Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Zeitngssprache * WS 20001/2002

Text 1: "Love is a Battlefield"

Teil 2

Das ideologischste Volk nach den Taliban

Zum Dritten die Rhetorik. Der "Kampf des Guten gegen das Böse"? Die Amerikaner sind neben den Taliban das wohl ideologischste Volk auf Erden, beide lieben diese manichäischen Alternativen, nur dass Letztere nicht so viel reden, weil sie die Dynamitstange zwischen den Zähnen haben.

Wenn es einen -Ismus bei uns Deutschen gibt, dann ist es der Philo-Amerikanismus. Auch mir - und vielen meiner amerikanischen Freunde - wird langsam Übel von diesem bigotten Sternenbanner-Geknatter. Wieso eigentlich ist der Anschlag auf Amerika ein Anschlag gegen die ganze Menschheit, während der Anschlag auf, sagen wir, die Air India vor 15 Jahren mit 329 Toten nur ein tragisches Unglück war, das bereits nach zwei Tagen aus den US-News-Shows verschwand?.

Dann der - jeder würgt zur Zeit dieses blödsinnigste aller Klischees heraus - "American Spirit", der dem Terrorismus trotze und den Wiederaufbau betreibe. Was ist daran amerikanisch? Ich würde sagen, es ist menschlich. Die deutschen Trümmerfrauen haben wieder aufgebaut, auch die vietnamesischen Reisbauern, und auch Israels Kibbuzim haben dem Wüstenboden erstaunliches abgetrotzt, und eine mutige Feuerwehr gibt es auch in Bochum.

Das Volk der Schulterklopfer

Was amerikanisch ist, ist die narzisstische Ausdauer, mit der sich diese Nation selber auf die Schultern klopfen kann - das habe ich in meinen friedlichen New Yorker Jahren immer gleichzeitig genossen und belächelt. Es waren übrigens die Jahre, als amerikanische Autobauer japanische Autos demoliert haben, weil die besser waren und sich daher besser verkauften.

Ganz besonders amerikanisch ist das religiöse Selbstverständnis, das auserwählte Volk zu sein - und Du weißt, Henryk, wie sehr so was Nachbarn auf den Keks gehen kann.

Wenden wir uns jetzt den zwei, drei verbliebenen Anti-Amerikanisten in Deutschland zu, die Du beim nächtlichen Channel-Surfen erwischt hast. Von Lisa Fitz wusste ich bisher nicht, dass sie die Debattenhoheit an sich gerissen hat, aber meiner Ansicht nach qualifiziert die Klage darüber, dass man in New York schlecht bedient wurde, nicht zur antiamerikanischen Meinungsführerschaft.

Und Gregor Gysi. Mein Gott, Henryk, wir wissen doch beide, dass Gysi selbst die richtigsten Sachen in hinterhältiger Absicht sagt.

Ich bin wie Du und 99,9 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Terroristen aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Die Frage ist, wie? Nicht die schlechteste Taktik ist, sie zunächst zu isolieren. Da ist Entwicklungshilfe für die Ausgepowerten, also Bestechung, ganz bestimmt nicht abwegig. Das Leben hier muss sich für sie lohnen, sonst sind es bald einige mehr, die sich mit einer flammenden Apotheose ins nächste begeben.

"Walk like an Egyptian" hat ausgespielt

Nein, antiamerikanisch sind all die Bedenken nicht. Ich wäre ja schön blöde. Ich liebe dieses Land, mein Sohn ist in New York zur Welt gekommen, er ist Amerikaner. Irgendwann wird er dort vielleicht studieren wollen.

Und da, Henryk, wäre es doch schön, wenn man den USA hilft, dass sie bis dahin keine allzu großen Fehler machen. Jetzt mal unter uns Amerikafreunden. (...)

Matthias Matussek ist SPIEGEL-Korrespondent in Rio de Janeiro

Quelle: Spiegel on-line, 18.9.2001