend sie hier auf 17,6 Prozent kam, erreichte sie im alten Wahlgebiet der Bundesrepublik nur 0,9 Prozent. Sie ist damit weiterhin eine ostdeutsche Regionalpartei. Dies geht im Osten vor allem zu Lasten der SPD, die hier nur auf 31,9 Prozent kam, w„hrend sie in Westdeutschland 37,6 Prozent erzielte. Auch Bndnis 90/Die Grnen und die FDP erzielten im Osten wesentlich niedrigere Stimmenanteile als im Westen. Die FDP blieb mit 4,0 Prozent sogar unter der Fnfprozenthrde. Die einzige Partei, die in West- wie in Ostdeutschland fast gleichermaáen verankiert ist, ist die Union. Entgegen frheren, durch Meinungsforschungsergebnisse gesttzten Vermutungen, erzielte sie in Ostdeutschland mit 38,5 Prozent einen nur unwesentlich geringeren Anteil als in Westdeutschland (42,2 Prozent). Eine Bewertung des Wahlergebnisses im l„ngerfristigen Trend ist absolet geworden, da die gesamtdeutschen Bundestagswahlen nicht mehr nach den berkommenen Maást„ben der alten Bundesrepublik gesehen werden k”nnen. Die Vereinigung hat eine andere W„hlerschaft hervorgebracht, die aufgrund ver„nderter Problemlagen entscheidet und hat damit teilweise verbunden auáerdem fr die Parteien eine andersartige Ausgangssitutation geschaffen. Unter diesen ver„nderten Bedingungen ist insbesondere fr die groáen Volksparteien das Niveau, das sie noch in den 70er und 80er Jahren erzielten, heute kaum mehr zu erreichen. Wesentliche Bestimmungsgrnde der Wahlentscheidung 1. Die von Bundeskanzler Helmut Kohl gefhrte Regierungskoalition hat auch die zweite gesamtdeutsche Wahl gewonnen. Die W„hler wollten den Wechsel nicht. Die Besonderheiten des Wahlsystems lieáen die Regierungsmehrheit jedoch knapper ausfallen. Die Union ist im gesamten Bundesgebiet die mit Abstand st„rkste Partei geblieben; die Regierungskoalition liegt mit rund 5 Prozent vor einem rot-grnen Koalitionsbndnis. 2. Der erneute Sieg der Koalition, insbesondere der Wiedereinzug der FDP in den Bundestag, ist maágeblich Bundeskanzler Helmut Kohl zu verdanken. Das Vertrauen in die Regierungskompetenz des Kanzlers war gr”áer als in die seines Herausforderers. Seine F„higkeit, eine Regierung zu fhren oder die Interessen Deutschlands durchzusetzen, wurden weit besser eingesch„tzt als die des Oppositionskandidaten. In der Kanzlerfrage fhrte Kohl kurz vor der Wahl mit 49:44 Prozent vor Scharping. Bei der eigenen Anh„ngerschaft genoá er mehr Sympathie als der Herausforderer bei seiner. Auch stand die Union geschlossener hinter ihrem Kandidaten als die SPD hinter dem Herausforderer. Die Union konnte sich nach vier Jahren „uáerst schwieriger Regierungsarbeit als st„rkste deutsche Partei behaupten. Sie profitierte dabei vor allem von dem bemerkenswerten allgemeinen Stimmungsumschwung und dem wachsenden wirtschaftlichen Zukunftsoptimismus seit Frhjahr 1994. Eine Mehrheit der Brger in den neuen L„ndern empfand ihre Erwartungen an die Einheit erfllt, auch wenn sie in Fragen sozialer Sicherheit noch Defizite sah. Durchschlagendes Motiv bei den Unionsw„hlern in Ost und West war, den Aufschwung zu sichern, und deshalb die Partei mit der gr”áten Wirtschaftskompetenz zu w„hlen. Die Union hat laut infas vor allem