Dr. Wolfgang N„ser: FORMEN SCHRIFTLICHER KOMMUNIKATION/W™RTER UND WENDUNGEN þ WS 1993/94 /SS 1994 /WS 1994/95 /SS 1995 /WS 1995/96 Jrgen von Manger: Der Tanzkurs transkribiert von Wolfgang N„ser VORBEMERKUNG. Wir haben uns in dieser šbung ausschlieálich mit dem geschrie- benen Deutsch befaát; daher - und weil heute Abschluá-Sitzung ist, will ich Ihnen ein KONTRASTPROGRAMM bieten. Unter der Rubrik "Menschliches, all- zu Menschliches" wird Ihnen der bekannte deutsche Humorist Jrgen von MANGER in seinem nicht weniger bekannten, leider etwas fehlerhaften "Ruhr-Deutsch" vom "Benehmen in feinen Kreisen" erz„hlen, wie er es als "Kumpel [=Bergmann] Tegtmeier" bei einem TANZKURS gelernt hat. Der vor kurzem verstorbene MANGER verk”rpert den "Mann auf der Straáe" mit all seinen liebenswerten Schw„chen und Problemen. šber allem steht sein Lieblings- Motto "Mensch bleiben". Manger spricht so, Ewie ihm der Schnabel gewachsen istF; charakteristisch und liebenswert zugleich sind seine stets miáglcken- den Versuche, sich 4korrekt5 auszudrcken. Ich wnsche Ihnen viel Freude beim Zuh”ren und Mitlesen. Die Transkription lehnt sich weitgehend an das Gesprochene an. Die dem "Ruhr-Deutsch" Mangers eigenen W™RTER und WENDUNGEN sind EhervorgehobenF. Wenn Sie wollen, k”nnen Sie ja sp„ter in aller Ruhe den Text in korrektes EHochdeutschF bertragen. Sp„testens dabei werden Ihnen die ECharakteristikaF dieser schichtenspezifischen ERegionalspracheF auffallen, so z.B. die EVerwechselung von Dativ und Akkusa- tivF und EsyntaktischeF Besonderheiten wie "er kommt am Tanzen" = er kommt zum Tanzen (f„ngt an zu tanzen). Das ERuhrdeutscheF ist eine EArbeiterspracheF, doch zeigt gerade unser Jrgen von Manger, daá man in ihr auch "philosophieren" kann. W.N. DER TANZKURS 1 Ja, also mit diesem Benehmen in feinen Kreisen, wenn man da mal hinterkuckt, Junge, Edat is vielleicht ein DingenF... Kucken Se mal, „h, wir ha'm doch jetzt so ein' Tanzkurs, n”, dat geht vom PERSONALRAT aus, fr fortgeschrittene Ehepaare alles, und richtig so ein' Tanzlehrer, der kommt zweimal de Woche, 5 kommt er oben vom Mnsterland oder Sauerland, Ewo er da weg istF (von wo er kommt), nich, kommt er so mit sein' Moped EangejuckeltF und bringt er dann diese ganze feine Anstandsregeln mit, aber, also „hrlich, der Mann is' eine EKanoneF, n”, da kommen die von weit her nur, ”h, wie gesagt, weil er fr dies feine Benehmen so berhmt ist, nich, und, dat is' so'n ganz klein, un- 10 scheinbar M„nneken, nicht, aber den mssen Se mal h”ren, wenn er dann loslegt mit seine GESELLSCHAFTS-SITTEN, n”, sagt er: "Paát mir ja auf, ihr Ealten HeinisF, nich, glaubt ja nich, ihr Ek„mtF jetz' schon Eam TanzenF", nich, sagt er, "Hier, jetz' wird mal erst ... ”h..., nich' wahr, dieser ganze ANSTAND da, ”h, eingetrichtert", n”, und der will das erreichen, daá, also, 15 hinterher, n”, jeder sich so auffhren kann, ””h, also, Edat kein Mensch merkt, wat los isF, n”, und jetzt EklappertF er so diese ganze Ereignisse EabF, meintswegen eine HOCHZEIT, n”, sagt er, w„r' ja, ””h, eine andere Sache wie eine BEERDIGUNG, n”, und wenn man dann in diese VORNEHME GESELLSCHAFT da schon mal 'n Witz erz„hlt, nich, dann máte der auch den Ereignis sch”n angepaát sein. 20 Aber: also, dat schlimmste, meint er, w„ren diese TISCH-SITTEN. Also, was man sich da blamieren k”nnte, Edas w„r' direkt ein DingenF. Zum Beispiel, stellen Sie sich jetz' mal vor, ”h, nur mal angenommen, n”, Sie w„ren ein FEINER MENSCH, nich, und