H”rt auf, mich durch's Leben zu jagen! Es sind immer die gleichen Debatten in vielen Familien. Was machen wir am Wochenende, in den Ferien, heute abend? Wen laden wir ein, wohin fah- ren wir, wie amsieren wir uns? Musik berieselt uns. Gleich morgens nach dem Aufwachen der Griff zum Radio, dessen Dudellieder uns durch den Tag begleiten und nur noch als Ger„uschkulisse dienen. Was wollen wir denn bet„uben? Die Leere in uns? Die Žngste? L„ngst ist Wirklichkeit, was Aldous HUXLEY ("Sch”ne neue Welt") schon Anfang der dreiáiger Jahre befrchtete: "Zerstreuung ist Pflicht". Wir sind eine formierte Gesellschaft geworden, die Individualisten allen- falls eine bel„chelte Nische l„át. Wo gibt es das noch: Ruhig auf einer Bank sitzen, in die Sonne blinzeln, nachdenken und mit der Seele baumeln, wie TUCHOLSKY das nannte. Wo ist der gem„chliche Gang geblieben, angepaát den kleinen Schritten des Men- schen, seinem begrenzten Aktionsradius und nicht der Geschwindigkeit und Reichweite von Dsenjets, die uns nie das Gefhl geben, irgendwo richtig angekommen zu sein. Es gibt eine Geschichte von drei Indianern, die mit einem Bus Hunderte von Kilometern zum Arbeiten gefahren werden und die am Ankunftsort tage- lang stillsitzen und keinen Finger rhren. "Worauf wartet ihr, weshalb arbeitet ihr nicht?" werden sie gefragt. Sie blicken den weiáen Mann an, der sie dr„ngt, und sagen: "Wir warten auf unsere Seele. Sie ist noch nicht angekommen." Gewarnt haben uns schon viele. ORWELL warnte uns vor der Unterdrckung durch einen "Groáen Bruder", der uns berwacht. HUXLEY warnte uns davor, daá wir anfangen zu lieben, was uns unterdrckt, daá wir die Technolo- gien anbeten, die uns das Denken ersparen. Neil POSTMAN vergleicht in seinem Buch "Wir amsieren uns zu Tode" Or- well und Huxley und schreibt: "Orwell frchtet diejenigen, die Bcher verbieten. Huxley frchtet, daá es eines Tages keinen Grund mehr geben k”nnte, Bcher zu verbieten, weil keiner mehr da ist, der Bcher lesen will. Orwell frchtet jene, die uns Informationen vorenthalten. Huxley frchtet diejenigen, die uns mit Informationen so zudecken, daá wir uns vor ihnen nur in Passivit„t und Selbstbespiegelung retten k”nnen." Post- man selbst glaubt, daá beide recht haben. Ja, wir flchten uns in die Passivit„t, m”chten uns die Ohren zuhalten und schreien: "H”rt auf, das ist alles zuviel, was ihr uns bietet!" Und dann werden wir immer wieder hochgejagt von Animateuren, die uns nicht nur im Urlaub vorschreiben, was wir zu tun haben, sondern l„ngst auch im t„glichen Leben die Regie ber- nommen haben. Das Leben als eine einzige Gaudi und nur dazu da, daá wir uns amsieren und gengend Geld verdienen, um uns immer ausgefallenere Amsements lei- sten zu k”nnen. Der Mensch als Amsierkrone. Wir bauen uns nicht nur Luft- schl”sser, wir wollen auch noch in ihnen wohnen. Wer in seiner Freizeit nachdenkt, sich sammelt und sich nicht zerstreut, wird bel„chelt. Kinder, die nach den Wochenenden in der Schule nicht er- z„hlen k”nnen, was sie alles unternommen haben, werden ausgelacht. Erwach- sene, die berichten, daá sie ein Buch gelesen h„tten, das nicht nur aus Wortstummeln wie "Žchz, Kr„chz, Uff und Wumm" besteht, gelten als Auáen- seiter, deren Marotten man allenfalls toleriert. Nicht stilles In-sich- Hineinhorchen ist gefragt, sondern "action". "Daá wir uns angepaát haben, zeigt, wie sehr wir uns ver„ndert haben", sagt Neil Postman. Das Fernsehen tr„gt dem Trend Rechnung und verst„rkt ihn noch. Unmerklich dirigiert es uns durch den Alltag. Es informiert, animiert, zerstreut. Es liefert eine perfekte Guckguckwelt, die keinen ausschlieát, Kinder nicht und Alte, Reiche nicht und Arme. Aber Postman warnt: "Problematisch am Fernsehen ist nicht, daá