Stimmen (in einer Gr”áenordnung von rund 650.000) an die SPD abgegeben, hat aber auch an das Nichtw„hlerlager mehr als eine halbe Million Stimmen verloren. Hinzugewonnen hat die Union von bisherigen FDP-W„hlern ebenfalls in einer Gr”áenordnung von ca. 500.000. Ihre h”chsten W„hleranteile hatten CDU/CSU im Westen bei den ber 45j„hrigen. Hier liegt sie mit deutlichem Abstand vor der SPD. Ebenso erreichten die Unionsparteien im Westen bei Katholiken berdurchschnittlich hohe Stimmenanteile, im Osten generell bei W„hlern, die einer Konfession angeh”ren. 3. Die SPD hat ihr Wahlziel, den Regierungswechsel herbeizufhren, verfehlt. Sie profitierte allerdings von den vorherrschendem Thema Arbeitslosigkeit, bei dem sie im Vorfeld der Wahl einen Kompetenzvorsprung hatte. Sie rangierte auch in der Sympathieeinsch„tzung knapp vor der Union. Schlieálich bewertete der W„hler in der jngsten Zeit die Arbeit der Opposition wieder mehrheitlich als zufriedenstellend. In der Kanzlerfrage verringerte sich der Vorsprung Kohls vor Scharping in den letzten Wochen vor der Wahl. Dies alles drfte zu dem bescheidenen Zuwachs der Sozialdemokraten gefhrt haben, der in den neuen L„ndern aufgrund des Themas Arbeitslosigkeit etwas deutlicher ausgefallen ist. Entscheidend fr das Abschneiden der SPD war, daá die Aussicht einer rot-grnen Koalition mit PDS-Duldung von drei Vierteln der W„hler im Westen nachhaltig abgelehnt wurde. Auch die berwiegende Mehrheit (56 Prozent) im Osten wollte diese Option nicht. Die SPD hat in erster Linie von bisherigen Unionsw„hlern profitiert. Sie hat aber auch von der FDP und von B 90/Grne betr„chtlichen Zulauf gehabt. Umgekehrt verlor die SPD W„hler an die PDS und an B 90/Grne. In den Altersgruppen zwischen 25 und 44 Jahren ist die SPD im Westen st„rkste Partei, im Osten hingegen die CDU. Protestanten w„hlten im Westen zumeist SPD. FDP in ihrer Funktion best„tigt 4. Die Freien Demokraten wurden in ihrer bundespolitischen Funktion best„tigt. Aus eigener Kraft schafften sie den Wiedereinzug in das Parlament jedoch nicht. Sie profitierten in erster Linie von der Arbeit der Regierung Kohl und der Bereitschaft vieler Unionsw„hler, mit ihrer Zweitstimme fr die FDP den Fortbestand der Koalition zu sichern. Die Tatsache, daá sie in keiner der gleichzeitig stattfindenden Landtagswahlen den Wiedereinzug in die L„nderparlamente schaffte, unterstreicht dies. Die FDP wurde von ihren W„hlern kritisch beurteilt. FDP-Anh„nger waren mit der Regierungsarbeit der Union zufriedener als mit der der eigenen Partei und empfand die Union als die mit Abstand sympathischste Partei. Die FDP hat (laut infas) gleichermaáen an SPD und CDU/CSU verloren, in geringerem Maáe auch an B 90/Grne. 5. Der Wiedereinzug von Bndnis 90/Grne ist im Gegensatz zur Vorwahl diesmal vor allem auf das bessere Abschneiden der Partei im Westen der Bundesrepublik zurckzufhren. Hier konnte sie ihr Stammw„hlerpotential voll mobilisieren. Im Osten hat das Zusammengehen der Brgerbewegung B 90 mit "West-Grnen" offenbar nicht zu einer Sch„rfung des politischen Profils und zur Verbreitung der W„hlerbasis gefhrt. Fnf Jahre nach der Wiedervereinigung muá B 9á/Grne