aus diese bessere Kreise alles, un' dat Se da zu'n MITTAGESSEN eingeladen w„ren. Ja, jetz denken de meisten, also, dat 25 gengt, wenn m'r da EhinmarschiertF, n”, un' eben mal kurz Ede WampeF [=den Bauch] Evollschl„gtF - ja, Junge, denkste, nich, dat - was einen da fr GEFAHREN umlau- ern, also, ”hhh, ach, ich hab' mir berhaupt nich tr„umen lassen, dat m'r bald gar kein' Appetit mehr hat, um berhaupt da ””h ”hh hinzugehen. Nich? Zum Bei- spiel, das geht doch mit de Gefahren, schon, wenn man ankommt, nich? Die erste 30 is dat DIENSTMŽDCHEN. Ja, jetz' sagt der Tanzlehrer, also, da drfte man nich meintswegen gleich so unter'm Kinn kitzeln, nich, oder daá se mal erst so richtig einen im, ”””h, Dingens da, daá ma, h”, reinkneift, n”? Sagt er, das w„r' doch wohl nicht FEIN genug, sondern, ”hm, máte m'r sich gut benehmen, weil, k”nnt' ja auch sein, dat der HAUSHERR in der Ecke steht, nich, und daá 35 der dat gar nich gern sieht, weil der selber da mit die Kleine irgendwie, nichwahr, da, wat vorhat, und, also, msse man EMENSCH BLEIBENF, und daá man dem da nich Eim Handwerk pfuschtF. Und ”h, also, das Dienstm„dchen w„r' eben nur fr de Tr aufmachen und sonst nix, nich? Vielleicht dat man se noch das Papier von de Blumen berreicht, aber, auch nich gleich im Ausschnitt rein, -2- 40 nur so Eaus Jux un' DollereiF, n”, sondern richtig anst„ndig, wie sich dat ge- h”rt, sagt man, ”h, "Guten Tag, bittesch”n, wrden Sie mich denn einmal die DAME DES HAUSES ... da ... ””h ...Bescheid sagen, ich w„r' da", n”, und dann nimmt dann dat Dienstm„dchen, tut ein'n in de gute Stube, ja, und dann geht dat ja schon mit de HAUSFRAU los. Jetzt meint der Tanzlehrer, also dat 45 k”nnt' nie verkehrt sein, wenn man die Damen, ””””h, eine ... erstmal so'n biáken wat Freundliches sagt, nich, viellei' so'n paar weibliche SCHMEICHE- LEIEN, n”, dat man vielleicht sagt "Aaach, ”””h, wunderbar, heute ha'm Se aber de Haare viel sch”ner gef„rbt wie damals, un' berhaupt, sind auch gar nich mehr so dick", n”? Und, "Kumma [=guck mal] da, der Pickel am Kinn is ja 50 fast wie weggeblasen", nich? Dat sind natrlich Sachen dann, was die Haus- frau gerne h”rt. Nich, und, sagt der Tanzlehrer, "mit den Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land", dat sin' immer so seine Schlagausdrcke, nich, und das ... also ”””h ... sagte schon dieser VOLKSMUND, nich, daá man da ruhig mal 'n biáken freundlich sein k”nnte. 55 Ja ... nun kommt aber eine andere Gefahr: dat sind de BLUMEN. Nich? Er sagt, wenn einer ankommt und mit ROTE ROSEN bei die Hausfrau, also, Eis' schon FeierabendF, nich, k”nnt` schon sein, dat er bei den Hausherr Eim Fettn„pfchen getretenF hat un dat der 'ne noch am Ende de Treppe runterschmeiát: ””””h aus Eifersucht, nich? Weil: rote Rosen, also, das drfte man nur, ””h, als ein 60 Zeichen, ”h daá man mit die Dame schon richtig da wat gehabt hat, nich? Un sicher, wenn dat dann nich stimmt, n”, is klar, dat der Hausherr b”se wird. Also máte man, ””h, ja, weiáe: w„r' auch nich gut, das n„hm' man lieber bei 'ne TRAUERFEIER, nich, un dat paát ja auch nich zum Mittagessen, also, ””h, am besten dieser GOLDENE MITTELWEG, dat m'r vielleicht so sch”n bunten Feldblu- 65 menstrauá, n”? Na ja, da ... l„uft man natrlich wieder diese Gefahr, n”, das heiát, jau, man w„r 'n Eschrappigen HundF [= geiziger Mensch, Geizkragen], nich, un dat man nix anlegen wollte, oder sagen se ein'n vielleicht noch, ””h, h„tt m'r selber geflckt nur fr de Pfennige