Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Zeitungssprache * WS 20001/2002
Text 1: "Love is a Battlefield"
Teil 1
In manchen Köpfen findet die Entscheidungsschlacht zwischen Abendland
und Morgenland offenbar bereits statt, und da kann die Kampfbereitschaft
nicht gründlich genug gemustert werden. SPIEGEL-Korrespondent Matthias
Matussek antwortet auf den Beitrag "Warum wir die Amerikaner hassen" von
Henryk M. Broder.
Rio de Janeiro - Mein Freund Henryk Broder marschiert die Reihen ab. Er traut weder den "Bild"-Bannern, die die unverbrüchliche deutsche Treue zu Amerika versichern, noch den Bildern der Hunderttausenden, die vor amerikanischen Konsulaten defilieren und Blumen ablegen und sich in Kondolenzbücher eintragen. Er wittert antiamerikanischen Verrat. Und klar, er findet die Verdächtigen. Es sind die üblichen - ein paar bedenkliche Stimmen in Mitternachts-Talkshows.
(...)
Klugheit und Präzision
Wenn die Amis mit dieser Taktik genauso viel Erfolg haben wie Ariel Scharon, dann Gute Nacht. Nein, Angst hat bei so was nicht der Terrorist, sondern nur die Zivilbevölkerung, und jeder, der noch alle Tassen im Schrank hat, wünscht sich da größere operative Klugheit und militärische Präzision.
Antiamerikanisch, dieses Bedenken? Wohl kaum. Zumal es im Weißen Haus einen Präsidenten gibt, der Mühe hat Afghanistan zu buchstabieren, dessen Regierung aber fest entschlossen ist, jene "Staaten zu beenden", die Terroristen schützen und füttern. Man sollte ihm Zeit verordnen, ihm und der ganzen amerikanischen Nation. Da ist der Schock und die Trauer.
Und da ist vor allem die gewaltige narzisstische Kränkung: Ein paar Typen aus Ländern, von denen amerikanische Quizshows bis dahin nur wussten, dass sie von halbnackten Affen ohne Peanut-Butter bevölkert werden, kapern sich vier Flugzeuge und kastrieren die Finanz-Phalli New Yorks zur besten Sendezeit. Sowie das Pentagon, das gerade mit dem Entwerfen von Satellitenschilden beschäftigt war, um dem Rest der Menschheit den großen Stinkefinger zu zeigen.
Nichts gegen Terroristen
Amerika ist verwundbar! Es ist wie der Rest der Welt! Willkommen in der Realität! Zum Zweiten: Nun sollen alle Unterstützer-Länder des Terrorismus unter Beschuss. Aber Osama Bin Laden ist ein amerikanisches Produkt! Es hat ihn ausgebildet und finanziert und müsste ganz oben auf der eigenen Liste stehen. Da muss man doch, jetzt als Bush-Freund, sagen: Don't take him too seriously, er meint es nicht so, er macht sich Mut und vor allem Gedanken über die Ratings.
Amerika hatte, wie wir wissen, in der Vergangenheit überhaupt nichts gegen Terroristen, solange sie den eigenen Interessen dienten, und da gab es nie viel Federlesen mit zivilen Opfern. Das gilt besonders hier im Hinterhof Südamerika, wo es wenige Russen, aber wichtige Märkte gab, und wo die USA die Killer des "Plano Condor" genauso unterstützten wie später die Contras, und ihre Opfer (300.000) waren CNN keine Sondersendungen wert.
Amerika hat uns die Care-Pakete gebracht, und es ist schön, noch heute dankbar dafür sein. Allerdings haben sich die USA seitdem ein erhebliches politisches Vorstrafenregister zugelegt, das man sich genau anschauen sollte, bevor man mit ihnen ins Zeltlager geht.
Ist es antiamerikanisch, das zu erwähnen? Dann ist Joyce Horman aus New York antiamerikanisch. Ihr Mann war im Pinochet-Putsch 1973 erschossen worden. Den US-Behörden vor Ort galt er als windige Hippie-Type, ja, als "unamerikanisch", und er hatte das Pech, zu viel von der US-Beteiligung am Putsch zu wissen.
(...)
Quelle: Spiegel on-line, 18.9.2001