Dr. Wolfgang Näser: Wörter und Wendungen in der aktuellen deutschen Zeitungssprache * WS 20001/2002

Text 2: Aus der Programmzeitschrift "TV total"

Unter "Zeitungssprache" haben wir einleitend auch die Sprache der Zeitschriften eingeschlossen und lasen zunächst einen zur aktuellen politischen Lage passenden kritischen Text vom 18.9.2001. Unser zweites Beispiel entstammt der in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Fernseh-Programmzeitschrift "TV-total". Leider nur kurz erscheinend, ergänzte sie von Layout und Inhalt her die in Pro Sieben gesendete gleichnamigen Comedy-Serie des ebenso eloquenten wie witzigen Stefan Raab und nahm aufgrund ihrer witzigen, satirischen, äußerst unangepaßten Diktion eine Sonderstellung ein.

Wie in vielen Zeitschriften fanden sich auch hier sogenannte Kolumnen, d.h. wiederkehrende Themenschwerpunkte mit wechselnden Inhalten. Eine der TV-total-Kolumnen lebte von Gegensätzen, entsprechend auf zwei gegenüberliegenden Seiten präsentiert unter den Titeln

Mein Gott, sind die häßlich / Mein Gott, bist du schön.

Links, bei den Häßlichen, fanden sich Fotos von ebenso abstoßenden wie unsympathischen Vertretern jeweils einer Menschen-"Sorte" und dazu ein "vernichtender" Kommentar, rechts das Portät eines attraktiven jungen weiblichen Szene-Stars mit passender Charakterisierung.

Unser erstes Beispiel entstammt Nr. 11/2001 (28.4.-4.5.2001); Sarah Michelle Gellar (24), die als Buffy Summers auch gegenwärtig wieder Dämonen jagt, dient als Cover-Girl: "Ab in die Kiste - Wie Buffy Dracula & Co. in Rente schickt".

Seite 12 bringt als mögliche Kontrahenten sechs ausgesprochen häßliche Vampir-Visagen: die von Christopher Lee, Gary Oldman, Uwe Ochsenknecht, Willem Daffoe, Klaus Kinski und Gerard Butler. Daneben unser erster Text:

Friss Staub, Sauger!
Sie sind alt, blass, hässlich und kleckern beim Essen: Vampire. Kein Wunder, dass sich die Untoten mit den zackigen Zähnen nur nachts auf die Straßen trauen! Anstatt mit Blutspendern professionelle Geschäfte zu machen, schmeißen sich die Saugetiere wehrlosen Jungfrauen an den Hals. Besonders der Chef des Gesindels, ein gewisser Graf Dracula, gilt als extrem harter Typ - dabei ist er ein Weichei erster Güte: verachtet Knoblauch wegen des schlechten Atems beim Beißen, meidet die Sonne, um seinen vornehmen Teint nicht zu gefährden und geht Holzpflöcken aus dem Weg. Zitat: "Die gehen mir so zu Herzen...". Deshalb dürfen der verarmte Adlige und seine Kollegen auch nur noch im Kino ran: momentan in "Wes Craven präsentiert Dracula" und demnächst in "Shadow Of The Vampire". Wenn's da auch nicht klappt, bleibt noch eins: die Nachfolge von Heiner Bremer im RTL-"Nachtjournal"!

Auf der rechten Seite die verführerisch schöne junge Buffy Summers  und ihre "Laudatio":

Ab in den Keller, Frau Gellar!
Ein echter Ant-Vamp, diese süße Lady: Während sich andere Mädchen ihres Alters in Diskos langweilen, jagt Sarah Michelle Gellar alias Buffy Summers in ihrer Freizeit Vampire und holt sich den Kick in coolen Grüften und modrigen Kellern. Überall, wo das laszive Blondchen auftaucht, wimmelt es von so genannten "Wächtern", die sie instruieren, das lichtscheue Gesocks zu jagen. Und die Herren Blutsauger fallen reihenweise auf Buffy rein. Kein Wunder: Wer würde sich nicht gern an ihr festbeißen?

Jede Menge interessanter Wortspiele und Redewendungen, wie unschwer zu sehen ist, und deshalb genau das richtige "Futter" für uns.

Beispiel Nr. 2 findet sich in Nr. 19/2001, wo (wie auch im TV) das Jung-Starlet Nicky Juice (= Nicole Safft) gecovert wird: "Rollergirl unten ohne - Wir ziehen Nicky Juice die Rollschuhe aus". Nach uns bereits bekanntem Muster auf Seite 16 zunächst sechs ausgesucht häßlich porträtierte Techno-DJs: Balloon, DJ Hell, DJ Minsky, Westbam, Marc Spoon und der Love-Parade-Initiator Dr. Motte. Ihre Charakterisierung geht bis an die Grenzen des (heute) noch Sag- bzw. Schreibbaren:

Brüllaffen!
Die Demokratie lebt - leider! Nehmen wir nur diese Techno-DJs: Geben sich als mündige Bürger aus und dürfen ihren Unterhalt mit vermeintlicher Musik verdienen. Als wäre das nicht schlimm genug, treten sie mit ihren Visagen auch noch öffentlich auf. In einer anständigen Gewaltherrschaft hätten wir sie längst an  ihrem Trommelfell aufgehängt und aus ihrem Gesicht formschöne Tanzplatten gepresst. Angesichts dieser fiesen Kopfhörerständer sollten wir zumindest das in Meuchel-Regimes beliebte spurlose Verschwinden von Personen einführen. Vive la dictature!

Rechts daneben, in einem mit weinrotem Damast ausgeschlagenen riesigen Sessel thronend, als Traum in Gold das schöne Roller-Girl mit entsprechendem Text:

Läuft wie geschmiert!
Normalerweise würdigen wir an dieser Stelle die besonderen Fähigkeiten einer jungen Dame, in diesem Fall die des Techno-Popsternchens Rollergirl. Diesmal möchten wir das Augenmerk aber ausnahmsweise zunächst auf eine reine Äußerlichkeit lenken: die Rollschuhe. Diese zieht Rollergirl nur selten aus: weder zum Autofahren noch zum Bergsteigen. Nur in der Sauna und vor dem Fernseher schlüpft sie gern mal in bequemere Fußbekleidung. Dabei scheint sie jemand spontan geknipst zu haben. So, und jetzt zu ihren besonderen Fähigkeiten: Rollergirl kann ganz toll singen.

Ich muß noch ergänzen, daß auf S. 16 links unten "geworben" wird. Für die in der Heimwerker-Szene allseits bekannte, schnellhärtende Spachtelmasse Moltofill. Was wir dazu noch nicht wissen, darüber werden wir jetzt "schlau" gemacht:

Hier kommt der heißeste Drogen-Trend der Raver-Szene: kurz anrühren, runterschlucken und einfach gut drauf sein. Vorteil: Das coole Zeug blockiert wirksam den Hunger. Nebenwirkungen: in einzelnen Fällen soll es zu Verstopfungen gekommen sein.

Klar, daß eine solche Sprache dem Zeitgeist zuwiderläuft. Schade, daß wir ohne die TV total um eine Möglichkeit ärmer sind, dem zunehmend Ernsten und Bedrohlichen unserer Tage mit kräftigem Ab-Lachen zu begegnen. Und deshalb, meine Lieben, stelle ich Ihnen obige Texte vor.

Marburg, den 5.11.2001  
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