zum sparen, nich? Na ja, jedenfalls, man máte das dann dem FINGERSPITZENGEFšHL, ”””h, wie soll ich 70 sagen, also daá ... daá das Fingerspitzengefhl, nich? Das máte da schon mal dann die Sache da, ””h, geradebiegen, n”? Na ja, jetz inzwischen sind ja die andere GŽSTE EeingetrudeltF und geht dat auch schon mit diese feine TISCH- MANIEREN los, aber Junge, da .. da is vielleicht wat los! Jetzt krieg ich erst 'emal so eine TISCHDAME, n”, angewiesen, und zwar, ”h, rechts die. Das 75 is meine Tischdame - links, also, die geht mich nix an, nich, da brauch ich auch ei'ntlich gar nich hinzukucken, aber, wie gesagt, die rechte Dame bin ich fr zust„ndig, n”, un' muá ich se erst mal sch”n den Stuhl unterm ... ””h .. EDingensF, daá die da also da anst„ndig Eam Sitzen kommtF, und dann beim Essen, n”, muá ich kucken, ob so auch immer wat au'm Teller hat, schon mal 80 de Kartoffeln hinschieben, n”, auch vielleicht 'en WITZ ERZŽHLEN, so'n biá- chen plaudern, Ediese ganze SachenF. Aber: jetz - damit is natrlich noch nich getan, sondern das allerschwierigste is jetzt, n”, man weiá ja nicht, wat die ein' au'm TELLER tun, n”? Ja, jetz sagt der Tanzlehrer, „„h, wenn man nich weiá, was da fr MANIEREN zust„ndig 85 sind, w„r gar nich n”tig, dat man alles auswendig k”nnt'; sondern man soll nicht Eauf den Mund gefallenF sein. Zum Beispiel ”h ”h dat schwierigste w„ren diese MEERES-TIERE, nich, so ... Austern, Hummern, Tintenfische, da gib's sogar extra Bestecke fr, un wenn die ein' jetz so ein' HUMMER da hinlegen, máte man also, ””h, vielleicht sagen: "Aaach, Edat is aber ein DingenF, n„„h, 90 unser Omma is da damals so an Fischvergiftung zugrunde", nich, daá man wegen diese PIETŽT jetz auch mit so ein Tier berhaupt nix mehr zu tun haben will, n' ich meine, dat is Ausrede, n”? 's klar, n”? Un SCHWEINEFLEISCH, n”, k”nnt' m'r sagen: "Jau, wer weiá, vielleicht sind grad' heute wieder diese TRICHINEN da drin, n”, daá die richtig 'n Betriebsausflug machen", ich meine, soll man 95 'n biáchen witzig bringen, n”, und, n„„h, die w„r'n ja so gef„hrlich, diese EBiesterF, und, kann man das auch vermeiden, und, GEFLšGEL, k”nnt' m'r sagen, aach, man h„tte ja selber Brieftauben zu Hause, oder 'n Kanarienvogel, n”, sagt man, n„„h, die kucken einen immer so treu, ””h, un warmherzig an, die Tierchen, nich, daá man das auch jetz gar nich Eber'm Herzen bringtF, nich? 100 WEINBERGSCHNECKEN, ””h, Eis m'r sowieso fies frF [=kann man nicht leiden], und so k”nnte man das ausbalancieren, n”, daá zum Schluá nur noch Speisen ber- bleiben, wo nix passieren kann, nich, keine Gefahr bei is, so ... Spinat un Kartoffelpree, n”, Rotkohl un Sauerkraut - ja, nu, n„„h, Sauerkraut, sehnse, is schon wieder - kann sein, dat die da 'ne Mettwurst beilegen, un dann is 105 schon wieder ... ”””h, nich wahr, Gefahr, daá das inne Luft spritzt. Kuckense mal, jetz der Otto Fl”ttmann, nich, Edie TageF [=neulich]: in die Imbiáhalle am Bahnhof, er so Emit SchmackesF [=heftig] in de Bratwurst rein un dat ganze Fett die Dame neben ihn Eauf'n FrackF gespritzt. Ja: konnt' noch froh sein, dat se 'ne nich zu'n Krppel geschlagen haben, nich? Hier dat Kleiderbad un, 110 ”””h, ganze Rechnung, dat muát' er bezahlen, dat war klar. Nun ””h kann man -3- eventuell, nich, wenn 't gar nich anders geht, sagt man auf einmal "Aaach, da merke ich ja gerade, ich hab' ja noch mein Butterbrot von heut' morgen inne Tasche und, n”””h, dat w„r' doch nich sch”n, wenn das verkommt, nich?", un dann