Die ersten Wenker-Sätze (März 1876)

  1. Thu Dir einen (sic!) Tuch um den Kopf binden!
  2. Sie hat zu mir gesagt, sie wollte heut Abend wieder nach Haus kommen.
  3. Wir sind von ihnen bestellt worden.
  4. Im Winter fliegen die Blätter durch die Luft.
  5. Unter dem Apfelbäumchen da hinten stehen zwei Bänkchen.
  6. Der Schnee ist diese Nacht bei uns liegen geblieben; er liegt drei Fuß hoch.
  7. Ich hätte euch gute Liederbüchlein gegeben; ihr seid mir aber nicht artig gewesen.
  8. Man muß ihn bedauern, er ist ein gutmüthig Schaf.
  9. Gestern war schlecht Wetter.
  10. Euer Hund hat uns das Fleisch aufgefressen.
  11. Habt ihr kein Stückchen Seife auf dem Tisch gefunden?
  12. Ich konnte es nicht finden.
  13. Wir müssen hier noch ein Augenblickchen warten.
  14. Die Bauern hatten fünf Ochsen und neun Küh und zehn Schäfchen vor das Dorf gebracht.
  15. Mein lieb Kind, du mußt erst noch ein bißchen wachsen und größer werden und laufen lernen.
  16. Ich schlage dich gleich mit dem Kochlöffel um die Ohren, wenn du nicht bald gehst, du Affe!
  17. Unser ältester Bruder soll bei Eurem Meister in die Lehre gehen.
  18. Ich habe eben von ihr gehört, es wären über zwölf Häuser und eine Scheuer abgebrannt.
  19. Er macht heut ein wüthig Gesicht.
  20. Es sind schlechte Zeiten.
  21. Sie hatten sich die Köpfe blutig geschlagen.
  22. Der ewige Regen soll die Äpfel wohl theuer machen.
  23. Meine Mutter hatte alte Kleider von meiner Tochter herausgelegt.
  24. Ich möchte ein halb Pfund Wurst haben.
  25. Was sind das für schöne Äffchen!
  26. Wollt ihr lieber ein Gläschen rothen Wein trinken oder ein Gläschen weißen?
  27. Der Teufel hat Pferdsfüße.
  28. Der Rhein ist sehr hoch gewesen.
  29. Hättest du das gewußt!
  30. Der darf man nicht trauen, die hat es hinter den Ohren!
  31. Geht, Kinder! ihr sollt unserm Knecht sagen, er sollte uns das große Buch neb en den Ofen legen.
  32. Ich bin arm und wäre gern reich.
  33. Seid so gut und bringt mir eine Flasche frisch (sic!) Wasser herauf!
  34. Wir haben es ihm erzählt.
  35. So etwas thut sehr weh, das könnt ihr mir wohl glauben!
  36. Er sagte ihr, er hätte das Geld selber nöthig.
  37. Ich will es auch nicht mehr wieder thun!
  38. Es kommt mir von Herzen!
  39. Wir haben Durst gehabt wie ein Pferd!
  40. Deine Schwester sagte zu ihm, es säßen sechs Täubchen oben auf dem Mäuerchen.
  41. Du da! bleib einmal stehen! wo bist du heut wieder herumgelaufen? was hast du getan? geh nach Haus!
  42. Seine Frau hat sich gestellt, als thät sie ihn nicht kennen; sie hat ihn aber doch gekannt, und er sie auch.

(abgedruckt in: MARTIN, Bernhard: Georg Wenkers Kampf um seinen Sprachatlas [1875-1889]; Von Wenker zu Wrede, 2. Aufl., Marburg 1943 [DDG XXI], S. 5 f.)

Den Sätzen beigefügt ist folgende, in Sütterlin geschriebene Anweisung zum Ausfüllen des Fragebogens:

Geehrter Herr!
Es ist meine Absicht, eine genaue Dialectkarte der nördlichen Hälfte der Rheinprovinz unter etwa dem Titel herauszugeben: "Ausführliche Dialectkarte der niederfränkischen sowie der angrenzenden niederdeutschen Mundarten der Rheinprovinz, zusammengestellt unter Mitwirkung der Herren Lehrer des Gebietes." - Zu diesem Behufe wird das vorliegende Formular, nach vorhergegangener Verständigung und im Einvernehmen mit den geehrten Herren Kreisschulinspectoren, nach jedem einzelnen Schulorte jenes Gebiets an je Einen der Herren Lehrer versandt. -
Wollen Sie nun gütigst nebenstehenden, mit der Rückadresse an mich versehenen halben Bogen, der sich nachher durch Zusammenfalten nach den angegebenen Linien leicht in Couvertformat bringen läßt, abtrennen, auf denselben zunächst (zur Erleichterung der Registrirung meinerseits) die auf der Kreuzbandadresse zugefügte , ferner Ort und Kreis, sowie Ihren werthen Namen und Geburtsort angeben, dann die nebenstehenden Fragen beantworten und endlich auf der freien Seite die oben verzeichneten 42 hochdeutschen Sätze in das in Ihrer Schulgemeinde ortsübliche Platt übertragen und aufschreiben. - Hinsichtlich der Schreibweise wollen Sie möglichst ungesucht und ungezwungen verfahren; nur bitte ich Sie, in allen betonten Silben (Stammsilben) die Länge oder Kürze des Vokals durch die Zeichen -- (für lang) und [liegendes c] (für kurz) anzugeben, z.B. hochdeutsch gegeben, platt: jejewen (in Düsseldorf, Crefeld etc.) oder jejewwen (in Cöln, Bonn etc.). - Sonstige durch die üblichen Schriftzeichen nicht leicht auszudrückende Unterschiede werden theils durch die erwähnten Fragen festgestellt, theils aber finde ich, da ich mit den Haupteigenheiten der hier in Betracht kommenden Mundarten schon vertraut bin, sie selbst heraus. - Sollten Sie nicht aus Ihrem Schulorte gebürtig sein, so würde es im Interesse der Genauigkeit am Gerathensten sein, einen oder einige Ihrer dort aufgewachsenen Schüler als Gewährsmänner zu benutzen. -
Bei der bedeutenden Anzahl der zu versendenden Formulare (gegen 2000) ist es mir leider nicht möglich, das Rückporto von 10 Pf. beizufügen, und muß ich es Ihnen daher anheimstellen, ob Sie, im Hinblick auf die Wichtigkeit des Unternehmens in historischer wie in sprachgeschichtlicher Beziehung, dieses Opfer bringen wollen.
Indem ich Sie um baldgefällige Rücksendung ergebenst bitte, zeichne
Düsseldorf, im April 1876.                            achtungsvoll
                                                                    Dr. G. Wenker

Wenkers erste Umfrage anhand dieser 42 "stark rheinisch gefärbten Sätzchen" erbrachte immerhin 1266 Formulare, auf deren Basis entstand alsbald die ebenso volkstümliche wie informative Schrift "Das Rheinische Platt" mit einer "Sprachkarte der Rheinprovinz nördlich der Mosel" im Maßstab 1 : 925.000 (=> Martin, a.a.O. 33). Mit den später verbesserten und 1880 auf 40 festgelegten Sätzen wurde die Befragung der Rheinprovinz im Winter 1884 wiederholt.

HTML: W. Näser, Marburg, Dez. 2001