es uns un- terhaltsame Themen pr„sentiert. Problematisch ist, daá es jedes Thema als Unterhaltung pr„sentiert." Problematisch ist auch, daá sich fr den Zuschauer Spiel und Wirklichkeit verwischen. Ganz dicht f„hrt die Kamera an die Unglcksstelle heran, zeigt in grausamer Deutlichkeit von Bomben zerfetzte K”rper und schreiende Men- schen. Ein Attentat, das wirklich geschah. Kurz darauf ein Spielfilm. Wie- der zerfetzte K”rper und schreiende Menschen. Der Zuschauer kann kaum noch unterscheiden, was in dieser Guckguckwelt echt und was Spiel ist. Und so tritt er bei einem schweren Unfall vor seiner Haustr ganz dicht an die Verunglckten heran, um ja nichts zu verpassen, betrachtet das grausige Szenarium so emotionslos, als handele es sich um einen Film. Zerstreuung als Pflicht, Amsement als Zwang. Huxley sagt: "Die Menschen leiden nicht daran, daá sie lachen, anstatt nach- zudenken, sonderen daran, daá sie nicht wissen, worber sie lachen und wann sie aufgeh”rt haben nachzudenken." Das Leben - ein riesiges Gel„chter. Ja, wir amsieren uns zu Tode. Aber als Todesursache wird schlicht Herzver- sagen stehen... ------------------- WEINERs Text beleuchtet eines der wichtigsten Probleme unserer Tage: die immer st„rkere Hektik und den Leistungsdruck, der die Menschen selbst in ihrer Freizeit nicht in Ruhe l„át. Zwar sollte man annehmen, die modernen technologien machten den Menschen ihr Leben leichter, gebe ihnen mehr Zeit zu Muáe, Entspannung, Kreativit„t, Selbstentfaltung, doch scheint fr viele das gegenteil zutreffender zu sein. Es ist eine Schraube ohne Ende: immer bessere, raffiniertere Ger„te werden angeschafft, um die Freizeit zu genie- áen, und fr den immer kostspieligeren Freizeitspaá muá immer mehr, immer intensiver gearbeitet werden. Und so gengt es den meisten auch nicht, nur einmal pro Jahr ins Ausland zu reisen, sie wollen noch ein zweites oder drittes Mal nach Mallorca oder Teneriffa, um dessen Urlaubsbr„une quasi als Statussymbol zu exportieren. Die Massenmedien sind umfassender, m„chtiger, vielseitiger geworden durch Kabal- und Satellitenfernsehen und vor allem Video in allen Varianten bis hin zum eigenen Camcorder fr mehrere tausend Mark: das alles will sauer verdient, erarbeitet werden, noch als Zubeh”r zur meist teuer eingerichteten Eigentumswohnung, zum eigenen Haus, vor dem ein entsprechend repr„sentativer Wagen zu stehen hat. - Der Geltungsdrang geht quer durch alle sozialen Schichten, vom Arbeiter bis hin zum Universi- t„tsprofessor, sie alle sind sich einig darin, daá man etwas darzustellen hat, will man den Anschluá nicht verpassen: so segelt man hart am Trend. Kritik an diesen Verh„ltnissen zu ben wird vielerorts belgenommen. Dann gilt man als N”rgler, Querulant, ewiger Besserwisser. Es war schon immer schwer, gegen den Strom zu schwimmen. Wie sagt man doch: Jeder ist sich selbst der N„chste". Oder, scherzhaft: "Jeder denkt immer nur an sich. Nur ich denke an mich." Da werden dann auch pl”tzlich Prinzipien der Menschlich- keit, Rcksichtnahme und der Umweltfrsorge vergessen. Man tut es ja nur ein- mal, was macht das schon aus bei den Millionen anderer Verst”áe. Man sagt auch, der Mensch sei das gr”áte, gef„hrlichste aller Raubtiere. Er n„mlich zerst”re, t”te nicht aus Not, sondern aus Lust und Profitgier heraus. Es ist fnf Minuten vor Zw”lf. Bald werden wir den Zeiger nicht mehr anhalten k”nnen. Und die Unschuldigen, die Idealisten werden mitleiden mssen unter der Verantwortungslosigkeit und Habgier deren, die die Mehrheit ausmachen und nach denen man sich - demokratisch? - zu richten hat. Vielleicht wird man irgendwann einsehen, daá die Mehrheit nicht immer der demokratisch einzig richtige Grad- messer ist. WN 02111989 pm DSA