bittet man die GASTGEBER, ob sie was dagegen h„tten, und daá man 115 dann sein eigen Butterbrot iát, nich, da is ja - kann ja nix passieren, nich, man da nur reinbeiáen brauch. Un ich meine, warum soll'n die das nich erlauben, nich, is doch nur in ihren Int'resse, weil sie dann ihre eigene Sachen ja noch einsparen, nich, ha'm se ja auch noch diesen Vorteil von. Ja, ach, also der Tanzlehrer meint, die Hauptsache w„r' berhaupt, daá man 120 immer šBER DEN DINGEN STEHT und diese Sowwer„nit„t, nich, was die Engl„nder, die ... k”nnten dat so sch”n, nich? N”””h, die máte man da schomma [=schon mal] haben, un meintswegen, wenn jetz, wenn ich jetz so ein Rotweinglas um- kippe, nich, und vielleicht die Dame daneben alles, ”h, auf'm Kleid beklek- kere, n”, dann machten die Deutschen meistens den Fehler, daá se dann "Aach, 125 Edat is aber ein DingenF, n„„„h, Frollein, dat tut mir ja so leid", nich, un sagt er, das w„r' falsch, nich? Man máte dann diese šberlegenheit von de Engl„nder, nich, und daá man, ”h, andeutet, daá ein' so was jeden Tag pas- siert, nich, un daá man Esich gar nix von annimmtF [=sich davon nicht aufre- gen l„át], nich, un vielleicht, dat man inne ganz andere Ecke kuckt und ... 130 so tut, als ... w„r' dat Glas eben nich umgekippt, nich, un dann noch h„tte man dann wunderbar diese Sowwer„nit„t un dat man da richtig ein Engl„nder w„r ... Jaaaa. Na, jetz, fr morgen, n”, son'mer uns Ealle Mann hochF, sommer uns mal ber- legen, „„h, diese feine Manieren beim NACHTISCH. Nich? zum Beispiel, sagt 135 der Tanzlehrer, bittesch”n, wenn die jetz da KIRSCHKOMPOTT un daá se de STEINE dringelassen haben; ja - ah, ha, dat is vielleicht 'n Problem, n”? Ich meine au'm TEPPICH, ””h, kann sein, daá die da so'n kostbaren Persianer, n”, das will man ja dann auch die Gastgeber nich antun. Sicher, so'n paar Steine k”nnt m'r vielleicht selber runterschlucken, aber - wenn einer EMa- 140 l„ssenF [=Malaisen, Schwierigkeiten, Probleme] mi'm Magen EhatF, n”, Ehat auch kein' WertF - ich hab' jetz schon gedacht, n”, wenn gar nich anders is, nich, schreit m'r vielleicht auf einmal "Aach, Jung, da, Achtung, de Kronleuchter!" N”, un die dann alle so angstvoll da oben raufkucken, denken, dat dat Dingen runterk„m, nich, in diesem unbewachten Augenblick kann man de Kirschkerne, 145 ””h, ”h weiá ich auch nich, vielleicht in de BLUMENVASE, n”, oder bei de Tischdame au'm Teller, nich, oder dat man se, wenn't gar nich anders geht, in de eigene Hosentasche, nich, un dann is man da fein, hat man die Ausrede, nich? Sicher, hinterher, muá man dann sagen, mit den Kronleuchter, aach, dat w„r' nur so'n Witz gewesen, nich, und ””h ... die Kirschkerne kann m'r ja 150 dann bei de n„chste gute Gelegenheit au'm Klo rein, n”, und dann Ehat man sich da ganz sch”n aus de Schlinge gezogenF, nich? Ja, aber, also ehrlich, ich muá sagen: dies ganze FEINE BENEHMEN IN H™HERE KREISE, Junge, Junge, Edat is vielleicht ein DingenF. Ehrlich, Eich sag's, wie's isF, Jau, jau! AUFGABEN: 1. Schreiben Sie eine EhochdeutscheF Zusammenfassung des geh”rten und mit- gelesenen Sketchs. 2. Stellen Sie eine EListeF zusammen aus den EumgangssprachlichenF W”rtern und Wendungen und bemhen Sie sich, jeweils eine Ehoch-F bzw. EstandardsprachlicheF Erkl„rung zu finden. 3. Versuchen Sie, den Text zu EbeurteilenF. Haben Sie „hnliche Sprach„u- áerungen w„hrend Ihres bisherigen Deutschland-Aufenthaltes schon einmal geh”rt und in welchem EZusammenhangF? (c) WN 23011996 DSA MR