Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der aktuellen
deutschen Zeitungssprache * WS 20001/2002
Di 16-18, Hörsaal 207
Text 1: "Love is a Battlefield" (Auszug)
Klugheit und Präzision
Wenn die Amis mit dieser Taktik genauso viel Erfolg haben wie Ariel Scharon, dann Gute Nacht. Nein, Angst hat bei so was nicht der Terrorist, sondern nur die Zivilbevölkerung, und jeder, der noch alle Tassen im Schrank hat, wünscht sich da größere operative Klugheit und militärische Präzision.
Antiamerikanisch, dieses Bedenken? Wohl kaum. Zumal es im Weißen Haus einen Präsidenten gibt, der Mühe hat Afghanistan zu buchstabieren, dessen Regierung aber fest entschlossen ist, jene "Staaten zu beenden", die Terroristen schützen und füttern. Man sollte ihm Zeit verordnen, ihm und der ganzen amerikanischen Nation. Da ist der Schock und die Trauer.
Und da ist vor allem die gewaltige narzisstische Kränkung: Ein paar Typen aus Ländern, von denen amerikanische Quizshows bis dahin nur wussten, dass sie von halbnackten Affen ohne Peanut-Butter bevölkert werden, kapern sich vier Flugzeuge und kastrieren die Finanz-Phalli New Yorks zur besten Sendezeit. Sowie das Pentagon, das gerade mit dem Entwerfen von Satellitenschilden beschäftigt war, um dem Rest der Menschheit den großen Stinkefinger zu zeigen.
Nichts gegen Terroristen
Amerika ist verwundbar! Es ist wie der Rest der Welt! Willkommen in der Realität! Zum Zweiten: Nun sollen alle Unterstützer-Länder des Terrorismus unter Beschuss. Aber Osama Bin Laden ist ein amerikanisches Produkt! Es hat ihn ausgebildet und finanziert und müsste ganz oben auf der eigenen Liste stehen. Da muss man doch, jetzt als Bush-Freund, sagen: Don't take him too seriously, er meint es nicht so, er macht sich Mut und vor allem Gedanken über die Ratings.
Amerika hatte, wie wir wissen, in der Vergangenheit überhaupt nichts gegen Terroristen, solange sie den eigenen Interessen dienten, und da gab es nie viel Federlesen mit zivilen Opfern. Das gilt besonders hier im Hinterhof Südamerika, wo es wenige Russen, aber wichtige Märkte gab, und wo die USA die Killer des "Plano Condor" genauso unterstützten wie später die Contras, und ihre Opfer (300.000) waren CNN keine Sondersendungen wert. (...)
Das ideologischste Volk nach den Taliban
Zum Dritten die Rhetorik. Der "Kampf des Guten gegen das Böse"? Die Amerikaner sind neben den Taliban das wohl ideologischste Volk auf Erden, beide lieben diese manichäischen Alternativen, nur dass Letztere nicht so viel reden, weil sie die Dynamitstange zwischen den Zähnen haben.
Wenn es einen -Ismus bei uns Deutschen gibt, dann ist es der Philo-Amerikanismus. Auch mir - und vielen meiner amerikanischen Freunde - wird langsam Übel von diesem bigotten Sternenbanner-Geknatter. Wieso eigentlich ist der Anschlag auf Amerika ein Anschlag gegen die ganze Menschheit, während der Anschlag auf, sagen wir, die Air India vor 15 Jahren mit 329 Toten nur ein tragisches Unglück war, das bereits nach zwei Tagen aus den US-News-Shows verschwand?.
Dann der - jeder würgt zur Zeit dieses blödsinnigste aller Klischees heraus - "American Spirit", der dem Terrorismus trotze und den Wiederaufbau betreibe. Was ist daran amerikanisch? Ich würde sagen, es ist menschlich. Die deutschen Trümmerfrauen haben wieder aufgebaut, auch die vietnamesischen Reisbauern, und auch Israels Kibbuzim haben dem Wüstenboden erstaunliches abgetrotzt, und eine mutige Feuerwehr gibt es auch in Bochum.
(...)
Matthias Matussek ist SPIEGEL-Korrespondent in Rio de Janeiro
Quelle: Spiegel on-line, 18.9.2001