Weihnachtsgeld drastisch gekürzt
Rund fünf Millionen Arbeitnehmer betroffen - Unternehmen sparen über eine Milliarde Mark ein

Von KURT KIESELBACH
Bonn - Nahezu jeder fünfte Beschäftigte muß in diesem Jahr mit gekürztem Weihnachtsgeld rechnen. Nach Informationen der WELT werden rund fünf Millionen Arbeitnehmer von den Sparvereinbarungen zwischen den Tarifpartnern und den einseitig von Arbeitgebern vorgenommenen Kürzungen der Jahressonderzahlungen betroffen. Das Einsparvolumen schätzen Experten auf weit über eine Mrd. DM.

"Es dürfte das erste Mal seit Bestehen der Bundesrepublik sein, daß es zu einer so umfassenden Kürzung kommt", sagte Reinhard Dombre, Tarifexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). In den von den Einschränkungen betroffenen Branchen wird die Sonderzuwendung in der Regel um fünf Prozent gegenüber 1996 gekappt. Die Kürzungen wurden ganz offiziell zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften ausgehandelt. "Die Absenkungen sind überwiegend der Preis dafür, daß die Gewerkschaften auf volle Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestanden", begründete Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans Böckler Stiftung des DGB.

Das WSI hat allein bei acht der 22 bedeutendsten Tarifbereiche Kürzungen der Jahressonderzahlungen für 1997 dokumentiert. Die Absenkungen machen etwa bei einem Beschäftigten der mittleren Vergütungsgruppe im Druckgewerbe 187 DM aus, bei Holz- und Kunststoff in Westfalen-Lippe 163 DM, im Metallbereich Bayern 149 DM, in der Chemie Nordrhein 206 DM.

Für 98 Prozent der im Westen (Ost: 88 Prozent) tariflich erfaßten Arbeitnehmern - das sind knapp 90 Prozent aller Beschäftigten - ist ein Weihnachtsgeld vorgesehen. Es beträgt häufig ein volles oder anteiliges Monatsentgelt, wird aber auch nach der Zahl der Wochenstunden wie beim Gebäudereinigungshandwerk (70 Wochenstunden) oder in festen Beträgen wie in der Landwirtschaft (400 DM) bemessen. Einige Unternehmen staffeln das Weihnachtsgeld auch nach Alter und Betriebszugehörigkeit, andere machen die Höhe des Weihnachtsgeldes auch vom Krankenstand abhängig.

Die 1,9 Millionen Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden werden auch in diesem Jahr ein Dezembergeld bekommen, "allerdings bereits zum vierten Mal gemessen am Lohnniveau von 1993", schränkt Beamtenbund-Sprecher Rüdiger von Woikowsky ein. Eine ähnliche Vereinbarung gilt für die Millionen von Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Auch der Bundeskanzler und die Bonner Minister gehen nicht leer aus, sondern beziehen zum Weihnachtsfest ein Monatseinkommen wie 1993. Die 672 Abgeordneten des Bundestages hingegen bekommen zu ihren zwölf monatlichen Diäten nach wie vor keine 13. hinzu, wohl aber ihre Mitarbeiter. Für die 18 Millionen Rentner gilt weiterhin, daß ihr Ruhegeld auf zwölf Monate verteilt wird.

Der Einzelhandel, der wie 1996 mit einem Weihnachtsmehrumsatz von 21 Mrd. DM rechnet, fürchtet das gekürzte Weihnachtsgeld kaum. Der Sprecher des Hauptverbandes, Thomas Werz: "Weit mehr Unheil richten der angekündigte hohe Beitragssatz zur Rentenversicherung von 21 Prozent und die mögliche Anhebung der Mehrwertsteuer an."

Copyright: DIE WELT, 17.11.1997