Dr. Wolfgang Näser: UE "Wörter und Wendungen in der aktuellen
deutschen Mediensprache" (m. Besuch einer Tageszeitung)
SS 2003 * Mi 16-18, HG 110
Text zum 3. Dezember 2003
Leipzig - Bevor Edmund Stoiber in Leipzig eintraf, prahlte Friedrich Merz vor den CDU-Delegierten mit der Zustimmung zu seinem Steuerkonzept von den Arbeitgeberverbänden bis zur PDS und höhnte "in diesem breiten Spektrum gibt es sicher auch noch Platz für die CSU". Als Edmund Stoiber kam, sagte der gastgebende Ministerpräsident Georg Milbradt protokollarisch korrekt, aber in der Diktion doch eher prosaisch, nun gehe man zurück zum Tagesordnungspunkt 7 vom Montag: "Grußworte". Und während Edmund Stoiber sprach, gab es zwischendurch immer wieder Beifall. Aber er war eher kühl, allenfalls freundlich und nur selten begeistert. In den Reihen der Hessen, Rheinländer und Westfalen rührte sich mitunter kaum eine Hand. Die Pfälzer blätterten in den Zeitungen, möglicherweise ohne Hintergedanken, vielleicht aber in Erinnerung an den Nürnberger CSU-Parteitag des Jahres 2001, auf dem Angela Merkel durch solches Gebaren der Delegierten eingeschüchtert werden sollte.
Von der "Catenaccio"-Methode sprach der CSU-Chef vor den CDU-Delegierten mit Blick auf den Abwehrreflex der Bevölkerung bei schmerzhaften Reformen: Catenaccio, das war der Riegel-Fußball Italiens in den 70ern, und er setzte auf "mauern, einigeln, Defensive auf Teufel komm raus." In Leipzig spielte die CDU gestern à la Catenaccio: Man ließ Stoiber kommen, war höflich, klatschte. Aber die formalisierte Freundlichkeit hatte etwas von einer Abwehrmauer: Da ist einer, der vor zwei Jahren als ultimativer Hoffnungsträger der Union gefeiert worden war, zum gern gesehenen Gast geworden, der gekommen ist und wieder gehen wird.
Doch noch hat Stoiber eine schwere Stunde vor sich. NRW-Parteichef Jürgen
Rüttgers hatte ihn am Wochenende per Interview zum "ehemaligen
Kanzlerkandidaten" erklärt und die CDU hat Beschlüsse gefasst,
teilweise weit entfernt von Positionen der CSU. Zudem hatten
Altbundespräsident Herzog und Friedrich Merz mit glänzenden Reden
und Angela Merkel mit ihrem Fünf-Minuten-Beifall die Latte hoch und
höher gelegt. Stoiber beginnt, um die Stimmung zu verbessern, mit einem
Lobgesang auf die Schwester: "Die CDU packt an, entschlossen und mutig."
Ein "klares Signal für Aufbruch und Aufstieg" sei der Leipziger Parteitag.
Kritik aus der CDU an der bayerischen Haltung tut Stoiber als "pointierte
Wortmeldungen" ab und kündigt an, "diese Konzepte zusammenzuführen".
Wie das gehen soll, sagt der CSU-Chef allerdings nicht. Die "Kopfpauschale",
ein Schlüsselbegriff der CDU-Pläne zur Gesundheitsreform und ein
Reizwort für die CSU, kommt ihm nicht über die Lippen. Mehrfach
lobt Stoiber Herzog, dessen Rede Maßstäbe gesetzt hat. Dann verlegt
sich der CSU-Chef auf das, was bei der CDU stets gut ankommt: Schimpfen auf
Rot-Grün. Kanzler Schröders halbherzige Entscheidungen müssten
im Vermittlungsausschuss "angereichert" werden. Kritischer wird der Bayer
zum Vorziehen der Steuerreform. Eine Finanzierung auf Pump dürfe es
nicht geben.
Schließlich kommt er wieder auf die Rente und die unterschiedlichen Vorstellungen der Schwestern. "Sie haben anders entschieden", ruft der CSU-Chef in den Saal. Das werde "sehr schwierig", aber man werde eine gemeinsame Lösung finden. Die CDU-Delegierten verabschieden ihn mit 90 Sekunden Beifall - ein Minusrekord für den CSU-Chef.
Merz hatte einen wesentlich leichteren Stand. Wenn es stimmt, dass Merkel den Kopf der Partei anspricht und Herzog am Montag vor allem das Herz erreicht hat, dann ist dem rhetorisch versierten Fraktionsvize ein Doppelschlag gelungen - an seiner Kompetenz in finanzpolitischen Fragen zweifelt ohnehin niemand, und schon deshalb wurde das von ihm vorgestellte Steuerkonzept nicht in Frage gestellt. Aber er verband diesen nüchternen Stoff so geschickt mit Polemik gegen Rot-Grün ("Dilettanten", "selbstverliebte Staatsschauspieler"), dass die Delegierten am Ende Klatschmärsche anstimmten und, vielleicht als spätes Resultat des vorangegangenen "Sachsenabends" mit Wein und Bier, Zugabe-Rufe intonierten.
Die CDU blieb auch am Nachmittag einig, als sie das Konzept einer "Bürgerpartei" verabschiedete, mit dem sie partiell Nichtmitglieder in ihre Arbeit einbeziehen möchte. Die Union ist von derartiger Geschlossenheit weit entfernt. Das liegt teilweise an den unterschiedlichen Positionen. Vor allem aber hat die CDU in Leipzig ihren Willen demonstriert, künftig wieder auf eigenen Füßen zu stehen.
Quelle: DIE WELT (online), 3. Dez 2003 <
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