sie ein neues Selbstverst„ndnis finden. Die Kompetenz der Grnen in Umweltfragen zieht im Osten, wo diese einen geringeren Stellenwert haben, schw„cher. Ein weiterer Faktor fr das schlechte Abschneiden im Osten drfte gewesen sein, daá die ehemalige Brgerbewegung in der Frage einer Zusammenarbeit mit der PDS gespalten war. Ihren st„rksten Rckhalt hatten B 90/Grne bei den jngeren W„hlern, doch ist auch ihr Anteil in den mittleren Altersgruppen (ab 35) berdurchschnittlich hoch. 6. Der Erfolg der PDS wurde durch den Gewinn von vier Direktmandaten bestimmt. In den gewonnenen Wahlkreisen sind berwiegend die Priviligierten und Nutznieáer des alten SED- Regimes zuhause. Gleichwohl darf man nicht verkennen, daá es der PDS ber die Instrumentalisierung sogenannter ostdeutscher Interessen gelungen ist, nicht nur ihr hoch motiviertes Milieu zu mobilisieren, sondern auch spezifisch ostdeutschen Protest aus unterschiedlichen Grnden zu bndeln. Doch so sehr sich unterschiedliche W„hlermotive auch analytisch trennen lassen, so sehr drften sie im konkreten Votum fr die PDS h„ufig untrennbare Verbindungen eingehen. Dies aber wrde bedeuten, daá sich das PDS- Potential auf begrenztem Niveau stabilisieren k”nnte und von anderen Parteien nur eingeschr„nkt ansprechbar und integrierbar w„re. Die Altersstruktur der PDS-W„hler ist weitgehend ausgeglichen, von den jngsten und „ltesten Altersgruppen wird sie nur unterproportional h„ufig gew„hlt. 7. Der Anteil der Splitterparteien war bei dieser Bundestagswahl auáerordentlich niedrig. Hierzu drfte die starke Polarisierung und Personalisierung im Wahlkampf wesentlich begetragen haben. Insbesondere hat aber auch die offensive Auseinandersetzung der Union mit den Rechtsradikalen diese an den Rand gedrckt. 8. Die Ergebnisse der zweiten gesamtdeutschen Wahl machen endgltig deutlich, daá die Bundestagswahlen nach der Einheit nicht mehr in der Kontinuit„t frherer Bundestagswahlen gesehen und beurteilt werden k”nnen. Die Vergleiche mit dem Wahlverhalten und dem Abschneiden der Parteien in der alten Bundesrepublik fhren in die Irre. Die w„hlersoziologischen Grundlagen des Parteiensystems haben sich tiefgreifend ver„ndert. Mit der PDS hat sich in Ostdeutschland eine Mittelpartei zu etablieren begonnen, die Chancen hat, im Umfeld von SPD und B 90/Grne auch in Westdeutschland ihre Anh„ngerschaft zu verbreitern. B 90/Grne verlagern sich nach Westen. Die FDP bleibt im Osten unter fnf Prozent und verliert zunehmend ihre L„nderbasis. In den ostdeutschen Landesparlamenten ist sie, auáer in Berlin, nicht mehr vertreten, in Westdeutschland nur noch in sechs Landesparlamenten, davon in zwei F„llen in Regierungskoalitionen mit der SPD beziehungsweise SPD und B 90/Grne. Deutsches Parteiensystem in Bewegung Das gesamtdeutsche Parteiensystem befindet sich st„rker in Bewegung, als es der plebiszit„re Charakter er ersten gesamtdeutschen Wahl zun„chst erkennen lieá. Vor diesem Hintergrund ist um so bemerkenswerter, daá die W„hleranteile beider Volksparteien zusammengenommen sich gegenber der Vorwahl stabilisiert haben (0,5 Prozent). Vereinigten beide 1990 77,3 Prozent auf sich, waren es 1994 77,8 Prozent.